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ERIC VIGIÉ, Intendant Opera de Lausanne. Ein Interview, geführt von von Marcel Emil Burkhardt

Intro

Eric Vigié leitet seit 2004 sehr erfolgreich die Opera de Lausanne. In den 19 Jahren hat er so manche Oper auf die Bühne gebracht. Nicht nur dass, er ist auch erfolgreicher Regisseur und inszeniert an vielen renommierten Häusern. Der gebürtige Franzose aus Toulon der auch schon in Bern inszeniert hat und per Juni 2024 sein Amt als Direktor aufgibt, äussert sich im Interview über seine Liebe zur Musik, zu seiner grossen Zusammenarbeit mit Stefano Poda und warum sein Opernhaus so erfolgreich ist und an vielen Abenden ausverkauft.

Interview

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Eric Vigié. Foto: Alberto Venzago

 

MB: Lassen Sie uns zunächst ein wenig über Sie und Ihren Werdegang sprechen. Kommen Sie aus einer Familie, die klassische Musik liebt?

EV: Tatsächlich hörten wir zu Hause viele Opern … vor allem am Sonntagmorgen!

Meine Mutter war eine Amateur-Cembalistin mit einem gewissen Niveau, und so studierte ich natürlich Musik, ohne jemals daran zu denken, dass ich das zu meinem Beruf machen wollte. Als Teenager ging ich immer gerne freitagabends als Zuschauer in die Oper von Nizza, hörte mir die Aufführungen an und erarbeitete mir schon mit 16 Jahren ein ziemlich interessantes Repertoire. Ausserdem war mein Hornlehrer der Solist des Philharmonischen Orchesters von Nizza, was es noch interessanter und attraktiver machte in die Oper zu gehen als in ein Nachtklub!

 

MB: Was ist Ihre erste Erinnerung an eine Oper oder ein Konzert?

EV: Meine erste Erinnerung, die immer noch sehr präsent ist, war Dvoraks Sinfonie aus der Neuen Welt, die Eugene Ormandy in Philadelphia dirigierte als ich vier Jahre alt war. Wir hatten einen amerikanischen Cousin (John de Lancie), der die erste Oboe im berühmten Philadelphia-Orchester war (für das Richard Strauss später sein Oboenkonzert schrieb). Da meine Eltern als Kinder in Washington lebten, besuchten sie ihn ab und zu.

 

MB: Gibt es eine künstlerische Begegnung, die Sie besonders beeindruckt hat?

EV: Es gab mehrere. Die erste war mit Giancarlo Menotti, und vor allem 1982 Margarita Wallmann, die mir zehn Jahre lang bis zu ihrem Tod viel beigebracht und mich vor allem mit ihrem universellen Weltwissen durchdrungen hat.

Schliesslich Pet Halmen, der mein Meister für das Erarbeiten von Bühnenbildern wurde und ebenfalls ein Vorbild war für die Kreation von Kostümen.

 

MB: Wer ist Ihr Lieblingskomponist? Warum?

EV: Natürlich kommt man immer wieder auf Mozart und seine dramaturgische Vielfalt und musikalische Kraft zurück. Aber ich muss sagen, dass ich alle Kompositionen liebe, bei denen der theatralische Aspekt im Vordergrund steht und mit denen man wirklich eine Show aufbauen kann.

 

MB: Nun die Gegenfrage: Gibt es einen Komponisten oder ein Werk, den Sie hermetisch ausschliessen?

EV: Ich habe keine bestimmte Abneigung, aber ich meide alle lyrischen Werke, die unmöglich auf der Bühne präsentiert werden können, also dramaturgisch schwach sind, und deren Schreibweise wenig interessant sind… Aber auch hier hat jeder Komponist einen Moment der Schwäche gehabt… selbst die Grössten. Man muss intelligent aussortieren. In 400 Jahren Bühnen- und Opernmusik wurden mehr als 42.000 Titel komponiert… Es gibt zwangsläufig vergessene Opern, und das sollte auch so bleiben

 

MB: Was hat Sie dazu bewogen, nach Lausanne zu kommen?

EV: Als Teenager lebte ich fünf Jahre lang in Genf und ich lernte die Genferseeregion und ihr kulturelles Umfeld gut kennen.

Die Oper von Lausanne ist eine privatrechtliche Stiftung, was sich deutlich von zum Beispiel französischen Theatern unterscheidet. In meinen früheren Funktionen mit künstlerischer Verantwortung hatte ich in ähnlichen Stiftungen bereits gearbeitet. Es gibt eine grosse Flexibilität und finanzielle Unabhängigkeit, um inhaltliche Arbeit leisten zu können.

 

MB: Die Opera Lausanne ist trotz ihrer geringen Grösse von Jahr zu Jahr erfolgreicher. Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüssel zu diesem Erfolg?

EV: Der erste Schlüssel ist das Preis-Leistungs-Verhältnis. Unser Publikum legt grossen Wert darauf. Man kann keinen hohen Preis verlangen, wenn es dafür keinen konkreten künstlerischen Grund gibt. Meiner Meinung nach hat uns die Einhaltung einer korrekten Werteskala in den letzten 19 Jahren immer diesen ersten Erfolg garantiert.

Zweitens glaube ich, dass es eine Regelmässigkeit in der stimmlichen und szenischen Qualität braucht. Ich denke oft an die Dutzenden und Aber Dutzenden von Künstlern, die heute grosse Namen auf internationalen Bühnen sind und die ihre Karrieren auf unserer Bühne begonnen haben. Das ist einer der Erfolge unseres Theaters.

 

MB: Welches Werk hat Sie während Ihrer Direktionszeit in Lausanne szenisch am meisten beeindruckt?

EV: Es gibt mehrere, aber mir haben „Hoffmanns Erzählungen“ und „Faust“ in der Inszenierung von Stefano Poda sehr gut gefallen, aber auch „Cosi Fan Tutte“ von Jean Liermier oder „Candide“ von Vincent Boussard.

 

MB: Sie arbeiten regelmässig mit Stefano Poda Regisseur zusammen, welcher im Juni hier die Norma inszenieren wird. Was gefällt Ihnen an seiner Vision?

EV: In erster Linie hat er die Vision eines Ästheten und eines Schöpfers aussergewöhnlicher und innovativer Bilder. Das macht ihn in der Opernlandschaft einzigartig. Er ist einer jener Künstler, die der Oper von Lausanne viel gegeben haben. Heute ist jede seiner Kreationen für unser Publikum ein Ereignis, das man nicht verpassen darf.

 

MB: Im März wird in Lausanne Le Domino Noir aufgeführt, ein Werk von Daniel Auber, einem Komponisten, der in unserer Zeit ziemlich unbekannt ist. Was gefällt Ihnen an ihm? Und warum gerade dieses Werk?

EV: Auber ist das, was ich den „französischen Rossini“ nenne; und das trifft in Bezug auf den Domino Noir ziemlich genau zu! Ausserdem war diese Aufführung bei ihrer Uraufführung ein riesiger Erfolg. Dieses Werk jetzt, für eine Schweizer Premiere, post-covid wieder aufzunehmen, macht sie mit dieser neuen Besetzung noch attraktiver.

 

MB: Wenn Sie in der Zeit zurückreisen könnten, welchem Opernsänger/welcher Opernsängerin würden Sie gerne zuhören wollen?

EV: Ich würde auf jeden Fall Tebaldi und Callas vergleichen wollen, um mir selbst ein Bild von dieser interessanten Gegensätzlichkeit zu machen…Und Mario del Monaco vor allem.

 

MB: Für unsere österreichischen Leser: Wenn Sie freie Hand hätten, um ein Werk in Wien aufzuführen, welches würden Sie wählen?

EV: Um Französisch und ein bisschen Deutsch zu bleiben, würde ich „Die Grossherzogin von Gerolstein“ oder „La Belle Hélène“ von Jacques Offenbach vorschlagen.

 

MB: Welches Werk bedauern Sie, dass Sie es nicht programmieren konnten?

EV: Hier, in Lausanne, unbestreitbar „Der fliegende Holländer“!

 

MB: Und zu guter Letzt: Was sind Ihre Pläne? Werden Sie Regie führen?

EV: Ich muss zuerst meine nächste Saison hier in Lausanne gut einleiten, eine Spielzeit, die mit vielen interessanten Terminen aufwarten kann.

Ich hoffe, dass ich in der Zukunft Regie führen und kulturelle Sonderprojekte durchführen darf. Und dann wünsche ich mir etwas mehr Freiheit, um dem Ganzen etwas entfliehen zu können.

 

Vielen Dank !!!! Bis später.

 

Lebenslauf

Er wurde 1962 in Toulon (F) geboren und studierte am Nationalen Musikkonservatorium von Nizza und beschloss 1981, sich der Opernregie zuzuwenden, indem er Meisterkurse bei Boris Goldovsky an der Southeastern Massachusetts University besuchte. Er wurde zweiter Assistent von Gian Carlo Menotti beim Festival von Spoleto und an der Pariser Oper. Nachdem er 1982 bis 1984 ein Stipendium des französischen Kulturministeriums für das Studium der lyrischen Regie erhalten hatte, war er von 1983 bis 1993 als Assistent und Regisseur an der Oper von Nizza tätig. Von 1986 bis 1990 war er Assistent beim Festival von Aix-en-Provence. Seit 1991 führte er bei zahlreichen Produktionen in Frankreich und im Ausland Regie. Von 1997 bis 2002 war Vigié künstlerischer Leiter des Königlichen Theaters Madrid. Von 2002 bis 2004 war er der erste Ausländer, der die künstlerische Leitung eines der zwölf italienischen Nationaltheater übernahm: dem Verdi-Theater in Triest. Seit Juli 2004 ist er Generaldirektor der Opéra de Lausanne. 2010 gründete der Opernkenner das Tourneetheater La Route Lyrique, um lyrische Aufführungen von hoher Qualität in die kleinen Städte zu bringen. Éric Vigié war von 2010 bis 2016 künstlerischer Leiter des Opernfestivals von Avenches. 

 

 

 

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