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ESSEN/ Aalto Musiktheater: RIGOLETTO – erste Aufführung nach der Premiere

26.01.2017 | Oper

ESSEN: RIGOLETTO    

 Premiere am 21. November                Besuchte Zweitaufführung am 25. November

Ein Musikdramatiker in Tönen war Verdi von Anfang an, ein Dramatiker mit Empfinden für angemessene Librettotexte aber erst im Laufe seines Lebens. „Rigoletto“ basiert auf dem Victor-Hugo-Drama „Le roi s’amuse“. Dramaturgische und rhetorische Entsprechungen im Detail zu untersuchen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Große Begeisterung für das Sujet führten jedenfalls zur Opern-Umarbeitung durch Francesco Maria Piave. Der früher entstandene „Macbeth“ hält heutigen psychologischen Ansprüchen freilich besser stand als die Story um den bucklichten Hofnarren.

Man kann sich natürlich vorrangig an der hoch inspirierten, schlagkräftigen Musik delektieren, welche nach wie vor begreiflich macht, dass „Rigoletto“ zusammen mit „Trovatore“ (trotz weitgehend papierener Handlung) und „Traviata“ (endlich etwas für damalige Zeiten Heutiges) eine bis heute unschlagbare Popular-Trias bildet. MATTEO BELTRAMI macht das am Pult der ESSENER PHILHARMONIKER auf außerordentlich nervige Weise hörbar. Er lässt Lyrisches in Ruhe an- und ausklingen, bezwingt aber vor allem mit dramatischem Brio. Selten hört man bei „Cortigiani“ die aufgeputschten Streicherfiguren so erregt und konvulsivisch wie am Aalto Musiktheater.

Wie aber mit der Story umgehen? FRANK HILBRICH (Regie), VOLKER THIELE (Bühnenbild) und GABRIELE RUPPRECHT (Kostüme) haben sich alle Mühe gegeben, sie auf Verbindlichkeit zum Heute abzuklopfen (Konzeptionsgespräch im Programmheft). Thieles Bühne mit ihren schwarz verspiegelten Wänden, deren fast ständig in Bewegung gehaltene Drehtüren oft schmerzhafte Lichtreflexe von außen herein lassen, lässt doppelbödige, ja doppelgängerische Wirkungen entstehen. Ein lila Vorhang suggeriert Bühne auf der Bühne wie auch Zirkusatmosphäre. Der ganze vierte Akt wird in der Tat zu einer (imaginär zu denkenden) Show-Demonstration Rigolettos für den staunend am Boden kauernden Chor.

Frank Hilbrich verzichtet zwar darauf, in Standard-Szenen der Oper falsche Hintergründigkeit hinein zu geheimnissen, aber nach einem Nachweis tieferer Absichten sucht er schon sehr gezielt. Im Gewitter etwa sieht er einen „inneren Rachesturm“ Rigolettos. Dass dessen erste Begegnung mit Sparafucile laut Libretto in einer Sackgasse stattfindet, ist für den Regisseur keine lediglich pittoreske Szenenanweisung, sondern ergibt sich aus der „Perspektive Rigolettos auf diese Welt“. Der als Hofnarr zwangsverpflichtete Mann sieht klar, dass er sich verrannt hat, dass sein Weg ein hoffnungsloser ist. Im Herzog, welcher Frauen nach erstem rüden Begrapschen gleich wieder fort stößt (übrigens auch Gilda im dritten Akt), glaubt Hilbrich eine „große innere Verzweiflung“ zu erkennen. Aber wie sagt Büchners Doktor zu Woyzeck: „Er denkt zu viel.“ Ein Regisseur muss natürlich denken, reflektieren, hinterfragen, aber in Essen wirken manche interpretatorische Ideen doch allzu mühsam herbei gezerrt. Auch mit den fraglos symbolisch gemeinten Luftballons muss man sich nicht anfreunden.

Es gibt eine Szene, die das (neben Rigolettos Identitätsspaltung) zentrale Motiv der Oper optisch fesselnd und sogar erschütternd einfängt. Gildas „Tutte le feste al tempio“ ist das Geständnis eines pubertierenden Mädchens, dessen erotischen Lebensanspruch der Vater nicht wahrhaben will. Er bedeckt sich mit einem Tuch, um den Worten seiner Tochter zu entfliehen. Zuvor war ihm wohl auch nicht aufgefallen, dass Gilda mit ihren Teenager-Klamotten (u.a. modisch durchlöcherte Jeans) ganz anderes im Sinn hat, als immer nur brav in die Kirche zu gehen. Dieses Vater-Tochter-Verhältnis, eine fatale Mixtur aus Liebe, familiärem Wahn und Verständnislosigkeit hätte in der Inszenierung noch breiter Raum greifen dürfen. Dass Manches von der Handlung u.U. nur Einbildung des Titelhelden ist, deutet die Regie immerhin mit spannenden Momenten an. So erscheint die erdolchte Gilda im Schlussduett real auf der Bühne, singt von Tröstungen des Paradieses.

 Alle Nebenpartien sind in Essen respektabel nach Art des Hauses besetzt. In der Reihe des Besetzungszettels: BAURZHAN ANDERZHANOV (Monterone), MATEUSZ KABALA (Ceprano), LILIANA DE SOUSA (Gräfin Ceprano, Page), GEORGIOS TATROU (Marullo), ALBRECHT KLUDSZUWEIT (Borsa), MARIE-HELEN JOEL (Giovanna), SWEN WESTFELD (Gerichtsdiener). Aus der Maddalena wäre mehr machen gewesen als eine von oben bis unten blondierte Anonyma. Bei Bellinis Adalgisa konnte BETTINA RANCH zuletzt attraktiver agieren, bietet allerdings auch diesmal Präsenz und vokale Stimmigkeit. TIJL FAVEYTS leiht dem als Alter Ego Rigolettos gesehenen Sparafucile ausreichend Bassschwärze.

 Der junge portugiesische Tenor CARLOS CARDOSO (bei der Internet-Suche nach ihm stößt man übrigens zunächst fast nur auf einen mosambikanischen Journalisten gleichen Namens) weiß sich als Herzog mit seiner schlanken Figur locker und lockend auf der Bühne zu bewegen, verkörpert sinnfällig sexuell gewissenlose Lebensgier. Sein höhengestähltes Organ könnte man hierfür durchaus als passend potent empfinden. Auf Dauer fehlt es dann aber doch an Zwischentönen, eleganter Phrasierung und artikulatorischer Finesse. Der Rigoletto von LUCA GRASSI wirkt (auch im wohltönenden Gesang) noch recht jung (er ist Jahrgang 1975, hat von seinem elenden Leben also noch etliche Jahre vor sich, falls er ihm nicht vorzeitig ein Ende bereitet. Als Verzweifelter wütet Grassi nicht über Gebühr. Das verleiht seiner Darstellung eine gewisse Temperiertheit. Doch ist der Verzicht auf extremes Agieren auch wieder angenehm. In Essen war der Sänger bereits in „Ballo in maschera“ und „Straniera“ zu erleben.

Die rumänische Sopranistin CRISTINA PASAROIU (29) gewann in der besuchten Vorstellung die besondere Gunst des Publikums. Als Gilda wirkt sie bei aller Mädchenhaftigkeit nicht fragil, lässt weiblichen Eigensinn und erotisches Verlangen hautnah spüren. Dazu passt, dass die Stimme der jungen Künstlerin nicht ephebisch, sondern – bei aller Koloraturraffinesse – kernig und geerdet wirkt (dennoch könnten einige Höhen-Staccati feiner getönt kommen). Die Regie hätte u.U. noch stärker zeigen können, dass sich Gilda wie eine Gefangene fühlt, das ihre kreatürliche Liebe zum Vater von Widerstand und Trotz durchsetzt ist.

Christoph Zimmermann

 

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