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ESSEN/Aalto-Theater: IDOMENEO. Premiere

30.11.2014 | Oper

Essen/ Aalto Theater: Idomeneo. Premiere am 29. November 2014

 Als „Karnevalsoper“ in Auftrag gegeben, ist das dramma per musica „Idomeneo“ des Mittzwanzigers Wolfgang Amadé Mozart alles andere als eine solche. Vielmehr werden zutiefst tragische menschliche Konflikte verhandelt. Sie sind eingebettet in mythologische Konstellationen, die im Libretto von Giambattista Varesco zwar angesprochen werden, gleichwohl im Hintergrund bleiben und zum Verständnis der Oper auch nur wenig beitragen. Bei Elektra orientiert man sich ohnehin primär an der Rache-Figur im Operndrama von Richard Strauss. Bei Mozart/Varesco ist Elektra „lediglich“ eine eifersüchtig liebende Frau und vor allem Kontrastfigur zur sanften Ilia.

 Am Essener Aalto-Theater sind die Partien fast gegen die Charaktere besetzt. JULIA KLEITER, die mit ihrem weit schwingenden, ausdrucksvollen Ilia-Sopran sogleich gefangen nimmt, klingt vokalüppiger als die eher zartstimmige SIMONA SATUROVÁ, welche die Ilia ihrerseits im Repertoire hat. Früher ist Elektra von ausgepichten Hochdramatischen wie Gertrude Grob-Prandl oder Birgit Nilsson verkörpert worden, zumindest aber von Sopranistinnen mit phonstarkem, herbem Timbre wie Edda Moser oder Julia Varady. Die halsbrecherische Arie „D’Oreste, d’Aiace“ meistert Simona Saturová gleichwohl mit Energie und mit Tönen von großer Leuchtkraft.

 Regisseur FRANCISCO NEGRIN lässt Elektra in dieser Szene mit einem Speer um sich schlagen, den sie zuletzt, außer Kontrolle geraten, Idomeneo in den Leib rammt. Dieser kann sterbend nur noch seinen Sohn Idamante und Ilia zu Thronnachfolgern erklären. Seine Leiche wird dann zeremoniell verbrannt, wozu das lieto-fine-Dur des Chores natürlich in einem starken Kontrast steht. Aber solche Gegensätzlichkeit von Musik und Szene kann – wie hier – überaus beredt und fruchtbar sein.

Die Aufführung beginnt mit Donner und Blitz hinter dem eisernen Vorhang, welcher in Essen dann effektvoll in der Tiefe versinkt. Dann sieht man einen von TOBIAS HOHEISEL entworfenen, zerstört wirkenden Landstrich mit aufgerissenem Boden und weiteren Anzeichen kriegerischer Auseinandersetzungen. Diese (kostümlich als zeitlos ausgewiesene) Welt ist eindeutig aus den Fugen, die Menschen müssen wieder langsam zueinander finden. Mit der Rückkehr des tot geglaubten Idomeneo (große Wiedersehensfreude beim Chor) scheint endlich neues Glück aufzublühen. Doch dann erfährt man von dem Gelübde des Königs an den Meeresgott Neptun (der in Essen auch für das “Ungeheuer“ im Finale II steht), für seine Rettung aus Meeresgefahren den erstgesehenen Menschen als Dankopfer darzubringen. Als Idomeneo erkennt, dass dieser Mensch sein eigener Sohn ist, bricht er zusammen. Wie ERIC CUTLER (nota bene Ehemann von Julia Kleiter) diese Qualen des Königs darstellerisch zum Ausdruck bringt, geht förmlich unter die Haut. Mit seinem attraktiven Zwischenfach-Tenor singt er sein Leid expressiv heraus, dankenswerterweise nicht nur auf schöne Töne bedacht. Ein großartiges Porträt.

 Sehr einfallsreich geht Negrin mit dem Chor um, nicht nur in der Gruppenverteilung auf der Bühne, sondern auch in der Formung einer lebendig reagierenden Menschenmasse. Zunächst jubelt das Volk dem wiedergefundenen Herrscher zu, später ist es aber auch bereit, Idomeneo zu lynchen, als dieser zögert, zur Befriedung des Landes das Sohnesopfer darzubringen. In diesem Rahmen entzündet die Arie des Arbace, der bedingungslose Königstreue einfordert, ein großes Hassfeuer unter den Kretern. Der Königsvertraute findet dabei den Tod, von Idomeneo zutiefst betrauer. Das ist eine Szene von großer Schmerzgewalt auch für den Zuschauer. Sie entschädigt für weniger Gelungenes oder auch nicht leicht Verständliches wie die Gesteinsbrocken, die immer wieder mal vom Bühnenhimmel herab schweben

 Nach der Pause zeigt die Bühne vier nebeneinanderliegende Kellerräume, mühsam möbliert, Behausungen fast wie nach einem zerstörerischen Krieg. Sie sind nicht realistisch zu sehen, sondern bedeuten seelische Isolierstationen, wo jeder der Protagonisten mit seinen Gedanken und Gefühlen verzweifelt und alleine beschäftigt ist. Das sind Bilder von hoher Suggestivität. Keine der bislang gesehenen Inszenierungen von „Idomeneo“ hat den Rezensenten derart gepackt wie die jetzige in Essen. Das Premierenpublikum zeigte sich gleichfalls ausgesprochen enthusiasmiert.

Freilich auch über die musikalische Seite des Abends. Es ist daran zu erinnern, dass Stefan Soltesz 16 Jahre lang als Chef der ESSENER PHILHARMONIKER und als Opernintendant  wirkte und die Stadt zu einer überregional beachteten, mit Lob oft überschütteten  Kulturmetropole machte. Legendär wurden vor allem seine Wagner- und Strauss-Aufführungen. Das “Idomeneo“-Dirigat seines Nachfolgers TOMAS NETOPIL lässt diese Glanzzeit wieder aufleben. Er verlebendigt Mozarts innovative, ausgesprochen szenisch konzipierte Musik mit Genauigkeit im instrumentalen Detail und mit einem dramatischen Aplomb, dass man auf der Stuhlkante sitzt. Es ist zudem ein ausgesprochener Genuss, die akribische Dirigiergestik von Netopil zu verfolgen.

 Das vokale Protagonistenquartett wird von MICHAELA SELINGER als Idamante komplettiert. Mit ihrem hohen, flammendem Mezzo, welcher u.a. Debussys Mélisande zu einem Erlebnis machte, gibt sie der Figur einen schönen jünglingshaften Anstrich. Als Arbace überzeugt MICHAEL SMALLWOOD. Nicht unerwähnt bleiben darf ALEXANDER EBERLE für seine perfekte Choreinstudierung.

 Christoph Zimmermann

 

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