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Etienne Dupuis über Evgenij Onegin, Werther und Rigoletto

14.03.2023 | Sänger

Etienne Dupuis über Evgenij Onegin, Werther und Rigoletto

Am 14.3.2023 ist  an der Wiener Staatsoper Wiederaufnahme von „Eugen Onegin“ und Etienne Dupuis singt erstmals in Wien den Onegin.

Mag. Isolde Cupak hat mit ihm gesprochen

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Etienne Dupuis. Foto: Dario Acosta

Der kanadische Bariton Etienne Dupuis ist längst ein Publikumsliebling an der Wiener Staatsoper. Nun bringt er nach Valentin in „Faust“, Albert in „Werther“, Marcello in „La bohème“ und Figaro in „Il Barbiere di Siviglia“ eine weitere Glanzpartie nach Wien, Evgenij Onegin. Im Interview spricht der Sänger über Tschaikowskis Oper, die literarische Vorlage Puschkins und warum er eine besondere Beziehung zu der Rolle des Onegin hat. Er verrät uns aber auch mehr über sein nächstes großes Rollendebüt, Verdis Rigoletto, sowie über zwei weitere wichtige Partien seines Fachs, die seit Kurzem Teil seines Repertoires sind: Werther und Conte di Luna in „Il trovatore“.

Evgenij Onegin hat in Ihrer Karriere eine wichtige Rolle gespielt. Wann und wo haben Sie die Partie zum ersten Mal gesungen?

Das war im Jahr 2015 in Berlin, an der Deutschen Oper. Der erste Probentag war der 23. April, denn da habe ich meine Frau [Nicole Car] kennengelernt, sie war meine Tatjana.  Premiere war am 6. oder 8. Mai.

Was hat Sie an der Rolle gereizt?

Zum Teil, weil es die Titelrolle ist. Für einmal darf der Bariton die Titelpartie singen! Nein im Ernst, die Figur ist äußerst interessant. Das ist mir gleich aufgefallen, als ich Puschkins Versroman las. Er ist nicht wirklich ein Bösewicht, aber er ist auch kein guter Kerl, und das ist wirklich der springende Punkt des Romans. Er möchte über allen Gefühlen stehen, auf eine Art und Weise, die ihn irgendwie neutral macht. Neben all dem stehend, was wirklich um ihn herum passiert. Er will gleichzeitig Passagier, Beobachter und Richter sein, nicht involviert sein. Ich spreche hier von Puschkins Werk. In der Oper ist er anders, was mir beim Singen der Rolle auffiel.

Wie hat sich Ihre Sicht auf diese Figur von einer Produktion zur nächsten verändert?

Von einer Produktion zur nächsten hat sich mein Blick auf Onegin enorm verändert. Es gibt immer jemanden, der mir sagt, er sei ein Arschloch, ein wirklich böser Kerl, und jedes Mal, wenn ich auf die Situation zurückkomme und zu meinem eigenen persönlichen Gefühl zurückkehre, stelle ich immer fest, dass es seine Art ist, sich um sie zu kümmern, wenn er Tatyana einen Korb gibt. Er will sie beschützen.  Alles, was er sagt, ist im Sinne von „mit mir wärst du unglücklich, wir sollten nicht zusammen sein“. Womit er natürlich als extremer Kavalier empfunden werden könnte. Und dann ist da noch die ganze Situation auf dem Ball, wenn er mit Olga flirtet und das Ganze aus den Fugen gerät. Wobei ich Lensky eher die Schuld geben würde, weil ich denke, dass er es ein bisschen zu weit treibt. Wie auch immer, meine Wahrnehmung im Laufe der Zeit ist, dass ich Onegin als einen Typen sehe, der versucht, das Richtige zu tun, indem er das Falsche zur falschen Zeit tut.

 

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Etienne Dupuis (Onegin) und Nicole Car (Tatjana) in Berlin 2015. Foto: Bettina Stöss

Auch in Ihrem Privatleben spielte Onegin eine entscheidende Rolle…

Onegin hat in meinem Privatleben eine große Rolle gespielt, denn wie ich bereits sagte, war der erste Probentag am 23. April 2015 der Tag, an dem ich meine Frau kennenlernte. Da an diesem Tag auch die Premiere von „Don Carlo“ an der Deutschen Oper Berlin war, und ich meinen allerersten Rodrigo sang, habe ich interessanterweise erstmal überhaupt nicht an Liebe gedacht. Ich war eher besorgt darüber, meinen ersten Rodrigo zu singen, und machte mir Sorgen darüber, mir russische Wörter zu merken. Mein Gehirn war kurz davor zu explodieren, also war es nicht der perfekte Zeitpunkt für mich, Nicole zu treffen, weil ich sie überhaupt nicht aus dieser Perspektive sah. Ich wollte einfach ein guter Kollege und Freund sein, und erst als wir anfingen, abseits der Oper Zeit miteinander zu verbringen merkten wir, dass wir uns zueinander hingezogen fühlten. Ich hatte daran davor einfach nicht gedacht, weil ich so sehr mit anderen Dingen beschäftigt war.

Zuletzt waren Sie im Jahr 2022 als Albert in Werther in Wien zu erleben, haben in diesem Stück aber auch die Titelpartie gesungen. Wie war diese Erfahrung?

Ja, ich habe die Rolle des Werther in der Baritonfassung gesungen. Und das ist eine komplizierte Fassung. Viele verschiedene Leute haben mir die Geschichte erzählt, dass Battistini, ein berühmter Bariton zu Massenets Zeit, der besonders gute hohe Töne hatte, die Oper umschrieb, damit er sie singen konnte, und seine Version an Massenet schickte. Der antwortete: „Auf jeden Fall, nur zu!“, aber später haben andere Baritone aufgrund dieser autorisierten Version ihre eigene Version geschrieben, sodass es eine Art inoffizielle Baritonfassung gibt, die allerdings nicht die Version ist, die Massenet gesehen hat. Die, die er gesehen hat, Battistinis Version, ist wohl verloren gegangen. Interessanterweise erstellen wir Sänger, wann immer ein Bariton die Rolle übernimmt, unsere eigene Version. Ich aber habe das Gefühl, dass ich meine noch nicht geschrieben habe, weil dieser „Werther“ in Lyon eine Aufnahme war. Ich glaube, ich könnte einen größeren Teil dessen singen, was Massenet ursprünglich geschrieben hat, wenn ich die Rolle live singe. Aber die Erfahrung, den Werther zu singen hat mein Leben verändert. Ich denke, die Rolle ist ein bisschen wie Onegin. Es ist die Titelrolle und er ist kein guter Kerl. Werther hat sich verirrt, er interessiert sich mehr für eine Vorstellung von Liebe als für die Liebe selbst, und so wird er auch zu einem Passagier, einem Zuschauer seines eigenen Lebens. Es war einfach toll, diese Rolle zu singen, die Musik ist unglaublich. Werther ist unglaublich egozentrisch, eigentlich ist er ein Idiot. Er hat schöne Musik zu singen, aber was er singt, ist eigentlich überhaupt nicht schön.  Ich liebe diese Dualität, die bei Onegin genauso ist.

Sie hatten ein sehr wichtiges Jahr nach diesem „Werther“ in Wien im Jänner 2022. Erzählen Sie uns bitte etwas mehr über die Entwicklung Ihrer Karriere seit diesem letzten Auftritt in Wien.

Nach diesem „Werther“ in Wien gab es ein paar Covid-Absagen. Meine Stimme hat sich ein bisschen verändert, ich werde älter und habe nun einen bestimmten Klang, der vorher nicht möglich war. Und ich habe mehr Ausdauer als vorher. Das erlaubt mir, mich in ein Repertoire zu bewegen, das etwas schwerer ist oder als schwerer empfunden werden könnte, obwohl ich nicht glaube, dass ich es unbedingt schwer singe. Ich versuche, es mit meiner Stimme zu singen, und ich finde es toll, dass die Leute mit dem zufrieden sind, was ich in diesem Repertoire mache. Das heißt, ich gehe ein bisschen mehr in Richtung Verdi oder in Richtung größerer Rollen wie Herode in „Hérodiade“, den ich im Juni wieder in Berlin singen werde. Ich denke, das ist alles eine ganz natürliche Entwicklung.

Sie hatten kürzlich mit Ihrem ersten Conte di Luna in „Il trovatore“ einen großen Erfolg, erst in Montréal und dann in Paris. Was zeichnet eine so schwierige Rolle genau aus?

Es war eine Überraschung für mich, dass das so gut ankam. Aufgrund der alten Aufnahmen halten wir Verdi für etwas, das von enorm großen Stimmen gesungen werden sollte, aber die Wahrheit ist, dass er für junge Leute geschrieben hat. Die Sopranistin, für die Leonora geschrieben wurde, Rosina Penco, war 30 Jahre alt und der Grund, warum Verdi sie so sehr mochte, war ihre Schauspielkunst. Wir wissen, dass ihm das Spiel seiner Sänger wirklich wichtig war. Er kümmerte sich nicht so sehr um ihre Stimmschönheit. Im Grunde genommen war es im letzten Jahrhundert so, dass Sänger einfach schöne Klänge produzierten und nicht allzu viel spielten. Meine Art und Weise, an eine Opernvorstellung heranzugehen ist, dass ich immer die Figur sein möchte. Das bedeutet, dass, wenn die Leute mir sagen „Oh mein Gott, dein Trovatore war so toll“, ich einfach das, was Verdi im Sinn hatte mit dem Hier und Heute verbinden möchte. Das heißt, mehr im Charakter zu sein, mehr Wert darauf zu legen, was die Worte und die Musik bedeuten.

Bald werden Sie eine neue Verdi-Rolle in Ihr Repertoire aufnehmen, Rigoletto. Was sind die Herausforderungen einer so großen und wichtigen Rolle? Und was gefällt Ihnen an der Partie besonders gut? Ist dies der Beginn eines Weges, der Sie in Zukunft zu weiteren Verdi Titelrollen führen wird?

Luna zu singen war schon eine große Herausforderung, besonders stimmlich. Und Rigoletto macht mir ein wenig Angst, weil er stimmlich eine noch größere Herausforderung ist. Die Rolle ist so hoch wie Luna und hat zwei große Hürden für mich. Die erste ist die Länge der Partie und die zweite ist, dass Rigoletto ein Vater ist, dessen Kind stirbt. Im Moment kann ich die Partitur nicht durchgehen, ohne zu schluchzen und zu weinen. Das wird eine große Herausforderung, weil ich selbst Vater bin und weiß, dass Verdi seine Kinder verloren hat. Von dem, was er durchleben musste, sehen wir viel in seinen Opern. Und ich denke, es wird herzzerreißend sein, den Rigoletto zu singen. Ich weiß nicht, wie die Inszenierung sein wird, aber musikalisch mache ich mir schon etwas Sorgen, ob ich überhaupt noch singen kann, wenn Gilda in meinen Armen stirbt.
Nebenbei bemerkt, ich habe schon in der Vergangenheit Verdi gesungen. Etwa habe ich Germont und einige Rodrigos gesungen, und ich habe bereits konkrete Pläne, in Zukunft mehr Verdi zu singen. Zu den Covid-Absagen gehörten „La forza del destino“ und „Simon Boccanegra“. In diese Richtung entwickelt sich meine Stimme und meine Karriere. Ich weiß nicht, wie lange diese Entwicklung gehen wird, ich weiß nicht, ob die Leute es mögen werden, vielleicht werden sie es nicht. Ich weiß nur, dass das gerade auf mich zukommt und ich es wirklich genieße, Verdi zu singen.

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Etienne Dupuis. Foto: Dario Acosta

Was können Sie uns über weitere bevorstehende Engagements und neue Rollen verraten?

Es stehen viele bevorstehende Engagements und neue Rollen in meinem Kalender, auf die ich mich freue. Neue Verdi-Rollen, ein paar Konzerte, aber das Problem ist, dass ich nicht darüber sprechen kann, da das alles noch nicht angekündigt ist. Eines der Dinge, über die ich sprechen kann, ist, dass Nicole und ich künstlerische Leiter eines Programms sein werden, das seit 15 Jahren in Montreal existiert und das „Canadian Vocal Arts Institute“ heißt. Wir planen, die besten Coaches und Lehrer nach Montréal zu bringen. Es wird eine Produktion von „La bohème“ mit jungen Sängern geben, die kommen wollen. Sie können ICAV, „Institut Canadien d’Art Vocal“ googeln, und Sie werden das Bewerbungsformular finden. Es wird dort wunderbare Coachings und Meisterkurse geben. Ich habe das Programm als junger Sänger selbst absolviert und das mir damals sehr viel Spaß gemacht hat.

 

Isolde Cupak sprach mit Etienne Dupuis im März 2023

 

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