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ESSEN/ Aalto-Theater: TANNHÄUSER. Neuinszenierung

29.09.2022 | Oper international

Essen / Aalto-Musiktheater: „TANNHÄUSER“

Besuchte Vorstellung am 28.09. 2022

tann
Copyright: R.Forster

Am 25.9. fand die Premiere zu Richard Wagners „Tannhäuser“ am Aalto-Musiktheater statt, nach Ansicht der Photos dachte ich so bei mir, sehen ästhetisch aus und animierten  mich zum spontanen privaten Besuch der zweiten Aufführung. Allerdings konnte ich nicht erahnen, dass sich wieder Regie-Banausen ohne Rücksichtnahme schamlos an Wagners romantischer Oper  vergriffen. Paul-Georg Dittrich gelang zwar eine interessante Personenführung, von den großartigen Sänger-Darsteller:innen vorzüglich dargeboten, jedoch lediglich im falschen „Film“. Im Venusberg war nix los, keine Erotik, lediglich Ringelpietz mit anfassen,  Bodenakrobatik, verzweifeltes Händeringen, Publikumsblendungen und Kulissengerümpel. Zu viel – zu viel, rief Tannhäuser, ein Kinderwagen wurde ihm untergejubelt somit hielt es ihn vermutlich mindestens neun Monate in dieser Tristesse. Ich persönlich hätte spätestens  nach einer Woche das Weite gesucht. Im zweiten Akt ging es munterer zu, wir befanden uns zwei Jahrtausende rückwärts in Athens Philosophen-Schule, mit Videoeinblendungen (Vincent Stefan) die skurrilen Trivial-Szenerie illustriert zu fast uniformen weißen Satin-Gewändern (Lena Schmid). Auf fast leerer Bühne (Pia Dederichs) harrten die Akteure in Alltagskleidung auf einer Bank sitzend ihres Einsatzes im drittenAufzug. Dann kam auch endlich Leben in die Bude: Wolfram küsste Elisabeth und erdrosselt sie im Liebesrausch. Entschuldigung – geht´s noch?

Bar der absurden Szene gab es von der musikalischen Komponente nur Positives zu berichten:

Bereits zur Ouvertüre wurde dem Hörer bewusst, ein außergewöhnliches, musikalisches, großartiges Ereignis steht bevor. Umsichtig waltete Tomás Netopil am Pult der prächtig disponierten Essener Philharmoniker und legte eine sehr eindringliche Lesart der Partitur vor. Zart getönt erhob sich die Pilgerchor-Melodie in den Holzbläsern und Hörnern, schwoll von Posaunen eingebettet in ein flirrendes Geflecht schimmernder Geigenfiguren, trugen den Ruf der Gläubigen glanzvoll hervor, bis das Thema allmählich zurücksank und verklang. Schwirrende Violinen, lockende Bratschen, betörende Holzbläser zauberten die schwüle Sinnlichkeit des Venusberges (zumindest akustisch) herbei. Klarinetten künden die Göttin an, Geigen säuselten Tannhäusers Liebeshymne, der Orchesterklang schwoll an zur Ekstase, verhallte erneut im frommen Gesang. Auf wunderbare Weise brachte Netopil Wagners Prosa und Poesie dank es exzellent aufspielenden Klangkörpers in wunderbaren Formationen zum Klingen, bescherte lukullisch-akustische Hörgenüsse pur. In bester Koordination vereinte der versierte Dirigent mystische Lyrismen mit dynamischen Aspekten zu glamourös-latentem Gesamtklang und erwies sich zudem als umsichtiger Sängerbegleiter. Bravo!

Sorry meine Herren, ich gebe in galanter Weise den Damen den Vorrang. Emanzipiert, fordernd in freudiger Erregung, in tiefer Liebe entbrannt, anmutig, attraktiv kam Elisabeth daher und auf geniale Weise verstand es Astrid Kessler jene Emotionen auch vokal umzusetzen. Der Klang ihres jugendlich-jubelnden, herrlich timbrierten Soprans war einfach überwältigend, wie ebenso die Feinheiten der Phrasierungen, die Sinnhaftigkeit des Ausdrucks mit immensen Schattierungen, strahlendem Höhenpotenzial zu kombinieren. Jene bewundernswerten Attribute ließen die exzellente Sängerin auch in glücklicher Konstellation betörenden Piani und herrlicher Legato-Kultur zur idealen Rollenvertreterin avancieren.

In allen Lagen aufblühend schenkte Deirdre Angenent der Venus imposante vokale Würde, führte ihren hellen Mezzosopran in bester Manier über die vertrackten Oktavensprünge der vielschichtigen Partie, ließ lediglich die sinnliche Wärme ihrer Tonsprache vermissen.

Intonationsrein, perlend mit hell strahlendem Sopran sang Mercy Malieloa den Hirt und durfte wie „sinnvoll“ gleich einem Script-Girl als Engel durch die drei Aufzüge geistern.

In kraftvollen Differenzierungen beeindruckte Daniel Johansson in stets beständiger qualitativer Vokalise als Tannhäuser. Der schwedische Sänger verfügt über eine beachtliche Bandbreite tenoraler Vorzüge, verstand es intelligent sein maskulin-viriles, schön timbriertes Material sehr höhensicher einzusetzen. Imposant jonglierte der Sympathieträger mit Stimmfarben zu bester Artikulation.

Es ist schon eine Weile her, dass ich Heiko Trinsinger letztlich hörte und ließ mit edlem Timbre aufhorchen. Zu bewegend-intensiver Darstellung charakterisierte der Sänger einen großartigen Wolfram. Kernig, bestens differenziert ließ Trinsinger seinen voluminösen Bariton in strahlender Leuchtkraft und dunklen Couleurs erklingen. Wunderschön, anrührend in schier schlichter Tongebung vernahm man das Lied an den Abendstern.

Nobel, tenoral hell strahlend kündete Mathias Frey als Walther von Tugenden geistiger Liebe. In imposanter Bühnenpräsenz ließ Albert Pesendorfer (Landgraf Hermann) sein mächtiges, helles Basspotenzial erschallen. Zu sonoren Basstiefen wies Andrej Nicoara als Biterolf den Hitzkopf Tannhäuser in die Schranken. Raphael Wittmer (Heinrich), Bart Driessen (Reinmar) sowie die vier Edelknaben aus dem Aalto-Kinderchor fügten sich prächtig in das erlesene Ensemble.

Ob in feinen Nuancen oder gewaltigen Fortissimo setzte der vorzüglich einstudierte Chor und Extrachor des AMT (Klaas-Jan de Groot) vorzüglich vokale Glanzlichter.

Mit lautstarken Bravo-Rufen und zehn Minuten prasselndem Finale-Applaus feierte das begeisterte Publikum alle Mitwirkenden. Eine musikalisch sehr lohnenswerte Reise.

Gerhard Hoffmann

 

 

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