Filmstart; 8. Februar 2024
ALL OF US STRANGERS
USA / 2023
Drehbuch und Regie: Andrew Haigh
Mit: Andrew Scott, Paul Mescal, Claire Foy u.a.
Es beginnt melancholisch und es bleibt auch so. Man begegnet in Adam einem Menschen, der Einsamkeit und Traurigkeit ausstrahlt. Ein Stranger, nicht nur in the Night, sondern im Leben. Später wird er erklären, dass der Tod seiner Eltern, die er mit 12 Jahren verlor, in ihm das Gefühl zurückgelassen habe, die Zukunft spielte eigentlich keine Rolle mehr. So entfremdet, wie Andrew Scott da durch ein düsteres, nicht wirklich fassbares London schreitet, steht er für die Verlorenheit des Einsamen schlechthin (und ist gar nicht so fies-böse, wie man ihn als Moriarty im Cumberbatch-Sherlock kennt…)
Regisseur und Drehbuchautor Andrew Haigh, selbst bekennender Homosexueller, wollte zwei Geschichten erzählen, wobei er zumindest mit einer den Boden der Realität verlässt. Bei aller Poesie noch geerdet ist die Liebesgeschichte – schwul, queer, wie immer man sagen möchte (was auch diskutiert wird) -, die am Ende schon trösten soll: Als Adam in Harry (geradeaus-vorweg: Paul Mescal) einem neuen Nachbarn begegnet, der sich schnell vergewissert, ob der andere auch homosexuell sei, kommt es zu einer Liebesbeziehung, die Adam so besonders überrascht, weil er seine Gefühle aus Mangel an Erfahrung nicht wirklich einordnen kann. Jedenfalls zielt der Autor / Regisseur auf eine Art seelisches Happyend, lässt fühlen, dass nur menschliche Beziehungen und Liebe das Leben lebenswert machen.
Dieser Teil der Handlung, in dem die beiden Männer auch viel über ihre Gefühle und die Vergangenheit sprechen, ist schwelgerisch breit – spielt sich aber zumindest in der Realität ab. Was es bedeutet, dass Adam die Beziehung zu seinen Eltern, die zu früh aus seinem Leben verschwunden sind, aufarbeiten kann – dafür liefert der Regisseur keine Erklärung. Sci-Fi, Zeitreise, man kennt es aus dem Kino? Oder nur Wunschvorstellung, dass der erwachsene Adam seinen Eltern an dem Tag begegnen darf, als sie später in den Tod fahren (er, der Junge, hatte kein Interesse, sie zu einem Weihnachtsumtrunk zu begleiten – und überlebte).
Der erwachsene Adam und seine ihm nun gleichaltrigen Eltern – das zeigt, wie sich die Welt in den rund drei Jahrzehnten verändert hat. Am hübschesten erlebt man es, wenn seine Mutter (Claire Foy) sich mit der Homosexualität des Sohnes auseinander setzen muss, liebevoll sein will, aber doch keinesfalls das lockere Verständnis dafür aufbringt, das sich seither zu dem Thema eingestellt hat. Und auch der Vater (Jamie Bell) ist niemand, an den man sich idealerweise erinnern wollte… Immerhin steht die Erkenntnis dahinter, dass man die Vergangenheit zurück lassen muss, um eine Zukunft zu haben.
Eines ist jedenfalls klar: Die Geschichte wird doch ziemlich still erzählt, und sie ist und bleibt traurig. Die Kritik hat sie jedoch voll überzeugt, und es regnete Preise. Independent Kino hat seine eigenen Gesetze – und sein eigenes Publikum.
Renate Wagner