Erstveröffentlichung auf CD: Richard Strauss: Ariadne auf Naxos Karl Böhm 1969
Deutsche Grammophon Eloquence Australien öffnet Schätze aus dem Backkatalog von Universal Music
Dem umtriebigen Produzenten und Musikliebhaber der australischen Universal Music Cyrus Meher-Homji ist es zu verdanken, dass – aus Sicht des Londoner Stammhauses – historische Randproduktionen ohne größeres Interesse für den gesamteuropäischen Markt – nunmehr wenigstens für den australischen Markt produziert werden und dadurch auch nach Europa gelangen. So jüngst die im September 1969 im Herkulessaal in München aufgenommene Ariadne auf Naxos, Karl Böhms einzige Studioproduktion dieser seiner gemeinsam mit Elektra wohl Lieblingspartitur seines Mentors Richard Strauss.
Angeblich wegen Erkrankung von Christa Ludwig ist Hildegard Hillebrecht in der Titelrolle eingesprungen, umgeben wird sie von einem prächtigen Ensemble mit Tatiana Troyanos als Komponisten, Dietrich Fischer-Dieskau als Musiklehrer (dieser Luxus ist wohl am besten vergleichbar, als wenn heute Jonas Kaufmann den Brighella singen würde), die silbern strahlende Reri Grist als Zerbinetta und Jess Thomas als Bacchus. In kleineren Rollen finden sich Gerhard Unger als Tanzlehrer, Barry McDaniel als Harlekin und Arleen Auger als Najade. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bereitet den prächtigst vorstellbaren Klangteppich, Karl Böhm dirigiert idiomatisch unnachahmlich, obschon er im Vergleich zu den Liveproduktionen aus Wien wesentlich breitere Tempi vor allem in den Ariadne Monologen und im Schlussduett wählt.
Natürlich kannte ich das LP-Cover der 1969-er Ariadne aus alten Vinyl Zeiten, hatte diese Aufnahme jedoch nie gehört, galt sie doch im Vergleich etwa zur Kempe Aufnahme mit Janowitz und erst Recht zur Karajans Produktion aus 1954 mit Elisabeth Schwarzkopf als zweite Wahl. Heute scheint eine Neubewertung dieser Aufnahme überfällig, zumal in der Zwischenzeit eine jede Menge anderer Strauss‘scher Ariadnes auf CD, DVD und Blu Ray auf den Markt gekommen sind. Im Vergleich zu dieser, meine ich, insgesamt wunderbaren Alternative zu den erstgenannten, schneiden da so manche prominentere jüngere Titelheldinnen eher schlecht ab. Hildegard Hillebrecht ist nämlich die große positive Überraschung für mich. In den Kritiken zur Veröffentlichung des Videos aus Salzburg hat man ihr ein eher weißes Timbre, mangelnde Emphase und Höhenprobleme attestiert. Unter mangelnder Emphase leiden außer Leonie Rysanek und Elisabeth Schwarzkopf so ziemlich alle Titelheldinnen, die schwierige Tessitura und langen Bögen verlangen der Titelheldin soviel ab, dass so mancher „steifer“ Spitzenton eher zur Normalität als zur Ausnahme gehört. Was stimmt: Frau Hillebrecht verfügt über keine außergewöhnlichen Stimmfarben, aber dafür über einen ruhig geführten, breit strömenden Sopran, der beinahe ideal für die Ariadne ist. Ihre Piani(ssimi) sind exquisit, die Bögen werden ruhig gespannt, Text und Musik gehen eine ideale Verbindung ein. Im Schlussduett leidet Hillebrecht manchmal hörbar unter den (zu) breiten Tempi, kurze daraus resultierende Intonationstrübungen und ein einziger harter Spitzenton sind aber das einzige, was man technisch kritisieren kann. Dafür aber welch klassisch heroischer Ton, welche vokale Pracht in „Hermes heißen sie ihn“, welch Ebenmaß in den unendlichen Legatophrasen, profunde Tiefe und klangliche Schönheit in der Mittellage und den hohen Piani. Ihr zur Seite darf Jess Thomas einmal mehr beweisen, dass er zur absoluten Spitze der Bacchus-Interpreten gehörte und mit baritonal gefärbten Heldentenor auch den Mount Everest aller Strausstenöre mit Bravour zu stürmen imstande war. Wenngleich die Höhenflüge nicht mehr ganz so unbefangen und leicht gelingen, wie als Kaiser fünf Jahre zuvor anlässlich der Wiedereröffnung des Nationaltheaters in München. Reri Grist ist als Zerbinetta ebenso genial und unangreifbar wie später Edita Gruberova. Beide ähneln einander sogar frappant in der Phrasierung und komödiantischen Textdeutung. Ein einziges Vergnügen. Im Vorspiel darf Tatiana Troyanos mit aller Emphase die heilige Musik verteidigen und ihr Musiklehrer Fischer Dieskau (wohl der beste aller Produktionen) einen pragmatischen Ausweg aus dem Schlamassel, das der reichste Herr aus Wien angeordnet hat, finden.
Die australische Eloquence Serie ist preislich sehr fair im mittleren Segment kalkuliert. In Berlin sind die Aufnahmen teils im normalen Handel erhältlich. Auf jeden Fall bieten Online Händler wie jpc oder die britischen Presto Classics die Aufnahmen auch für den österreichischen Musikliebhaber an.
Weitere Beispiele für exklusive Neuveröffentlichungen der australischen Freunde gefällig? Eine 11-teilige CD- Serie „The Art of Irmgard Seefried“, wo man alles, aber auch wirklich alles an Arien- und Liedraritäten finden kann, die diese unglaubliche Sängerin im Studio produziert hat. Oder die Gesamtaufnahme von Strauss‘ Rosenkavalier ebenso mit Seefried, Streich, Schech, Fischer Dieskau und Böhme mit der Staatskapelle Dresden unter Karl Böhm, die Norma mit der 24-jährigen Suliotis , Cossotto und del Monaco. Last not least möchte ich noch eine Rarität mit der in Wien allseits geliebten Edita Groberova nennen: Ferdinando Paers Lenora ossia l‘amore coniugale mit Ursula Koszut, Siegfried Jerusalem und Wolfgang Brendel mit dem Bayerischen Symphonieorchester unter Peter Maag. Eine nicht nur stimmlich ganz glanzvolle Produktion aus dem Jahr 1978 mit allen Sängern auf dem Zenit ihrer Möglichkeiten, sondern auch eine kompositorisch spannende Alternative zu Beethovens berühmterer ein wenig später geschriebenen Freiheitsoper Fidelio.
Dr. Ingobert Waltenberger