FERRARA (Teatro Abbado): IL FARNACE von Antonio Vivaldi
am 30.12.2021 (Premiere)
Teatro Abbado in Ferrara (Ausschnitt aus Innenraum). Foto: Robert Quitta
Es ist zweifellos eine der tragischsten Episoden der gesamten Musikgeschichte. 1738 wurde Antonio Vivaldi beauftragt, für das Teatro Bonacossi in Ferrara eine neue Version seiner Erfolgsoper IL FARNACE zu erstellen. Alles war vorbereitet: die Partituren, das Bühnenbild, die Kostüme, das Orchester, das Ensemble.
Da dekretierte Erzbischof Kardinal Tommaso Ruffo, päpstlicher Legat in Ferrara, quasi aus heiterem Himmel, dass Don Antonio eine Gefahr für die öffentliche Moral darstelle, da es Gerüchte gäbe, dass er – obwohl geweihter Priester – „in wilder Ehe“ mit seiner Schülerin und Primadonna, der Sängerin Anna Girò zusammenlebte. Und er verbot ihm kurzerhand die Einreise (andere Quellen behaupten, der Erzbischof hätte aus purer Eifersucht gehandelt, da er selbst ein Verhältnis mit der Girò gehabt hätte). Wie dem auch immer sei: diese Entscheidung war letztlich nichts anderes als Vivaldis Todesurteil.
Denn der „rote Priester“ (wie er wegen seiner Haarfarbe genannt wurde) war ja auch als Impresario seiner eigenen Opern tätig. Daher bedeutete das Nichtzustandekommen des Ferrareser Farnace – nach all den entstandenen Vorkosten – seinen finanziellen Ruin. Aufgrund des „Skandals“ auch ohne weitere Aufträge, sah er sich gezwungen, nach Wien „auszuwandern“, um am dortigen Hof sein Glück zu versuchen. Er hoffte, dem kunstliebenden Kaiser Karl VI. seine jüngste Oper „Oracolo a Messina“ „unterjubeln“ zu können. Aber wennst a Unglück hast, kommt halt auch noch a Pech dazu…Und der Vater Maria Theresias starb „im ungünstigsten Augenblick“, noch bevor er irgendeinen Auftrag erteilen konnte. Vivaldi folgte ihm kurz danach in den Tod. Nur eine kleine Gedenktafel am Seitenflügel der TU erinnert heute noch an diese tragische Episode (und an das Grab, das sich an dieser Stelle einst befunden haben soll).
Farnace (Raffaelo Pe) ist wütend. Copyright: Teatro Abbado/ Ferarra
283 Jahre Boycott sind genug, dachte sich Marcello Corvino, der neue künstlerische Leiter des wunderschönen, nach Claudio Abbado benannten, Teatro Comunale di Ferrara und beschloss beherzt diesem anhaltenden Skandal endlich ein Ende zu bereiten. Und also setzte er – sozusagen als verspätete „Wiedergutmachung“ – Vivaldis „Farnace“ in der für Ferrara vorbereiteten Fassung auf den Spielplan, ein ganz klein wenig verspätet, aber doch…
Man kann nicht anders, als das Ereignis als ein historisches zu bezeichnen. Und Gott sei Dank spielten dabei auch alle mit: die Honoratioren, die Zuschauer, die nationalen wie internationalen Medien (Berichte über die Premiere gab es von Frankreich und Irland über die Vereinigten Staaten bis zu Kuwait und Taiwan…)
Und sogar der derzeitige Erzbischof Gian Carlo Perego war anwesend, „entschuldigte“ sich zwar nicht, warb aber ein wenig um Verständnis für seinen Vorvorvorgänger, der „malelingue (bösen Zungen)“ aufgesessen und Einflüsterungen erlegen sei. Über diese pflichtschuldigen Äusserungen hinausgehend, schlug er sogar vor, hier demnächst auch noch „Catone in Utica“ auf die Bühne zu bringen, um dessen Aufführungserlaubnis sich Vivaldi damals ebenfalls bemüht haben soll.
Es gibt auch ein glückliches Liebespaar. Copyright: Teatro Abbado/ Ferarra
Die Premiere des “ Farnace “ war jedenfalls – völlig unabhängig von dem berührenden „historischen“ Beiwerk – auch und gerade in künstlerischer Hinsicht ein voller Erfolg, um nicht zu sagen: ein Triumph. Am Pult stand d e r Vivaldi-Experte Federico Maria Sardelli, der sich seit Jahrzehnten für „Don Antonio“ einsetzt, nicht nur als Dirigent, sondern auch Herausgeber der Kritischen Gesamtausgabe und als Autor zweier Bücher über unseren Helden („L’affare Vivaldi“, „Il volto di Vivaldi“). Nicht nur das Orchestra Accademia dello Spirito Santo trieb er zu Höchstleistungen an, sondern auch das gesamte Sängerensemble. Dieses wiederum war so homogen und (trotz kurzer Probenzeiten und einigen Umbesetzungen) so amalgamiert und dermassen in jedem Augenblick mit Leib und Seele bei der gemeinsamen Sache, wie man es nur selten findet. Daher seien auch alle namentlich erwähnt: Raffaele Pe (Farnace), Chiara Brunello (Tamiri), Francesca Lombardi Mazzulli (Gilade), Elena Biscuola (Berenice), Leonardo Cortellazzi (Pompeo), Silvia Alice Gianolla (Selinda) und Mauro Borgioni (Aquilio).
Der Pferdefuß selbst der musikalisch geglücktesten Barockopernaufführung ist ja bekanntlich meistens die Regie. Da gibt es dann entweder sklavisch-unbeholfene Rekonstruktionsversuche einer historischen Aufführungspraxis oder brutal-dumme szenische Vergewaltigungen im Stil von veristischen Handlungsopern.
Gott sei Dank haben Marco Bellussi und sein Team (Matteo Paoletti Franzato/Bühnenbild, Carlos Tieppo/Kostüme, Marco Cazzola/Licht) einen ganz anderen, eigenständigen Weg gewählt. Ihre Inszenierung ist abstrakt und konkret zugleich (nur wenige Bühnenelemente, aber elaborierteste Kostüme), minimalistisch, hochästhetisch, von ausgesuchter Eleganz und vor allem in jedem beliebigen Moment durch und durch musikalisch. An diesem denkwürdigen Abend konnten sowohl Ohren als auch Augen gleichermaßen ihr Glück geniessen.
Ja, die Produktion ist dermaßen gelungen, dass man sich ernsthaft überlegt, sie sich im co-produzierenden Teatro di Piacenza (8. und 10. April) noch einmal anzuschauen….
Evviva il prete rosso! Evviva Don Antonio ! Evviva Vivaldi !
Robert Quitta, Ferrara