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ETIENNE DUPUIS: „Ich liebe es, die menschliche Seite der Rollen zu entdecken, die ich singe“.

09.10.2024 | Sänger

 

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Etienne Dupuis. Copyright:  Cyril Cosson.

„Ich liebe es, die menschliche Seite der Rollen zu entdecken, die ich singe„. Etienne Dupuis, Rodrigo di Posa im neuen Wiener „Don Carlo“ im Gespräch über die Neuproduktion und die Rolle des Posa, über Germont und sein anstehendes Rollendebüt als Macbeth.

Wann haben Sie die Rolle des Rodrigo di Posa erstmals gesungen und in wie vielen Produktionen von „Don Carlo“ sind Sie bisher aufgetreten?

Wenn wir von verschiedenen Inszenierungen sprechen, lautet die Antwort vier. Ich habe die Rolle an der Deutschen Oper Berlin, der Metropolitan Opera und der Pariser Oper gesungen und nun hier an der Wiener Staatsoper. An der Deutschen Oper habe ich den Posa allerdings in vier Spielzeiten mit jeweils verschiedenen Besetzungen gesungen. Ich schätze also, achtmal wäre die richtige Antwort. Ich habe mein Rollendebüt am 23. April 2015 gegeben, also werden es am 23. April zehn Jahre sein.

Sie gehören zu den wenigen Baritonen, die Rodrigue de Posa und Rodrigo di Posa gesungen haben. Was sind die Hauptunterschiede zwischen der französischen Originalversion von Verdis Oper und ihrer bekannteren italienischen Fassung?

Eigentlich habe ich die französische Originalversion nie gesungen. Die französische Version, die ich an der Met sang, basierte noch auf der Musik der italienischen Version. Als Verdi die Oper umschrieb, schrieb er sie auf Französisch um, und das ist die Version, die wir gemacht haben. Wir haben die Musik aus der französischen Originalversion übernommen, die direkt nach Posas Tod kommt, aber der Rest der Musik für die gesamte Oper basierte auf der überarbeiteten Version, nur mit französischem Text. Das ist also die Version, die ich gemacht habe, und die mir bei weitem am besten gefällt. Und ja, der Hauptunterschied ist, dass es ein riesiges Duett zwischen dem König und Rodrigo gibt, das völlig anders ist. Die Musik ist sehr anders. Sie singen mehr gleichzeitig, was in der überarbeiteten Version nicht vorkommt, die in erster Linie ein Dialog ist. Und auch das Quartett hat sehr unterschiedliche Musik. Es gibt eine große Szene zwischen Eboli und Elisabetta kurz vor Ebolis zweiter Arie, die es in der überarbeiteten Version nicht gibt. Insgesamt denke ich, dass Verdi einfach versucht hat, prägnanter zu sein und direkt auf die Emotionen einzugehen, anstatt Zeit damit zu verschwenden, sie zu erweitern, was die Handlung angeht, nicht musikalisch.
Ich glaube, er fand die Originalversion etwas zu umfangreich und nicht prägnant genug.

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Etienne Dupuis. Copyright:  Cyril Cosson.

Was können Sie uns über Kirill Serebrennikovs neue Inszenierung an der Wiener Staatsoper sagen?

 

Der Grundgedanke von Kirills Inszenierung an der Staatsoper ist eigentlich sehr einfach. Er beschloss, das gesamte Werk in einen anderen Rahmen zu setzen, und dieser Rahmen ist ein Kostümmuseum. Ein sehr altes Kostümmuseum, in dem Menschen Objekte nur mit Handschuhen und Spezialwerkzeugen handhaben, um sicherzustellen, dass sie nicht beschädigt werden. Das Konzept besteht also darin, dass sich die Menschen in der gesamten ersten Hälfte der Oper ankleiden. Beim Anziehen originalgetreuer alter Kostüme oder in diesem Fall besser alter Kleidung braucht man viele Leute. Sie waren sehr schwer und symbolisieren einen Mangel an Freiheit.

Dann, in der zweiten Hälfte der Oper, werden sie endlich ausgezogen, kann diese Kleidung endlich abgelegt und so eine Art Freiheit wiedererlangt werden. Meine Figur ist eher ein Aktivist, ein politischer Aktivist, der versucht, von seinem Chef gehört zu werden, von den Leuten im Kostümmuseum, indem er ihnen sagt, dass ihre konservativen Methoden dem Planeten, der Ökologie und allem, woran er glaubt, schaden, bis mir ein anderes Schicksal widerfährt. Mein Schicksal ist, dass ich erkenne, dass ich umsonst kämpfe und dass niemand mir zuhört. Und deshalb akzeptiere ich mein Schicksal und werde ein Teil der Truppe. Ich werde einfach zu einer Marionette wie alle anderen.

Verdi hat Ihren Kalender in den letzten zwei oder drei Spielzeiten mit einer beeindruckenden Reihe bedeutender Debüts dominiert, vor allem Conte di Luna in Il trovatore, Don Carlo in La forza del destino und die Titelrolle in Rigoletto. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gibt es zwischen diesen riesigen Rollen?

Das ist eine sehr interessante Frage. Wie bereits erwähnt, singe ich viel Verdi. Als junger Sänger dachte ich, dass Verdirollen alle ziemlich ähnlich zu lernen wären, und das sind sie tatsächlich. Ziemlich oft hat man eine oder zwei Arien, dann hat man ein paar Ensembles, man muss mit dem Chor und allem zusammen sein, riesige Ensembles, und dann ein Trio, ein Duett… Die Opern sind sehr ähnlich aufgebaut.

Aber wenn man anfängt, sie zu lernen, merkt man, dass Verdi sich über die Jahre sehr verändert hat. Auch was die Zeit betrifft, die man vor der nächsten Szene auf der Bühne verbringt. Manchmal hat er Cabalettas geschrieben, manchmal nicht. Es gibt Opern, in denen sich die Worte nicht sehr oft oder überhaupt nicht wiederholen. Rigoletto zum Beispiel folgt einem eher traditionellen Muster: Wenn er eine schöne Melodie und ein gutes Ensemble zu singen hat, wiederholt er seine Worte einfach immer und immer wieder, eine klassische Schreibweise. Aber wenn man dann zu Simon Boccangra oder sogar Macbeth übergeht, gibt es so viele Dinge, die fast wie in einem Konzert sind. Fast wie ein Konzert, bei dem ein Solist singt und dann das Orchester, das in diesem Fall ein Chor und andere Solisten wären, die einfach Antworten geben. Aber die Hauptfigur – wie Boccanegra im Finale des ersten Akts – treibt die Handlung voran, und dann kommen all diese Antworten vom Chor und den Ensembles. Es ist faszinierend zu lernen und gar nicht so leicht, sich das zu merken. Aber es ist faszinierend zu lernen, weil es sich von innen so viel anders anfühlt als von außen. Von außen klingt es immer noch ein bisschen wie Verdi, aber wenn man anfängt, es zu analysieren, erkennt man die Effekte, die er zu erzielen versuchte, die Dinge, die er als Komponist ausprobierte. Er wollte sich nicht wiederholen; die meisten Komponisten wollen das nicht. Und es gelang ihm. Er versuchte, neue Wege zu finden, sich nicht zu wiederholen. Es gelang ihm auf sehr, sehr kleine, spezifische Weise, die man von außen nicht unbedingt erkennt. Aber das ist ein Grund, warum sich seine Opern immer frisch und neu anfühlen, obwohl er so viele geschrieben hat.

Was sind die Herausforderungen bei all diesen Rollen?

Ich glaube, die Antwort auf diese Frage habe ich teilweise schon in meiner Antwort auf die vorherige Frage gegeben, als ich meinte, die Herausforderungen seien, dass sie wegen all der Unterschiede nicht leicht zu lernen seien. Die Präzision der Rhythmen, von einem Takt zum nächsten, obwohl man eine musikalische Linie wiederholt. Die Rhythmen sind vielleicht anders, und der Text ändert sich ständig. Es ist sehr ähnlich wie das Lernen von Theaterstücken, vor allem, wenn das Originalwerk ein Theaterstück ist, zum Beispiel die Stücke Shakespeares, die Verdi vertont hat. Für mich sind vor allem dies die Herausforderungen.

Sie haben kürzlich Paolo Albiani in Simon Boccanegra an der Pariser Oper gesungen: Hat diese Erfahrung Ihren Appetit auf die Titelrolle geweckt? Und wenn ja, wird es bald so weit sein?

Paolo zu singen hat Spaß gemacht. Ich habe die Rolle aus zwei Gründen akzeptiert. Der erste war, dass Nicole [Anm.: Car], meine Frau, Amelia sang. Es war in Paris, also war ich zu Hause bei meiner Familie. Da musste ich nicht länger über das Angebot nachdenken. Und der zweite Grund war, dass Ludovic Tézier Boccanegra sang, und ich wollte wirklich unbedingt einmal mit ihm auf der Bühne stehen. Wie oft steht man schon mit Baritonen auf der Bühne, vor allem mit einem Bariton, den ich seit vielen, vielen Jahren liebe und respektiere? Für mich ist er der größte Bariton der Welt. Also, ja, mein Appetit war absolut geweckt, und ich werde in einem Jahr meinen ersten Boccanegra in Deutschland singen. Es gibt schon mehrere Projekte für diese Partie, auch in Spanien, und ich werde bald anfangen, die Rolle einzustudieren.

Sie haben den Germont mittlerweile zweimal in Wien gesungen: letzte Saison im Konzerthaus an der Seite von Anna Netrebko und genau ein Jahr später, Anfang September, an der Staatsoper. War Germont eine Ihrer ersten Verdi-Rollen? Wie sehen Sie diese etwas „gehasste“ Figur? Beabsichtigen Sie, sie in Ihrem Repertoire zu behalten?

Germont ist ein komplizierter Kerl. Er war tatsächlich die erste große Verdi-Rolle, die ich gesungen habe. Christoph Seuferle von der Deutschen Oper Berlin traute mir dir Rolle an, als ich 34 Jahre alt war. Und mein Sohn in der Oper, Alfredo, war 35 Jahre alt. Das war also ziemlich lustig. Ich sah tatsächlich aus wie der Bruder meines Sohnes. Aber ich gehe an Germont so heran, dass ich als Vater denke, dass er nur versucht, das Beste für seine Kinder zu tun. Und deshalb ist er für mich kein Bösewicht, absolut kein Bösewicht. Ich denke, das tun wir alle im Leben. Von außen ist es leicht, zu urteilen, aber von innen würden die meisten von uns, die meisten Eltern, die ich kenne, genau dasselbe tun und einfach sagen: „Hör zu, du bist ein liebenswerter Mensch, du bist eine liebenswerte Frau, aber ich muss an eine Tochter denken und du musst das tun.“ Und so sehe ich ihn einfach als einen Kerl, der sich so gut es geht um seine Kinder kümmert. Das macht ihn nicht zu einem Helden, aber es macht ihn menschlich, macht ihn normal, was ich liebe. Ich liebe es, die menschliche Seite aller Charaktere zu entdecken, die ich singe. Das ist nicht immer einfach.
Und ja, natürlich werde ich die Rolle in meinem Repertoire behalten, solange ich dafür engagiert werde. Ich habe Germont viele Male gesungen. In Straßburg gesungen, ein paar Mal in Berlin… Natürlich war mein erstes Mal nicht letztes Jahr mit Anna und Yousif. Aber ja, es ist eine Rolle, die ich liebe, und es ist für mich ein unterhaltsamer Abend im Theater. Ich habe nicht viel zu tun, aber dieses Duett ist einfach eines der besten Dinge, die man auf der Welt singen kann.

Bald werden Sie in Washington D.C. in einer anderen großen Verdi-Rolle, Macbeth, debütieren. Haben Sie bereits eine klare Vorstellung davon, wie Ihr Macbeth sein wird, und wie würden Sie ihn in Bezug auf stimmliche und interpretatorische Herausforderungen mit Ihren anderen großen Verdi-Helden und Anti-Helden vergleichen?

Meine Idee von Macbeth ist noch nicht ganz klar. Ein Grund ist, dass man, wenn man eine Rolle zum ersten Mal singt, meiner Meinung nach nie mit einer zu festgeschriebenen Vorstellung an die Sache herangehen sollte. Denn wenn meine Vorstellung zu stark ist, wird das Erste, was passieren wird, sein, dass wir, der Regisseur und ich, und sogar der Dirigent, sehr unterschiedliche Vorstellungen haben werden, wenn wir anfangen zu reden. Und wenn meine Vorstellung zu stark ist, wird es schwer sein, sie aufzubrechen und ihre Form zu ändern. Also versuche ich, locker zu bleiben.
Es ist also noch ein bisschen verschwommen. Ich weiß, was er ist. Was seine Beziehung zu seiner Frau angeht, könnte es in beide Richtungen gehen. Ich bin mir nicht sicher, wie sehr sie sich lieben, ich bin mir nicht sicher, wie stark ihr Wille über ihn ist. Er scheint einen starken eigenen Willen zu haben, obwohl er sehr, sehr von den Hexen beeinflusst wird.

Ich glaube, hier liegt mein Interesse: Warum verlässt er sich so sehr auf die Hexen und ihre Prophezeiungen? Was muss er über die Zukunft wissen? Seine Angst muss riesig sein. Das ist für mich das Faszinierende an der Partitur der Oper. Verdi hat diese riesige Szene zwischen Macbeth und den Hexen geschrieben. Die ist sehr kompliziert, weil sich alles stetig entwickelt, und je weiter es voranschreitet, desto mehr wird gesungen, aber desto mehr Unsicherheit herrscht und desto verzweifelter ist Macbeth.

Es ist wirklich schwierig, sich vorzustellen, wie man die Szene dann auf der Bühne spielt, auch wegen der übersinnlichen Elemente, Erscheinungen, Visionen, Geister. Wie bringt man das auf die Bühne? Ich bin mir nicht sicher, was die Regie machen wird. Ich hoffe, es wird so etwas wie ein Lichtspiel, aber wir werden sehen. Also ja, die Herausforderungen sind groß und es ist wirklich, wirklich schwer, die Rolle zu lernen. Das Auswendiglernen ist wirklich hart. Es gibt so viel Dialog zwischen meiner Frau und mir oder zwischen den Hexen und mir. Und wenn man das alleine lernt, ist es wirklich schwer.
Es ist unglaublich anspruchsvoll, die anspruchsvollste Rolle, die ich je lernen musste, anspruchsvoller als Don Carlo in Forza del destino und anspruchsvoller als Rigoletto. Das sind auch zwei Riesenrollen und sie waren hart, absolut hart, aber Macbeth zu lernen hat sich bisher als die schwierigste Herausforderung erwiesen.

Mag. Isolde Cupak –   im Oktober 2024

 

 

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