Filmstart: 12. Jänner 2024
15 JAHRE
Deutschland / 2023
Drehbuch und Regie: Chris Kraus
Mit: Hanna Herzsprung, Albrecht Schuch, Hassan Akkouch, Adele Neuhauser, Stefanie Reinsperger u.a.
Es ist einer der Filme, an die man sich erinnert (und wenn man viel sieht, fällt auch vieles – verdientermaßen – aus dem Gedächtnis). Aber „Vier Minuten“ des deutschen Regisseurs Chris Kraus war 2006 etwas Besonderes, vor allem durch das Zusammen und Gegeneinander zweier Schauspielerinnen: Monica Bleibtreu als Traude Krüger, die ältere Frau, die aus sozialem Bewusstsein im Gefängnis Klavierunterricht erteilt und der jungen, störrischen, schwierigen verurteilten Jenny von Loeben, als welche Hannah Herzsprung (damals Mitte 20, wie für die Rolle vorgesehen) beeindruckte.
Chris Kraus hat einige interessante Filme gedreht (am besten war wohl „Poll“), aber mit diesem Versuch einer Fortsetzung ist er abgestürzt. Das ist nicht nur eine zähe, sondern auch gänzlich wirre Geschichte, die ihren Sinn und Zweck nie offenbart. Er wollte das Schicksal von Jenny weiterdenken – Frau Krüger kann schon deshalb nicht mitspielen, weil Monica Bleibtreu leider verstorben ist. Die realen 15 Jahre, die Jenny im Gefängnis verbracht hat, sind vorbei, nun ist sie in einer katholischen Anstalt zu finden, wo man sich offenbar um entlassene Häftlinge kümmert, mit Messen, Gruppensitzungen und Arbeitseinsatz (wenn auch nur in der Putzkolonne). Jenny ist, wie sich schnell herausstellt, so ungebärdig und unausstehlich wie je.
Dass sie in den 15 Jahren, die meiste Zeit wohl ohne Frau Krüger, dennoch eine so herausragende Pianistin geblieben ist, fällt schon schwer zu glauben. Einigermaßen seltsam gestaltet sich dann ihre Zusammenarbeit mit einem geflüchteten syrischen Musiker – er ist Komponist, Sänger, Klavierspielen kann er nicht mehr, weil man ihm einen Unterarm abgehackt hat. Jenny erklärt sich nach einigen unliebsamen rassistischen Auswürfen ihrerseits zu einer Zusammenarbeit bei einer Fernsehshow für Behinderte bereit.
Damit die Geschichte dann wirklich dramatisch wird (und die Lücken in den Übergängen sind wirklich ärgerlich), trifft sie als Moderator jener Show den jungen Mann, einst ihr Liebhaber, der den Mord, für den sie ins Gefängnis kam, tatsächlich begangen hat und von seinen Anwälten damals herausgeboxt wurde. Nach Jenny hat er sich nie auch nur umgedreht.
Christ Kraus verschneidet ihre triefenden Rachegelüste damit, dass der Täter von einst nun ohnedies an Krebs zugrunde geht (dafür schleppt er gern ein Kleinkind mit sich herum, damit er noch tragischer wird). Als sie ihn mit einem Messer schwer attackiert, (eine Szene von herausragender Unglaubwürdigkeit) erklärt er das – edle Wiedergutmachung? – für einen Selbstmordversuch, damit sie nicht wieder ins Gefängnis muss. Die immer bockige Jenny würde am Ende gern zu ihrem Syrer zurückkehren, aber nein – der hat mittlerweise seine Familie herbei geholt und (es tut ihm ja so leid!) heiratet seine Cousine, weil Vater und Onkel das so wollen… Wenn Jenny einsam zurückbleibt, hegt man nur die Hoffnung, dass der Autor / Regisseur ihre Geschichte nicht alle paar Jahre weitererzählt. Letztendlich ist sie als Heldin weniger bedauernswert als schlicht und einfach unsympathisch…
Ist Hanna Herzsprung, wirklich so überwältigend, wie in vielen Kritiken zu lesen? Ist es die hohe Kunst der Natürlichkeit, so zu murmeln, dass man keinen Satz von ihr richtig versteht? Wutausbrüche und Unfreundlichkeit spielen sich leicht – aber kann man jene Anteilnahme für sie aufbringen, die sie als Geschlagene des Schicksals verdiente? Wohl nicht.
Hassan Akkouch ist ihr syrischer Partner und wirkt als übereifriger Dauerredner wie eine Karikatur, nicht wie eine echte Figur. Albrecht Schuch, bekannt aus eindrucksvollen Nebenrollen („Fabian“, „Schachnovelle“), bleibt hier unter seinen Möglichkeiten. Der österreichische (und dank der „Tatorte“ wohl auch deutsche) Kinobesucher entdeckt zwei heimische Damen. Aber obwohl es Adele Neuhauser vielleicht herausfordernd findet, statt der trocken-humorigen Bibi Fellner hier eine trocken-ernsthafte katholische Betreuerin zu spielen, und gar Stefanie Reinsperger in einer Mini-Nebenrolle als geschwätzige Insassin in der katholischen Institution – wirkliche Rollen sind das nicht (wohl aber Drehtage…).
Der Film wurde vielfach preisgekrönt, zuletzt erhielt Hanna Herzsprung dafür den Bayrischen Filmpreis. Außenseiterstorys wie diese gewinnen nicht nur gerne einen „Oscar“ (wenn sie amerikanisch sind), sie werden aus politischer Korrektheit grundsätzlich forciert und gefeiert. So hat man offenbar über alle Schwächen und Löcher der Dramaturgie, über alle Übertreibungen und Künstlichkeiten der Darstelllung willig hinweggesehen. Auch das ist ein Zeichen für unsere Zeit und Welt.
Renate Wagner