Live-Stream: Liederabend der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie im Rathaus am 9.4. 2021/FELLBACH
PATHOS DES INTIMEN
Daniel Gerzenberg. Foto: Youtube
Bei diesem Liederabend kam es wiederum zu einer faszinierenden Begegnung mit jungen Künstlern. Zunächst interpretierten Theresa Pilsl (Sopran) und Daniel Gerzenberg (Klavier) „Das verlassene Mägdelein“ (Mörike) von Hugo Wolf, wo es zu berührenden Seelenschilderungen kam, die die besondere gesangliche Qualität der Singstimme von Theresa Pilsl unter Beweis stellten. Ekstatische Chromatik führte dabei zu leidenschaftlichen Höhepunkten. Mit bewegender Schlichtheit interpretierten die beiden Künstler dann „An den Mond“ D 193 (Hölty) von Franz Schubert, wo Theresa Pilsl die thematischen Verbindungslinien zusammen mit dem Pianisten Daniel Gerzenberg suggestiv offenlegte. Nicht weniger berührend wurde von beiden Künstlern dann „Herzeleid“ op. 107/1 (Ulrich) von Robert Schumann gestaltet, wo die harmonische Inspirationskraft nie nachließ. Auch „Herbst“ D 945 (Rellstab) von Franz Schubert und „Aus den hebräischen Gesängen“ op. 25/15 (Byron) von Robert Schumann überraschten bei dieser ausgefeilten Wiedergabe mit reizvollen dynamischen Kontrasten und facettenreichen Klangfarben. Hugo Wolfs „Verborgenheit“ (Mörike) gewann aufgrund des überzeugend gestalteten Pathos des Intimen eine ganz besondere akustische Qualität. Eine reizvolle Arpeggienbewegung beherrschte ferner „Auf dem Wasser zu singen“ D 774 (Stollberg) von Franz Schubert, wo die innere Bewegungskraft eine besondere Inspirationsquelle war. Robert Schumanns „Abendlied“ op. 107/6 (Kinkel) und Hugo Wolfs pathetisches „Gebet“ (Mörike) ergänzten sich fabelhaft. Als Epilog folgte noch fast sphärenhaft das „Nachtlied“ op. 96/1 (Goethe) von Robert Schumann.
Hervorragend war ebenso der Eindruck, den Mikhail Timoshenko (Bass-Bariton) und Elitsa Desseva (Klavier) bei verschiedenen Liedern hinterließen. Bei Hugo Wolfs „Was für ein Lied soll dir gesungen werden“ (aus dem Italienischen Liederbuch) erreichten die aus dem Sprachfall angeleiteten Melodien eine große harmonische Spannweite, die Mikhail Timoshenko ausgezeichnet auslotete. Hugo Wolfs „Auf einer Wanderung“ (Mörike) faszinierte ebenso aufgrund des großen Ausdrucksvolumens von Mikhail Timoshenko, der von Elitsa Desseva einfühlsam begleitet wurde. Sehr großen gesanglichen Farbenreichtum beherrschte ferner „Zur Warnung“ (Mörike) von Hugo Wolf, wo Timoshenko nochmals eine gesangliche Gratwanderung demonstrierte. Die von Wagner übernommene Leitmotiv-Technik blitzte hier immer wieder leuchtkräftig hervor. „Des Dichters Genesung“ op. 36 (Reinick) von Robert Schumann gefiel aufgrund der Homogenität und Intensität des Vortrags. Von seltsamer Unruhe getrieben erschien „In der Frühe“ (Mörike) von Hugo Wolf, wo beide Künstler in der aufwühlenden Chromatik und ekstatischen Gestaltungskraft ganz zusammenfanden. Dieser Eindruck verstärkte sich enorm bei Hugo Wolfs „Der Feuerreiter“ (Mörike), wo Mikhail Timoshenko und Elitsa Desseva glühende Intervallspannungen hervorzauberten. Robert Schumanns „Wehmut“ op. 39 (Eichendorff) wirkte hier tatsächlich wie des Künstlers Befreiung. In fein ausbalancierten Kantilenen beschwor Timoshenko diese romantische Gefühlswelt, deren verschwimmend-magischen Harmonien man sich als Hörer nicht entziehen konnte. Das Erlöschen des Bewusstseins wurde hier mit betörender akustischer Sinnlichkeit zelebriert. Ein weiterer Höhepunkt war Franz Schuberts „An die Musik“ (Schober) – eine überwältigende Hymne, deren klangliche Wandlungen einen tiefen Eindruck hinterließen. Zuletzt folgte noch eine ironische Abrechnung mit Musikkritikern von Hugo Wolf: „Abschied“ (Mörike). Hier wird ein unliebsamer Rezensent vom Künstler zuletzt sehr unsanft die Treppe hinunterbefördert. Mikhail Timoshenko betonte die geradezu satirisch-überhitzte Zuspitzung dieses Liedes zusammen mit Elitsa Desseva ungemein fesselnd. Da schienen die Noten in donnernden Oktaven hinabzupurzeln. Wunderbar poetisch interpretierten zuletzt alle vier Künstler Felix Mendelssohn-Bartholdys „Gruß“-Lied: Subtile Anschlagsnuancen und beseelter Gesang vereinten sich zu einem imponierenden Klangkosmos. Dieser berührende Liederabend wurde zusammen mit der Kulturgemeinschaft Fellbach und dem SWR produziert. Mit von der Partie ist auch das Festival „Heidelberger Frühling“.
Alexander Walther