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ERIKA GRIMALDI: Eine neue Stimme im dramatischen italienischen Repertoire – eine große Hoffnungsträgerin im Spinto-Fach

11.07.2024 | Sänger

ERIKA GRIMALDI: Eine neue Stimme im dramatischen italienischen Repertoire

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Erika Grimaldi. Foto: Victor Santiago

Die italienische Sopranistin Erika Grimaldi ist eine der großen Hoffnungsträgerinnen im italienischen lirico spinto Fach. In den letzten zwei Jahren hat sie mit großem Erfolg in Italien und Spanien Rollen wie Aida, Leonora in „La forza del destino“, Lady Macbeth, Manon Lescaut und Tosca erstmals gesungen. Am Opernhaus Zürich wird sie momentan als Maddalena in „Andrea Chénier“ gefeiert und wird dort im Winter ihre erste Amelia in einer Neuinszenierung von „Un ballo in maschera“ singen. Mit dem Neuen Merker hat sie über ihr aktuelles Engagement in Zürich, ihre langjährige Verbindung mit dem Teatro Regio in Turin, ihren Repertoirewechsel und darüber wie man sieben große Rollendebüts in zwei Jahren schafft gesprochen.

Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihr Studium und über Ihre Anfänge als Sängerin. Wann begann Sie der Sängerberuf zu interessieren und wann haben Sie beschlossen, Sängerin zu werden?

Ich habe im Alter von 5 Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Dieses Klavier hatte ich damals von meinen Eltern, und es zog mich magisch an. Als meine Eltern mich fragten, ob ich Lust hätte, Sport zu treiben, antwortete ich, dass ich Klavier lernen wollte. Und so fing ich damit an und beschäftigte mich dann sofort mit allem, was mit klassischer Musik zu tun hatte. Dann sang ich zum Vergnügen immer die Titelmelodien von Zeichentrickfilmen oder Kinder- oder Sanremo-Liedern, die damals in Mode waren. Besonders viel Spaß macht es mir aber, die Stimme Pavarottis oder Bocellis zu imitieren, der damals gerade sehr berühmt geworden war. Am Konservatorium besuchte ich die Chorgesangsklasse und der Lehrer schlug mir vor, für die Sologesangsklasse vorzusingen. Sie nahmen mich auf und von da an studierte ich Gesang. Meine erste Oper auf der Bühne war „La serva padrona“ im Alter von 18 Jahren, die ich selbst einstudierte. Und niemand hatte mir jemals beigebracht, wie man eine Oper einstudiert. Ich hatte offensichtlich die musikalischen Kenntnisse, um es selbst zu tun, aber wusste nicht, dass eigentlich ein Pianist benötigt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine spätere Gesangslehrerin noch nicht kennengelernt.

Während der Proben von „Serva Padrona” lernte ich den Sänger des Uberto kennen, der 20 Jahre älter war und eine große Karriere machte. Ich war fasziniert, und von da an war mir klar, was es bedeutet, auf einer Bühne zu stehen und eine Oper auf die Bühne zu bringen.

 

Vor einigen Jahren, nach der Pandemie, haben Sie einen Repertoirewechsel hin zu dramatischeren Rollen begonnen. Wie kam es dazu? Hatte sich Ihre Stimme verändert

Diese Entscheidung fiel nicht über Nacht, sondern war das Ergebnis einer stimmlichen Entwicklung, die sich nach Jahren der Karriere und des Studiums vollzog. Meine Stimme ist auf jeden Fall reifer und größer geworden, weil es der Körper selbst ist, der sich zusammen mit der Stimme entwickelt. Darüber hinaus war die Zeit der Pandemie sicherlich eine Zeit der intensiven Arbeit an meiner Stimme und an Rollen. Ich hatte viel Zeit, diese neuen Rollen zu Hause einzustudieren und zu versuchen zu verstehen, ob sie für meine Stimme geeignet sind oder nicht. Auf jeden Fall war es ein schrittweises Annähern, sowohl stimmlich, als auch stimmtechnisch. Es handelt sich um Rollen, die aufgrund der Geschichten, die sie erzählen, auch aus interpretatorischer Sicht sehr spannend sind. Mit Charakteren, die starke Persönlichkeiten haben. Aber sie zu singen, muss natürlich auch mit einer stimmlichen Entwicklung einhergehen, die es möglich macht, dieses Repertoire zu bewältigen. Es gibt also nichts, was mich über Nacht überzeugt hat, es verlief eher schrittweise und wurde durch die Notwendigkeit, aufgrund der Quarantänen zu Hause zu bleiben, angeregt. Ich hatte eine Veränderung und Entwicklung meiner Stimme bemerkt, die ich bestmöglich unterstützt habe, ohne irgendeine Stimme zu imitieren, die nicht meine ist. Darüber hinaus hatte ich direkt nach der Pandemie Vorsingen in einigen Theatern, in denen ich noch nie aufgetreten war. Immer für Rollen, die ich zu diesem Zeitpunkt bereits im Repertoire hatte, aber stattdessen wurden mir mehrmals „schwerere“ Rollen angeboten, und das hat mich sicherlich auch zum Nachdenken gebracht. Es wurde mir klar, dass meine Richtung in diesem Moment vielleicht eine andere hätte sein sollen, als weiterhin nur die Rollen zu singen, die ich bereits im Repertoire hatte. Auch das war ein wichtiger Impuls für mich, diesen Weg zu gehen.

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Erika Grimaldi. Foto: Victor Santiago

Maddalena di Coigny ist eine der ersten dieser dramatischeren Partien, die sie gesungen haben. Können Sie uns sagen, warum Sie sich vor zwei Jahren entschieden haben, diese Rolle zu singen? Was sind die Merkmale dieser Partie, was die stimmlichen und darstellerischen Herausforderungen?

Der Wendepunkt in diesem Repertoirewechsel war tatsächlich die Maddalena in „Andrea Chénier“, die ich vor zwei Jahren zum ersten Mal in Bologna sang. Warum habe ich mich dazu entschieden, diese Rolle zu singen? Um ehrlich zu sein war es ein Vorschlag, der aus heiterem Himmel vom Theater kam, also war es nicht meine Initiative. Ich hatte mein Repertoire noch nicht wirklich geändert, hatte kurz vorher nur die Leonora in “Il trovatore” zum ersten Mal gesungen. Diese Rolle war bereits ein wenig anders als mein übliches Repertoire. Ich war von diesem Angebot für „Andrea Chénier“ sehr überrascht und musste lange nachdenken, bevor ich zugesagt habe, auch wenn ich mich sehr geschmeichelt fühlte. Das lag auch daran, dass die anderen Sänger in dieser Produktion sehr berühmt waren und mit ihnen zu singen eine große Ehre für mich war. Worüber ich mir Sorgen machte, war, ob ich dieser Rolle in diesem Moment meiner Karriere gerecht werden würde. Denn es ist nicht nur eine Frage der Arbeit an der Stimme. Entweder ist man geeignet, eine bestimmte Rolle zu singen, oder eben nicht. Und ich hatte Angst, mich zu überschätzen. Bevor ich also zusagte, beschloss ich mit meiner Lehrerin, die gesamte Rolle sorgfältig zu lernen und zu sehen, wie meine Stimme reagierte. Ich habe mich dann dazu entschlossen, das Angebot anzunehmen, weil ich das Gefühl hatte, dass die Maddalena perfekt zu mir passt. Es ist eine Rolle, die natürlich schon dramatisch ist, aber nicht allzu lang und deshalb nicht müde macht. Ich komme stimmlich problemlos bis zum Ende, ohne müde zu werden. Der Schreibstil ist sehr, sehr sanft, obwohl er Merkmale einer Verismo-Oper aufweist. Die Herausforderung war also nicht so sehr eine technische, da ich immer mit meiner eigenen Stimme gesungen habe. Die große Herausforderung bestand darin, sich einen anderen Gesangsstil zu Eigen zu machen, denn richtig zu singen bedeutet, jedes Stück und jeden Komponisten richtig zu singen. Maddalena liegt teilweise recht tief, was dazu führt, dass man mehr geben möchte, und deshalb muss man sich einfach beherrschen und immer einen Schritt zurück machen, wenn man das Gefühl hat, zu viel zu geben.

Letztendlich war meine Maddalena in Bologna ein Erfolg, sogar ein großer Erfolg. Ich war also sehr zufrieden damit und denke, dass ich die richtige Wahl getroffen habe. Als ich dann erfuhr, dass ich diese Rolle in Zürich noch einmal singen darf, war ich natürlich sehr glücklich. Ich freue mich sehr, mit dieser Rolle an diesem tollen Theater zu debütieren. Ich mag die Rolle wirklich sehr und bin dankbar, dass mir dieses Werk und diese Partie zu dieser wunderbaren Gelegenheit verholfen haben.

 

Hat sich Ihre Maddalena in den letzten zwei Jahren verändert?

Diese Antwort habe ich zum Teil bereits in der letzten Frage beantwortet. Es ist nicht so, dass sich meine Maddalena komplett geändert hätte. Aber dass ich sie in Bologna mit vielen Proben gesungen habe, hat mir die Möglichkeit gegeben, mich mit der Partie zu messen, sowohl stimmlich, als auch was die Bewegungen auf der Bühne angeht. Denn jeder Künstler misst sich erst einmal mit der Rolle, versucht zu verstehen, wo man mehr geben kann, wo es besser ist, ein wenig zu sparen. Das ist sehr wichtig bei einer Hauptrolle, die derart komplex ist und sich derart innerhalb des Stücks entwickelt. Nach zwei Jahren habe ich natürlich mehr Erfahrung mit dieser Rolle, auch wenn es erst das zweite Mal ist, dass ich sie singe. Und jedes Mal, wenn ich sie singen werde, wird sie sich ein wenig entwickeln. In diesem Fall hier in Zürich handelt es sich um konzertante Vorstellungen, bei denen wir vorne auf der Bühne spielen und miteinander interagieren, die also vor dem Orchester in Szene gesetzt sind. Das heißt, dass der szenische Aspekt natürlich etwas limitiert ist, wenn man es mit einer szenischen Produktion vergleicht. Ich kann mich also noch besser als bei einer szenischen Fassung der Stimme widmen.

 

Was sind Ihre Eindrücke von Zürich?

Ich war noch nie hier in Zürich, abgesehen von einem Vorsingen vor Jahren. Ich muss sagen, dass ich sehr beeindruckt bin. Im Theater arbeitet man wirklich gut, alles ist perfekt organisiert, die Zusammenarbeit mit allen ist toll und jeder hat einfach den Wunsch, die Dinge so gut wie möglich zu machen, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Ich habe ein hervorragendes Team vorgefunden, sowohl beim Theaterpersonal als auch bei meinen Kollegen, und das ist mir immer sehr wichtig. Die Stadt ist wunderbar, alles ist aufgeräumt, sauber, funktioniert wunderbar, und es gibt deshalb kaum Ablenkungen. Ich muss sagen, dass ich sehr glücklich bin, hier zu sein, und dass ich ebenso glücklich bin, im Herbst zurückzukommen, um den „Maskenball“ zu proben, und dann im Winter die Vorstellungen zu singen. Ich hoffe wirklich, dass es in Zukunft noch weitere Gelegenheiten geben wird, in Zürich aufzutreten.

 

In den letzten beiden Spielzeiten debütierten Sie in sechs großen Rollen, vier von Verdi (Leonora in “Il Trovatore” und “La forza del destino”, Aida und Lady Macbeth) und zwei von Puccini, Manon Lescaut und Tosca. Können Sie uns etwas über jeden dieser Charaktere sagen?

Ja, die letzten zwei Spielzeiten waren eine besondere Herausforderung, denn es handelt sich tatsächlich um große Rollen, und es war daher eine sehr anspruchsvolle Zeit. Es ist nicht einfach, von einem zum anderen zu wechseln, jede dieser Rollen hat natürlich ihre ganz eigenen Eigenschaften und Herausforderungen. Ich habe zunächst mit der Leonora im „Trovatore“ begonnen, einer Rolle, die zwar anders ist als alle anderen, die ich davor gesungen habe, aber dennoch eher lyrisch ist und die ich konzertant gesungen habe. Dann kamen die dramatischeren Rollen, und von denen aus der Feder Verdis hat mich die Aida am meisten fasziniert. An ihr habe ich besonders hart gearbeitet, denn es ist eine Mammutrolle, die von Anfang bis Ende zu singen hat und immer auf der Bühne steht. Rollen wie die Aida müssen lange verinnerlicht werden, es sind keine Charaktere, die improvisiert werden können, sowohl stimmlich, als auch was die Interpretation angeht. Das heißt, sie müssen Note für Note, Takt für Takt studiert werden. Was Leonora in „Forza“ betrifft, war sie vielleicht die Figur, die mich emotional am meisten in ihren Bann gezogen hat, und die mir besonders nahe gegangen ist. Auf der anderen Seite hatte ich viel Spaß mit der Lady Macbeth, weil sie eine Figur ist, die so temperamentvoll ist und so weit von meiner Persönlichkeit entfernt ist. Ich könnte im Leben nie so sein und sie ist mir nicht ansatzweise nah. Für mich war es eine große Herausforderung, aber gleichzeitig hat es auch sehr viel Spaß gemacht, eine Rolle zu spielen, die ich im wahren Leben nie sein werde. Deshalb ist es eine sehr, sehr schöne Partie, die in ihrer Bosheit sehr linear ist. Was Puccini betrifft, war Manon Lescaut diejenige, die mich am meisten fasziniert hat. Es ist eine sehr lange Rolle, meiner Meinung nach keine klassische Puccini-Rolle. Nun ja, der Schreibstil ist nicht ganz der des klassischen Puccini, es ist ein schwankender, sehr fragmentarischer Schreibstil. Teilweise ist es, wie im zweiten Akt, eine Art Gesang des 18. Jahrhunderts, der auch so bewältigt werden muss, und dann geht es weiter zu einem sehr dramatischen Schlussakt. Manon vereint in sich tausende Aspekte, tausende Emotionen, tausende verschiedene Stimmen und aus diesem Grund ist sie eine Figur, die, wenn man sie gut machen will, viel Arbeit erfordert. Man muss sich ihr wirklich voll und ganz widmen. Tosca habe ich bereits ein paar Mal gesungen und jetzt werde ich bald die dritte Produktion in Torre del Lago machen. Sie ist sicherlich ein linearerer Charakter als Manon, hat einen lineareren Schreibstil, die klassische Puccini-Struktur mit Puccinis Stilmerkmalen. Sicherlich hat sie einige stimmliche Hürden. Unter meinen „neuen“ Rollen ist sie diejenige, die mir am meisten ans Herz gewachsen ist. Und deshalb hoffe ich, sie noch viele Male interpretieren zu können. Bald werde ich jedoch wieder die Manon Lescaut singen, und zwar in Turin. Darüber bin ich wirklich sehr glücklich.

 

Mit dem Teatro Regio in Turin verbindet Sie eine langjährige und enge Zusammenarbeit. Können Sie uns erzählen, wie diese entstanden ist?

 

Turin ist das Theater, das meiner Stadt Asti am nächsten liegt, und so war es selbstverständlich, dass ich dort singen wollte. Aber damals hatte ich noch nicht einmal einen Agenten. Ich erinnere mich, dass ich eine E-Mail mit meinem Lebenslauf geschickt habe, um vorsingen zu können, aber keine Antwort erhielt. Dann, im Jahr 2008, als ich am Spoleto-Wettbewerb teilnahm und ins Halbfinale kam, erhielt ich eine E-Mail mit einer Einladung aus Turin, weil dort Vorsingen stattfanden, um junge Sänger für “La Bohème” zu finden: Es wären zwei Vorstellungen im Teatro Regio di Torino und weitere in der Provinz, aber auch eine Tournee in Shanghai gewesen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, weil ich an diesem sehr wichtigen Wettbewerb in Spoleto teilnahm, einem der wichtigsten in Italien und das Vorsingen in Turin zur selben Zeit gewesen wäre. Ich fragte das Theater, ob dieses Vorsingen verschoben werden könnte, was nicht möglich war. Und ich entschied mich dafür, in Spoleto weiterzumachen, und gewann den Wettbewerb zwei Tage später auch. Und so schickte ich tatsächlich eine E-Mail an das Theater, in der ich mich bedankte und ihnen mitteilte, dass ich diesen Wettbewerb gewonnen hatte. Da teilten sie mir mit, dass sie mir die Chance geben wollten, von Maestro Noseda angehört zu werden, der gerade erst musikalischer Leiter in Turin geworden war. Diese „Bohème“ ging dann unter seiner musikalischen Leitung nach Shanghai. Ich eilte also nach Turin, sang vor und wurde für diese „Bohème“ ausgewählt. Und so begann meine Zusammenarbeit mit diesem Theater. Abgesehen von dieser „Bohème“ bekam ich die Möglichkeit erst kleinere, dann aber immer wichtigere Rollen dort zu singen.

 

Wo können wir Sie nach diesem „Andrea Chénier“ auf der Bühne sehen?

Gleich nach Zürich gebe ich mein Debüt beim Puccini-Festival in Torre del Lago mit der Tosca, in einer Produktion von Pier Luigi Pizzi, und anschließend singe ich Beethovens Symphonie Nr. 9 mit dem Orchester von Padua und Venetien in drei spektakulären Städten, Padua, Bassano del Grappa und Riva del Garda. Ende August werde ich Verdis „Messa da Requiem“ beim Tsinandali Festival in Georgien unter der Leitung von Gianandrea Noseda singen. Dann beginne ich die Saison 2024/25 mit einer Neuproduktion von „Manon Lescaut“ am Teatro Regio in Turin und fahre fort mit meinem Debüt in der Rolle der Amelia in einer Neuinszenierung von „Un ballo in maschera“ hier in Zürich unter der Leitung von Maestro Noseda. Es folgen zwei Rollen, die ich schon seit einiger Zeit in meinem Repertoire habe, Alice Ford in „Falstaff“ in einer Inszenierung von Damiano Michieletto an der Opera Carlo Felice in Genua, die Gräfin in „Le nozze di Figaro“ an der Welsh National Opera und meine Rückkehr nach Washington D.C. mit Beethovens „Missa Solemnis“ am Kennedy Center mit dem National Symphony Orchestra unter der Leitung von Maestro Noseda.

 

 

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