Eva Weissweiler:
ERBIN DES FEUERS
FRIEDELIND WAGNER
Eine Spurensuche
366 Seiten, Pantheon Verlag, 2013
Als der ganze Wagner-Clan nach dem Krieg nur noch pauschal als böse Nazi-Sippe dargestellt wurde, gab es für die Medien unserer Tage zumindest eine „Gute“ in der Familie: Friedelind, die abtrünnige Winifred-Tochter, die Anti-Faschistin, die Deutschland im Protest gegen Hitler verlassen hatte. Hohe Bewunderung für die Ehrenrettung der Wagners – wenigstens eine!
Ganz so sieht Autorin Eva Weissweiler, die dieser Friedelind eine ausführliche Spurensuche angedeihen ließ, die Schwester von Wieland und Wolfgang allerdings nicht, im Gegenteil: Ihr Buch „Erbin der Feuers“ ist die Kehrseite des Mythos von der guten Tochter. Sie erzählt (übrigens ungemein anschaulich, intelligent und so spannend lesbar wie eine Biographie nur sein kann) im Grunde die Geschichte eines Versagens.
Dabei ist Eva Weissweiler, hoch angesehene Autorin zahlreicher Musik-Bücher (Biographien über Herrn und Frau Schumann, die Mendelssohns, Komponistinnen im allgemeinen, aber auch Wilhelm Busch oder Sigmund Freud, um das Angebot bunt zu machen), nicht die einzige, die sich in jüngster Zeit mit Friedelind befasst: Eva Rieger, ihres Zeichens gleichfalls hoch angesehene Musikschriftstellerin, war vor ihr an der Reihe und hatte den Vorteil, dass Friedelinds Erbe, Neill Thornborrow, ihr Einblick in sein Archiv gewährte. Dennoch geriet dieses Rieger-Buch über Friedelind offenbar nicht glorifizierend genug, und Thornborrow will seither von Autorinnen offenbar gar nichts mehr wissen. (Friedelind-Nichte Nike Wagner registriert an diesem Herrn übrigens eine deutliche „Familienähnlichkeit“, aber wenn er wirklich Friedelinds Sohn sein sollte, wie manche vermuten, hätte sie es zweifellos triumphierend hinausposaunt…)
Dennoch hat Eva Riegers Buch das Thema Friedelind für Eva Weissweiler nicht erledigt, die offenbar ein weit kritischeres Bild der „Heldin“ zeichnen wollte als die Kollegin – und sie hat es getan. Sie scheint, man kann das schon einwenden, mit Wagner-Frauen überhaupt auf der Sympathieebene nicht wirklich zurecht zu kommen (ihre Danksagungen schließen etwa Nike nicht ein…) – für Eva Weissweiler begann das Interesse ja, als sie zu Beginn der neunziger Jahre Gertrud Wagner (der Witwe von Wieland) bei ihren Memoiren helfen sollte. Dabei stieß sie darauf, dass Gertrud und Friedelind Schulkolleginnen gewesen waren – und dass Gertrud über Friedelind, die gerade verstorben war, absolut nichts Gutes zu sagen hatte. Übrigens – Weissweiler und Gertrud Wagner hatten dermaßen „schwere Meinungsverschiedenheiten“, dass sie ihre Zusammenarbeit beendeten – Gertruds Bayreuth-Buch wurde von einer anderen Autorin geschrieben.
Aber Eva Weissweiler hatte sich an Friedelind „festgebissen“ und recherchierte mit ungeheurem Fleiß weit über das hinaus, was man im allgemeinen über die Wagners weiß und was ja meist nur das immer wieder reproduzierte (und immer weiter angereicherte) Familienklischee ist (im Anhang gibt sie die Originalquellen an, Leute, die sie zu den verschiedensten Epochen von Friedelinds Leben befragte).
Friedlind also, 1918 geboren als zweites Kind und erste Tochter von Siegfried und Winifred Wagner, und da der Papa gerade an einer Oper „Der Schmid von Marienburg“ schrieb und dessen Heldin Friedelind hieß, benannte man auch das kleine Mädchen so. Ihr Spitzname lautete lebenslang „die Maus“. Es kamen bekanntlich noch zwei Kinder in dieser Ehe des homosexuellen Mannes und der zu allem entschlossenen Engländerin zur Welt, Wolfgang und Verena. Ein blondes Quartett von Wagner-Kindern, die allerdings in Bayreuth als so schlecht erzogen galten (abgesehen von ihrem breiten „Fränkisch“), dass Großmutter Cosima vermutlich nicht immer ausschließlich entzückt war.
Ob Winifred Friedelind weniger geliebt hat als ihre anderen Kinder (sie war auf die Söhne fixiert), weil diese schwierig war, oder ob diese so schwierig wurde, weil sie mit einem Mutterkomplex durchs Leben ging – wer weiß das schon. Friedelind war fünf Jahre alt, als sich in Bayreuth eine Veränderung ankündigte – damals besuchte ein 34jähriger in Lederhosen erstmals Wahnfried, er hieß Adolf Hitler, und als er zehn Jahre später an die Macht kam, veränderte er nicht nur das Geschick der Welt, sondern auch jenes von Bayreuth. Und er beherrschte das Leben dieser Familie, was umso leichter war, als Siegfried (der Hitler mit Reserviertheit gegenüberstand) 1930 gestorben war, nur wenige Monate nach seiner Mutter Cosima, was Winifred zur unumschränkten Herrin von Bayreuth machte – und aus ihrer grenzenlosen Liebe und Verehrung für Hitler hat diese Dame ja bis zu ihrem letzten Atemzug kein Hehl gemacht…
„Wolf und Winnie“ als Heldenpaar konnte sich der „Führer“ allerdings nicht offiziell leisten, er musste als Projektionsfläche für die deutsche Frau unvermählt bleiben (und seine wirkliche Geliebte Eva Braun verstecken) – und Winifred, die „Hohe Frau“, nahm sich Heinz Tietjen zum Geliebten, der zum künstlerischen Leiter von Hitler-Bayreuth berufen wurde.
Man erlebt Friedelind, die als Problemkind von einer Schule in die nächste geschoben wurde, in Bayreuth kindlich herumwieselnd, fasziniert von dem Betrieb, den Künstlern (den Sänger Max Lorenz dürfte sie regelrecht „gestalkt“ haben). Sie ist damals ein Dickerchen, vielleicht im Protest gegen die Mama, wird sogar in eine Klinik gesteckt, wo nicht nur Diät, sondern auch Psychiatrie betrieben wird – es war sicher nicht leicht für dieses Geschöpf, das lebenslang einen Platz suchte und lebenslang nicht fand.
Eva Weissweiler lässt mit vielen Beweisen keinen Zweifel daran, dass Friedelind nicht von Anfang an „gegen Hitler“ gewesen ist, sondern sich wie die ganze Familie in der Beachtung gesonnt hat, die Bayreuth durch die Gunst des Führers zufiel. Später, als sie dann als „Exilantin“ während des Krieges in England wie alle Deutschen erst einmal interniert wurde, konnte man nie einen plausiblen Grund für ihre Emigration finden – und auch Eva Weissweiler wird sich aufgrund der vorliegenden Dokumente über diesen Schritt Friedelinds nicht klar: Diese selbst hat immer widersprüchliche Aussagen dazu getätigt (wobei „Ärger mit der Familie“ ja nicht wirklich politisch ist). Dass sie keinesfalls a priori eine leidenschaftliche Anti-Faschistin war und dass sie den Bayreuther Antisemitismus selbst erst ablegen musste, steht fest – wie so vieles in ihrem Leben scheint auch dieser Schritt, den übrigens die Mutter finanzierte, aus spontaner Laune erfolgt zu sein.
Immerhin wusste sie sich lange Zeit von einem Mentor geschützt, auf dessen aktive (auch finanzielle) Hilfe sie sich verlassen konnte: Arturo Toscanini, der Hitler-Deutschland den Rücken gekehrt hat, und in dessen Kielwasser sie schließlich nach Südamerika und in die USA kam. Ungeschickt wie in so vielem, was sie tat, hat sie sich die lebensnotwendige Gunst Toscaninis verscherzt, indem sie sich (weitgehend unbegreiflicherweise) für die Furtwängler-Reinwaschung stark machte, den Toscanini als einen Lebensfeind betrachtete…
Finanziell gibt es auch noch eine peinliche Geschichte, die schonungslos vor der Welt ausgebreitet wurde – Gottfried von Einem, Friedelinds Geliebter, vertraute ihr den Schmuck seiner Mutter an, und Friedelind musste später selbst zugeben, ihn veräußert und davon gelebt zu haben. Die Prozesse reichten bis tief in die Nachkriegszeit.
Was Eva Weissweiler geradezu gnadenlos nachzeichnet, ist die intellektuelle und faktische Konzeptlosigkeit von Friedelinds Leben, der erst als älterer Frau mit den Bayreuther Sommerakademien (mit denen die unerwünschte Heimkehrerin die Brüder ärgerte) eine Art von Tätigkeit fand, die sinnvoll zu nennen wäre. Ihr Buch „Nacht über Bayreuth“ (zuerst Englisch als „Heritage of Fire“), eine Abrechnung mit der Familie, wo sie nicht nur ihre Mutter schlecht aussehen ließ, brachte ihr Ruhm – aber sie hat etwa in England auch ihre Erinnerungen nach dem Motto „Ich und Hitler“ als Zeitungsserie verkauft und Geld dafür kassiert, eine lüsterne britische Öffentliche mit Insider-Geheimnissen zu füttern… Selbst der englische Geheimdienst betrachtete diese ihre Äußerungen schlechtweg als „Schund“.
Friedelind, die sich selbst immer als große Managerin in der Opernwelt sah, brachte es zu einer einzigen Inszenierung („Lohengrin“ 1968 in Bielefeld) und sie hat sich für das allgemein wenig geschätzte Werk ihres Vaters Siegfried eingesetzt. Dennoch – nicht von ungefähr heißt ein Kapitel des Buches „Im Niemandsland“: Es könnte als Motto über einem Leben zwischen allen Stühlen gelten, bevor sie am 8. Mai 1991, durch die Wagner-Stiftung am Ende noch reich geworden, starb.
Von Friedelind, der glanzvollen Widerstandskämpferin, ist in diesem Buch nichts übrig geblieben. Nur ein lebenslanges Problemkind, ein weiteres Schicksal im Schatten Wagners, und ein besonders tragisches dazu.
Renate Wagner
P.S. Das Buch hat leider keine Fotos, was besonders schade ist, weil die Autorin sich immer wieder auf Bilder bezieht, die ihr von Friedelind vorlagen. Auf dem Titelbild ist sie als Kind mit den Geschwistern und dann als ältere Frau (mit den charakteristischen „Cosima“-Zügen) zu sehen. Doch die dicke, skurrile Friedelind in wallenden Gewändern mit Hündchen im Arm fehlt ebenso wie die Mondäne, die immer wieder in Zeitschriften erschien. Man muss sie sich vorstellen, was übrigens dank der Schilderungskraft der Autorin gar nicht schwierig ist.