Theater Erfurt/ „Tosca“, Oper in drei Akten von Giacomo Puccini/ Aufführung am 06.10.2024
Tosca mit Publikumsbeteiligung
Jérémie Schütz (Mario Cavaradossi). Foto: Lutz Edelhoff
Für die neue Erfurter Tosca-Inszenierung hatten sich Regisseur Stephan Witzlinger und Bühnenbildner Hank Irwin Kittel eine besondere Art der Publikumsbeteiligung ausgedacht. Mit einem „Tosca on Stage“- Konzept bieten sie in einem Hörsaal-Halbrund einem Teil des Publikums einen Bühnensitzplatz an. Sie können zumindest stumme Teilnehmer an dem Liebes- und Verfolgungsdrama sein. Und die Reihen sind mit Interessierten gut gefüllt.
Die gesamte Spielhandlung erfolgt auf der Dreh- und auf der Vorderbühne. Schon im ersten Bühnenbild wird das Furchtbare sichtbar: Ein Gehängter baumelt kopfüber von der Decke.
Mit der Fokussierung auf die Bühnenmitte geschieht auch eine ständige Konzentration der Handlung. Der Zuschauerblick wird immer in die Mitte hineingezogen. Damit gewinnen alle Handlungen an Deutlichkeit wie unter einem Brennglas. Auch die Ausstattung hat Bühnenbildner Hank Irwin Kittel auf das Wichtigste reduziert. Diese wenigen Gegenstände exponieren aber die Handlung enorm. Regisseur Stephan Witzlinger erschafft eine durchaus eigene Sichtweise auf die Protagonisten der Oper. Die optisch nicht so greifbaren Ortswechsel können aber auch das Publikum irritieren.
Den Maler Caravadossi sieht er zunächst als einen systemtreuen Staatskünstler, der durch eine Handlung der unbedachten Hilfsbereitschaft in das blutige Räderwerk gerät. Tosca, die aufrichtig Liebende, ist zugleich die Verführbare, weil ihre Eifersucht sie blind vor Wut macht. Damit wird sie zur Gehilfin des brutalen Verfolgers Scarpia. Das steckt zwar schon im Stück selbst, aber wie Tosca mitarbeitet und anfänglich gefällig ist, das unterliegt einem besonderen Wechselspiel. Denn Scarpia ist ein sehr gerissen Vorgehender, so wie er mit Beweisen arbeitet und ihren Ärger schrittweise verstärkt, bringt er sie unter seine Kontrolle.
Dabei zeigt sich Scarpia in Stephan Witzlingers Sichtweise weniger als der absolut Brutale, vielmehr entwickelt sich bei ihm auch schrittweise eine Obsession von Tosca. Er selbst hat einige „Macken“, so braucht er beispielsweise seine überkorrekte Ordnung auf dem eigenen Tisch. Tosca verschiebt mit Absicht alles auf dem Tisch. Das verwirrt ihn auch kurzzeitig, ohne dass er sein Ziel aus den Augen verliert: Tosca zu besitzen! Dieses „Besitzenwollen“ entwickelt sich zu einem tödlich endenden Wechselspiel, in dem für den Zuschauer der Eindruck entsteht, dass Scarpia ihr fast das Messer überlässt, um ihn zu töten. Denn nur er kennt ja den Plan, dass die Liebenden am Ende scheitern werden und der Maler Caravadossi letztlich erschossen wird.
Dieser teuflische Gesamtplan wird in Stephan Witzlingers Regie zum Angelpunkt der Handlung. Das „Böse-Vorgedachte“ ist die Triebfeder für Scarpias Handlungsweise. Er ist nicht nur der von seinem Trieb getriebene, sondern der listige Plan selbst hat auf ihn höchst erotisierende Wirkung. Tödliche Herrschaft noch über seinen eigenen Tod hinaus auszuüben und zu wissen, dass alle scheitern werden, das bereitet ihm prickelnden Genuss. So ist das dramaturgische Konzept.
Es zeigen sich allerdings auch irritierende Detailfragen zur Konzeption. Bei der Folterszene von Caravadossi umstellt auch der Kinderchor das Geschehen. Ist das eine Lehre von Scarpia an die Kinder? Geht hier nicht das Regie-Konzept zu weit?
Die Lesart von Stephan Witzlingers Tosca, die bildlich in vielen Facetten vom Bühnenbildner Hank Irwin Kittel gestützt wird, bringt neue Sichtweisen auf das Werk, die zum Weiterdenken anregen.
Die Sänger und Sängerinnen sind alle beeindruckend. Da ist zunächst als Gast der Tenor Jérémie Schütz, er singt Mario Cavaradossi mit sehr viel Einfühlungsvermögen. Seine Gestalt ist schwärmerisch und manchmal wirklichkeitsfremd. Er will ja nur der Kunst dienen und versteht gar nicht, wie er in diese Zwangslage gekommen ist. Seine Hilfe für den Entflohenen Angelotti entspringt reiner Freundlichkeit. Darüber hinaus ist er erschreckend naiv. Die Rolle singt Jérémie Schütz wirklich überzeugend. Stimmlich singt er mit einer hellen Tenorstimme, die sich vor allem aus einer präzisen Intonation speist. In der Szene vor der Hinrichtung im dritten Akt, erreicht er in beeindruckender Weise mit der Arie „E lucevan le stelle “, die Zuhörer mit emotionaler Präzision.
Claire Rutter (Floria Tosca). Foto: Lutz Edelhoff
Floria Tosca wird von Claire Rutter verkörpert, vor allem in den Szenen mit ihrem Geliebten Mario, spielt sie eine fragile und zerbrechlich Liebende, die aber auch in ihrem Widerstand gegen Scarpia sehr robust auftreten kann. Diese Facetten ihrer Rolle meistert sie auch stimmlich sehr präsent und in den dynamischen Steigerungen mit viel Volumen.
Baron Scarpia wird von Ks. Máté Sólyom-Nagy gespielt und gesungen. Er setzt den Regieplan mit seinen schauspielerischen und sängerischen Fähigkeiten perfekt um. Sein Spiel besticht durch feine Gesten, aber auch punktuell versteht er es, sich in die große bedrohliche Pose zu bringen, um seine gesamte Mitwelt in Angst und Schrecken zu versetzen. Stimmlich zeigt er sich sehr präsent, vor allem in den Mittellagen. Den dämonischen Unterton könnte er allerdings stellenweise noch etwas deutlicher akzentuieren.
Máté Sólyom-Nagy (Scarpia), Claire Rutter (Floria Tosca). Foto: Lutz Edelhoff
Den Mesner singt und spielt der georgische Bass Kakhaber Shavidze.
Anders als in vielen Tosca-Inszenierungen zeigt er sich nicht als neutral dienender Geist in der Sakristei, sondern als ein freudig Gestaltender, der gern organisiert und als freundlicher Vorbereiter die Gemeinschaft unterstützen will. Dabei wirkt er verschmitzt und lustig. Mit seinem wirklich prächtigen Bass überzeugt er auch als Sänger, der mit seinem warmen Ton einen bleibenden Eindruck beim Publikum hinterlässt.
Bariton Borislav Rashkov als Cesare Angelotti, zeigt ein hohes Maß an Gesangstechnik und dramatischem Schauspiel.
Tenor Tristan Blanchet als Spoletta präsentiert sich durch eine kühne Klangdarstellung und eine reiche Palette an Schauspieltechniken. Als treuer Diener des Barons Scarpia wirkt er immer wie dessen verlängerter Arm.
Der Opernchor des Theaters Erfurt gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendchor der Chorakademie Erfurt unterstützt die gesamte Handlung. Zum einen sind die Chöre aktive Teilnehmer des Geschehens, zum anderen bilden sie eine lebendige Kulisse der Handlung. Musikalisch sind beide Chöre ein Gewinn für die Aufführung.
Die musikalische Leitung liegt bei Clemens Fieguth. Mit seinem Dirigat unterstützt Fieguth beständig alle Sänger. Er gibt präzise Einsätze und sorgt für die richtigen Tempi. Dennoch muss angemerkt werden, dass Sänger und Orchester einige Male unabgestimmt wirken. Auch die dynamischen Steigerungen gelingen ihm gut. Allerdings sind die Kontraste zu den Piano-Stellen sehr stark. Dadurch wirkt der Klangteppich nicht immer ausgewogen.
Insgesamt gelingt Clemens Fieguth mit dem Philharmonischen Orchester Erfurt eine Tiefe und Schönheit der Werkinterpretation. Clemens Fieguth verwandelt die fantastisch magische Ligatur von Solisten und Chor in eine psychologisch subtile und ganzheitliche musikalische Klang-Leinwand. Optisch wird alles durch viele Lichteffekte unterstützt.
Fazit: Das „Tosca on Stage“-Konzept begeisterte die Zuschauer. Sie applaudierten lang und eifrig. Auch die Sänger überzeugten und hinterließen einen nachhaltigen Eindruck. Befragte Zuschauer äußerten sich begeistert und wollten die Aufführung unbedingt weiterempfehlen.
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda