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ESSEN / Philharmonie: ORCHESTRE DE PARIS mit KLAUS MÄKELÄ und JANINE JANSEN

17.03.2023 | Konzert/Liederabende

ESSEN / Philharmonie: ORCHESTRE DE PARIS mit KLAUS MÄKELÄ und JANINE JANSEN
16.3. 2023 (Werner Häußner)

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Janine Jansen und Klaus Mäkelä in der Philharmonie Essen. Foto: Sven Lorenz

Klaus Mäkelä ist einer jener Shooting-Stars, die in der Klassik-Szene gerade willkommen sind. Denn die alte Garde der Dirigenten tritt allmählich ab und in der mittleren Altersgruppe sind charismatische Figuren rar. Da steht er also zum ersten Mal am Pult in der Essener Philharmonie, der 27 Jahre alte Finne Klaus Mäkelä, weltweit bei großen Orchestern gefragt und in vier Jahren Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouworkest. Man fragt sich: Ist es das Marketing, das die Aura erschafft? Oder baut der Ruf auf Ausstrahlung und Können auf? Bei seinem Kölner Debüt mit Mahlers Sechster am Beginn der Spielzeit 2022/23 hätte man Mäkelä gewünscht, mehr Zeit und Reife mitbringen zu können. Da lieferte er ein sinfonisches Hochglanzprodukt, das die existenziell aufwühlenden Tiefen der Musik überspielte.

Doch Hector Berlioz und seine „Symphonie fantastique“ zerstreuten nun den Verdacht, diese Dirigentenpersönlichkeit müsse sich erst noch ausformen. Da standen Präzision und Brillanz des Orchestre de Paris, das Mäkelä seit 2021 leitet, im Dienst der Sache. Und die heißt bei Berlioz: unbekümmerter Umgang mit der symphonischen Form, unerhörte Farben, ungeheure Rhetorik, ungeahnte Experimente in der Harmonik, von Robert Schumann einst als platt und verzerrt kritisiert. Der Deutsche hat Recht: Die gellende Gemeinheit des Hexensabbats steht – wie zwei Generationen später bei Mahler – nicht für die Raffinesse absoluter Musik, sondern für ein geradezu szenisch gedachtes Programm, dessen Radikalität viele entsetzte, aber andere wie Franz Liszt elektrisierte.

Alles beginnt mit einer gelösten Idylle: Mäkelä lässt den lyrischen Beginn sanft aufblühen, heimst erste Bewunderung ein für die fabelhaft abgestufte Mikro-Dynamik, an der sicher die Berlioz-Erfahrung des Orchestre de Paris ihren Anteil hat. Mäkelä hält klug die Reserven für die exaltierten letzten Sätze zurück, lässt den Fieberbrand des Berlioz’schen Opiumrauschs erst verhalten züngeln. Die heftigen Kontraste, die atemlose Rasanz haben zu warten. Der glühend aufgeladene Ton der Bässe oder das herrlich runde Blech: Sie haben ihre Höhepunkte noch vor sich.

Das Abmischen der Instrumentengruppen, das Verfließen der Farben, der intensive, mit vollem Bogen ausgekostete Klang der Streicher gelingen expressiv –ob sie sonor grundieren oder als dominierende Stimme hervortreten. Mäkelä evoziert mitreißende rhythmische Energie, kann das Orchester aber im Bruchteil eines Taktes zurückschalten in gelöstes Legato. Takt- und Rhythmuswechsel frappieren und lassen ahnen, wie Berlioz seine Zeitgenossen gefordert und überfordert hat. Der zweite Satz mit seinen Harfen-Effekten und seinem in verschiedenen Beleuchtungen schimmernden Walzer dirigiert er wie eine Opernszene, bedacht auf Rubato und pulsierenden Atem.

Im vierten Satz mit seinem unheimlich grellen Fagott-Marsch brechen dann die Gewalten herein, gefordert von Mäkeläs imperialen Gesten, seiner niedersausenden Faust, dem Aufstampfen mit dem Fuß. Dennoch drängt sich nie der Eindruck bloßen Effekts auf. Infernalischer Lärm und unwirkliches Filigran im Hexensabbat des letzten Satzes sind nicht unkontrolliert entfesselt. Sie folgen mit ihrer ganzen schamlosen Ausnutzung der Klangfarben einer wohlüberlegten Dramaturgie. Für Mahler mag Mäkelä noch manche Erfahrung sammeln müssen – mit Berlioz und dem phänomenalen Pariser Orchester legt er nahe, dass sein Ruf der Persönlichkeit entspricht. Zu hoffen ist, dass man von dem jungen Mann nach diesem Debüt auch in Essen noch hören wird.

Vor der Pause ging es weit gesitteter zu: Jean Sibelius‘ Violinkonzert entbehrt zwar nicht der schwärmerischen Leidenschaft, aber selbst die prägnanten rhythmischen Passagen und die Ausbrüche des Orchesters im letzten Satz bleiben hinter dem Höllenritt von Berlioz zurück. Mäkelä emanzipiert das Orchester zu einem dynamisch wunderbar dosierten, mit kostbaren Farben spielenden Partner der Solistin. Doch die Geigerin Janine Jansen zeigt kein Interesse, ihre schlanke, bisweilen zu Blässe neigende Tongebung expressiv aufzuladen. Das „Espressivo“ will sich in ihrem abgemagerten Ton nicht einstellen, die schwer lastende, leidenschaftliche, mit edlem Sentiment getränkte Melodik des Adagio will Jansen entfetten, aber das löbliche Vorhaben verdünnt den Klang und überzeugt nur in den leisen Momenten. Im Finalsatz fliegen vom Schaum der Ekstase kaum ein paar Flocken.

Werner Häußner

 

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