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ESSEN/ Aalto-Theater: MACBETH. Premiere

04.09.2023 | Oper international

ESSEN: MACBETH – Premiere
3.9.2023 
(Werner Häußner)

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Foto: Alvise Predieri

Finsternis total. Dann diffuses, graues Licht, eine Wand. Allmählich schälen sich Gestalten aus dem nebulösen Dämmer, mit dem Franck Evin die Kastenbühne Frank Philipp Schlößmanns  überzieht. Etwas kriecht über verbrannte Materie am Boden, die später immer wieder zu schwarzen Hügeln aufgehäuft wird. So einen Tag haben sie noch nie gesehen, versichern sich Banco und Macbeth, und gleich werden sich in Giuseppe Verdis Oper über den blutigen Feldherrn Shakespeares die Hexen auf die beiden Krieger zuwälzen, ihre Beine umklammern. Kein Entkommen.

In der Inszenierung der 1999 geborenen Emily Hehl öffnet die Bühne einen Raum, in dem sich die Triebkräfte und Emotionen der Personen in ausufernden Choreographien entfalten. Körperliche Expression will Gesang und Spiel ergänzen. Agata und Teodora Castellucci, Mitglieder der Performancegruppe „Dewey Dell“ zitieren Gesten aus der bildenden Kunst, aber auch Banalitäten der „freien“ Tanzszene, um innere Zustände in Bewegung zu übersetzen. Im Kopf von Macbeth rasen die Gedanken und spiegeln sich im wilden Zucken von Performerinnen im Raum der Bühne. Wenn Lady Macbeth ihre düstere Gier nach Macht beschwört, wackelt eine erratische Gestalt schweigend mit dem Kopf. Später wird die Lady diesen Kopf selbst zu bewegen versuchen. Aber die Machtübernahme über das Innenleben, das Unterbewusste, vielleicht auch die in ihren Seelenklüften lauernde Bosheit will ihr nicht glücken.

Emily Hehl hat diese Szenenbilder offenbar präzise erdacht. Aber die Konsequenz aus dem engen Bezug von Innen- und Außenraum vermittelt sich nur schwer. Der zweite Akt, der vom Kontrast des brillanten äußeren Auftretens des neuen Königspaares mit der Überwältigung Macbeths durch seine inneren Angstvisionen lebt, bleibt als lähmender Gespensterreigen blutleer. Die Hexenszenen des dritten Aktes – endlich traut sich eine Regie einmal, die fantastische Ballettmusik Verdis aus der Pariser Überarbeitung von „Macbeth“ einzubeziehen – verzetteln sich zwischen Hängern in fleischigen Rot- und Orangetönen. Sie behaupten einen Gegensatz zu den Schwarz-, Grau- und Weißtönen der Bühne, lösen sich aber als Bildmetapher auch wegen der begrenzt originellen Körperaktionen der Tänzerinnen Anna Maria Papaiacovou, Julia Schalitz und Sena Shirae nicht ein. Der an sich selbst schwer tragende Macbeth sitzt derweilen halbnackt auf einer Scheibe außerhalb und betrachtet sich selbst.

Die berühmte Nachtwandelszene wirkt beinahe zitathaft, könnte auch vor 50 Jahren an der Scala so hingestellt worden sein – und der Coup, der die von Angstgespinsten gepeinigte Lady verschwinden lässt, erzeugt Schmunzeln im Publikum. Eine ehrgeizige Inszenierung, die in ihrer eigenen Herausforderung stecken bleibt. Emily Hehl ist eine Senkrechtstarterin; von daher ist die Verpflichtung der jungen Frau kein schlechter Griff der neuen Aalto-Intendantin Merle Fahrholz: Hehl hat bei klingenden Namen der zeitgenössischen Regieszene assistiert, war 2021 bei Jan Lauwers „Intolleranza“ mit dessen „Needcompany“ in Salzburg und bei AMOPREA beim Klangforum Wien dabei, macht demnächst an der Wiener Staatsoper bei Lauwers‘ „Le Grand Macabre“ mit und inszeniert am 13. Januar 2024 in Dortmund die deutsche Erstaufführung der Oper „La Motagne Noire“ („Der schwarze Berg“) der vergessenen französischen Komponistin Augusta Holmès aus dem Jahr 1895: Man darf der jungen Regisseurin dafür wünschen, dass sie für die Klarheit des Gedankens sinnlich schlüssige Bildwelten findet.

Die „Macbeth“-Premiere war auch der Abend des neuen Essener Generalmusikdirektors Andrea Sanguineti. Er ist am Aalto-Theater wohlbekannter Gast gewesen (zuletzt mit Donizettis „Lucrezia Borgia“ und Verdis „Don Carlo“), dirigiert Bellini in Hannover, Toulon und Strasbourg. Verdis untergründige, in unendlichen Nuancen des Leisen und des Majestätischen bebende Partitur will ihm dennoch nicht so recht aus der sorgfältig Zeichen setzenden Hand fließen. Düstere Größe und zehrende Wehmut sind schon im Vorspiel instrumental vom Orchester einwandfrei bewältigt, in der Haltung aber zu neutral nebeneinander; prägnante Staccati und Rhythmusfiguren klingen eher nach lyrischem Donizetti als nach der zupackenden Schärfe des jungen Verdi (Man muss es deswegen nicht plakativ knallen lassen!). Und die häufigen Generalpausen erklären sich nicht, zerreißen aber den Drive des Abends.

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Foto: Alvise Piedieri

Nur selten baut Sanguineti das innere Drängen der Musik auf – so im großen Sextett mit Chor, das in erfülltem musikalischen Duktus und spannender dynamischer Entwicklung gelingt. Da ist auch der Chor von Klaas-Jan de Groot mit prachtvollem Klang dabei. Im Klagegesang des vertriebenen Volkes über die unterdrückte Heimat wollen sich die Stimmen dagegen nicht recht finden, weil Hehl die Chorsängerinnen und –sänger über die Bühne sprenkelt und so den Klang splittet.

Wie schon vor 10 Jahren, als Hein Mulders und Tomáš Netopil ihre Essener Amtszeit ebenfalls mit „Macbeth“ begannen, verbreiten die Solisten nur gebrochenes Glück. Der neue Sopran im Ensemble, Astrik Khanamiryan, ist eine Enttäuschung: Vibrato und sonst nichts. Die Stimme steigt zwar in eine porzellanpolierte Höhe, aber hat keinen Kern und verwabert, was an expressiven Farben gefordert wäre. Mit den Forderung Verdis, die Lady „hässlich“ zu singen, hat das nichts zu tun. Als Macbeth gastiert der momentan sehr erfolgreiche Bariton Massimo Cavalletti: Er versteht es, leise und dennoch spannungsvoll zu singen; wenn die Stimme blühen soll, werden aber schnell Grenzen erreicht. Cavalletti weiß, wie er in seiner Paradearie „Pietá, rispetto, amore“ die verlorenen Werte eines gelingenden Lebens mit Wehmut zu betrachten hat und nähert sich eindrucksvoll einem gestaltenden Belcanto, ohne aber die stilistische Perfektion seiner berühmten Fachkollegen zu erreichen. Dennoch ein beachtliches Debut.

Auch der Tenor Alejandro del Angel bemüht sich in seiner einzigen Arie, während er aus unerfindlichen Gründen an einem Seil ziehen muss, um expressiven Schönklang, ohne die Stimme auszustellen. Das hat Potenzial und man wartet gerne auf eine Partie, in der del Angel auch andere emotionale Facetten zeigen kann. Bancos düster-balsamische Vorahnungen singt Sebastian Pilgrim standfest, aber mit seltsam in die Kehle rutschenden Vokalen und nicht unangefochtener Linie. Marie-Helen Joël (Kammerfrau), George Vîrban (Malcolm) und Michael Kunze (Arzt) ergänzen die Besetzung als bewährte Ensemblemitglieder.

In den Beifall mischten sich kräftige und ausdauernde Buhs für die Regie. Ein gebremster Start in eine neue Spielzeit, die mit Raritäten wie Louise Bertins vergessener „Faust“- Oper und „L’amant anonyme“ von Joseph Bologne – zu Mozarts Zeiten eine prominente Figur der Pariser Kulturszene – noch einige Leckereien verspricht. Zunächst aber richtet sich der Blick auf eine andere „Lady“: Eliza Doolittle wird sich ab 30. September im Aalto-Theater wohl eher „fair“ verhalten als Shakespeares macht- und mordlüsterne Protagonistin, die – nebenbei bemerkt – in Johan Simons Schauspiel-Inszenierung nebenan in Bochum noch einige Male zu erleben ist.

Werner Häußner

 

Macbeth / 16., 20., 29.9., 21., 27.10., 5., 12., 16.11., 14.12. / Aalto-Theater Essen / 0201 81 22 200.

 

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