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ESSEN / Philharmonie: 12. SINFONIEKONZERT der Essener Philharmoniker

26.06.2022 | Konzert/Liederabende

ESSEN / PHILHARMONIE: 12. Sinfoniekonzert der ESSENER PHILHARMONIKER
24.6. 2022 (Werner Häußner)

Die Essener Philharmoniker verabschiedeten sich bei ihrem 12. Sinfoniekonzert mit einem ungewöhnlichen Programm in die Ferien. Man merkt’s am Besuch: Der Alfried Krupp Saal der Philharmonie Essen war nur schütter besetzt. Der konservative Teil des Essener Publikums lässt sich mit William Waltons Erster Symphonie nicht locken.

Und auch der Zaunpfahl Philip Glass konnte es nicht herbeiwinken. Dessen Violinkonzert in einer Bearbeitung für Sopransaxofon – von wem, verrät das Programm nicht – steht im Zentrum des Abends. Lutz Koppetsch, Leiter der Saxofonklasse an der Würzburger Musikhochschule, müht sich als berufener Solist redlich um die repetierten, sich allmählich entwickelnden Floskeln des Glass-Konzerts. Aber was auf der Violine dank nuancierter Strich- und Griffarbeit lebendig klingt, bleibt auf dem Saxofon steif und mühsam, quillt in aufsteigenden Tonblasen schorfig aus dem Instrument. Koppetsch will die Mikro-Motiv-Reihen gerade nicht technizistisch abspulen, versucht ihnen Ausdruck zu geben, Leben einzuhauchen, spannt die Linien weit auf, legt ein wenig Melancholie in die gehaltenen Töne. Aber seine Mühen retten das unglückliche Stück nicht. Die Philharmoniker zählen wacker mit, bleiben in Form und füllen die altbekannten Glass-Harmonien mit schmeichelndem Klang.

Mit Klang können das Orchester und Gastdirigent Nicholas Carter in Jean Sibelius` „Der Schwan von Tuonela“ trefflich aufwarten: Die ausdifferenzierten Streicher schaffen zu Beginn eine zaubrische Lohengrin-Stimmung, das aufblühende Cello-Solo, der leise Trommeldonner, das schwermütige Englischhorn sind in das Gespinst aus Klängen sorgsam eingebettet. Alles atmet eine Atmosphäre, als wehten geheimnisvolle Schleier unbestimmter Beschaffenheit aus einem ungreifbaren Elfenland herüber in unsere Realität. Die magische Stimmung verliert sich am Ende – ein „Finale“ gibt es nicht.

Dafür trumpft der Abschluss von William Waltons Erster Symphonie umso imperialer auf. Die Musik lässt die Muskeln spielen, und Nicholas Carter, Chefdirigent der Oper Bern, tut alles, damit sich die Stränge unter gespannter Haut auch deutlich abzeichnen. Dass er die Philharmoniker um ihr Leben spielen lässt, macht seine gemessene Gestik erst einmal nicht sichtbar. Aber das musikalische Testosteron fließt ungehindert, heizt den komplexen kontrapunktischen Strukturen der Musik Waltons so energisch ein, dass die orgiastische Glut alles überschmilzt, was vielleicht trotz der steigenden Fortissimo-Grade noch an feineren Funken, harmonischen Blitzen oder elektrisierendem Leuchten erfahrbar hätte sein können. Das war entschieden zu viel, und der Final-Lärm hatte sich längst erschöpft, als er eigentlich zu seinem Höhepunkt kommen sollte.

Dabei begann die Symphonie, die in angelsächsischen Ländern durchaus zum Standardrepertoire gehört und in über 20 Aufnahmen vorliegt, sehr vielversprechend. Denn Carter legt den ostinaten Rhythmus, die pulsierende Streicher-Steigerung, die Harmonie der Hörner, die lang gehaltenen Basstöne und die markante Oboenstimme in feinsinnigem Zusammenhang an und lässt das leidenschaftliche Drama bis zur ersten, dann schon etwas zu beherzt ausgereizten Klimax organisch wachsen. Auch die süffigen Harmonien des Satzfinales, in denen man den Filmkomponisten Walton erspüren kann, sind in ihrer schillernden Vitalität reizvoll gelungen. Der zweite Satz „con malizia“ sprüht in Tempo und Rhythmus; der dritte, in dem die Bosheit durch Schwermut ersetzt wird, hat die Anmutung von bittersüßer Lyrik, aber auch hier schon auf das Finale hin hoch gespannt. Der Beifall war passend üppig und bezeugt die faszinierende Wirkung von Waltons zupackender Finalenergie. Nicht umsonst hat der Mann 1937 und 1953 zwei Krönungsmärsche geschrieben – und Kenner dürften auch bei der Erinnerung an sein extravagantes spätes Öperchen „The Bear“ wohlbehaglich brummen!

Werner Häußner

 

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