Tiroler Festspiele Erl:: „GÖTTERDÄMMERUNG“ – 10.7.2024
Foto: Xiomara Bender
Das szenisch aufwändigste der vier „Ring“-Dramen ließ ebenfalls nichts zu wünschen übrig. Jetzt, wo wir sozusagen in eine normale Welt zurückkehren – mit recht real gezeichneten, angeblich alles wissenden, recht selbstbewusst agierenden Nornen auf einer felsigen Höhe über dem Rhein, dann in Gunthers Hofhalle, auf dem Walkürenfelsen, vor Gunthers Halle und zuletzt in einer waldigen Gegend am Rhein, wo sich zuletzt Gunthers Halle auftut – da hat das Regieteam erfasst, dass es hier jede Menge Komplikationen gibt, dass nicht alle uns an den ersten drei Abenden vorgestellten Personen ihrer selbst sicher sind – Politik spielt herein, Machtlüsternheit – und kriegsbereit, wie auch der zur Wacht sitzende Hagen, tritt auch erstmals ein großer Chor auf, der seinem jeweiligen Herrn folgen muss. Waltraute hat sich warnend zu ihrer Schwester Brünnhilde gesellt, dass sie sich vom fatalen Ring trennen möge…Die will jedoch auf ihr Liebespfand nicht verzichten…
Das alles wissen wir Wagner-Kenner. Aber nicht immer wird es so trefflich umgesetzt.
Und wenn ich heute am Rhein entlang gehe oder im Zug fahre und sehe, wie der Fluss an allen Seiten verbaut ist, von Hochhäusern, Fabriken und dutzenden Industriezentren, die jede Schönheit entbehren, jede Menge Ausländer beschäftigen und das einst romantische Rheintal bis zur Unkenntlichketi verändert haben – da wird die ganze Wirrnis, die den „Ring“ umkreist, verständlich. Keiner der Wagnerschen Menschen darf mehr er oder sie selbst sein. Mit einem komplexen Bühnenbild, mehrstöckig, mit vielen Treppen, die einen nicht ahnen lassen, wohin sie führen, entwickelt sich die Handlung ins Ungewisse… Siegfried vergisst Brünnhilde und wendet sich der schönen, schlanken jungen Gutrune zu, Gunther erwählt sich Brünnhilde zur Frau, und – Hagen erwartet sich den Wiederbesitz des Ringes….Die zuvor ganz klar gezeigte Bühne ist verwirrend mit den vielen Treppen, Gängen – jedoch alles im Einklang mit der Musik. Keiner der hier auftretenden Menschen ist mehr er selber.
Als es Hagen gelungen ist, Siegfried einen Trank zu bieten, der ihm Klarheit darüber verschafft, dass Brünnhilde seine „heilige Braut“ war, da ist das Unglück geschehen: Hagen tötet ihn. Und Brünnhilde nimmt den Ring an sich und übermittelt ihn den Rheintöchtern, die Hagen in die Tiefe ziehen. – Wie das alles adäquat zur Musik optisch gestaltet wurde – man müsste es ein Dutzend Mal sehen, um alles zu begreifen. Aber die überwältigende Musik mit dem ebenso perfekten Gesang aller Beteiligten und mit des genialen, weil von Erik Nielsen genial geführtem Orchester, Aussagekraft – das war nun in Erl alles ein Weltereignis – wie von Wagner geschaffen, wohl wissend, dass es in aller Welt sich täglich ereignet – man höre die täglichen Nachrichten …
Köstich schon einmal die drei Nornen, jede sich besonders klug wähnend, selbst das Gesungene gleichsam hinterfragend und an den möglichen Konsequenzen weiterstrickend: Marwig Monreal, Anna-Katherina Tonauer und Elizabeth Reiter.
Die einen gerade in der „Götterdämmerung“ oft zu lang dünkenden Texte der einzelnen Personen benötigt starke Sängerpersönlichkeiten, die den Sinn aller Worte hörbar und sichtbar auszuschöpfen vermögen: Brünnhilde – Christiane Libor und Siegfried – Vincent Wolfsteiner konnten es! Aus einsamer felsiger Höhe sangen sich die beiden -getrennt – in die ungewisse Zukunft am dicht besiedelten Rhein.
Der vorgesehene Sänger des Gunther, Manuel Walser, musste wegen Indisposition ersetzt werden und konnte nur agieren, während der Einspringer, kurzfristig angereist, vom Notenpult aus die Partie exzellent sang. Die Aktionen aller anderen Solisten wie auch des Chores bezeugten, dass da eine exzellente, wohldurchdachte Regie dahintersteckte.
Gutrune – Irina Simmes, eine hübsche, schlanke junge Frau, konnte vokal und darstellerisch ihre Position glaubhaft machen und Siegfried beeindrucken: Für Vincent Wolfsteiner schien nun der Tatendrang eine Selbstverständlichkeit – und wie er jedem diesem Helden von Wagner auferlegten Sinnen und Trachten mühelos folgte, visuell jede Emotion ebenso erkennen ließ wie vokal: großartig! Bis zum „süßen Vergehen“ in „seligem Grauen“ von Brünnhilde imaginiertem letztem Gruß.
Auf der Bühne, wo das Regieteam im letzten Akt in einem bühnenbeherrschenden Wald kreuz und quer Baustämme legen ließ, weil es ja Klarheiten in dieser Welt nicht mehr gab, wähnte sich der schon recht irre Hagen – Robert Pomakov – der Sieger schlechthin, ehe die Rheintöchter ihn in die Tiefe zogen. Was sich da zuletzt optisch abspielte, zwischen Naturgegebenheiten und menschlichem Versagen – aus der Musik, die glorios aus dem Bühnenhintergrund ertönte, war nochmals alles herauszuhören, was in der Tetralogie vorgefallen war – jetzt mit dem denkbar prachtvollsten Orchesterklang.
Der Schlussapplaus hätte eigentlich verdient, die ganze Nacht lang zu dauern. Dass sich Christine Fassbaender in der linken Ecke unterhalb der Bühne einmal kurz zeigte, vermochte ihr nicht den gebührenden Jubel einzubringen, zumal ja auch die Zuschauer aus dem ganzen Saal bereits von dannen strebten…
Auf zum zweiten Erler „Ring!
Sieglinde Pfabigan