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ERFURT/ Theater: TELEMACO OSSIA L’ISOLA DI CIRCE von Christoph Willibald Gluck. «Fern bin ich der Heimat, unbekannt ist mir der Vater»

22.05.2023 | Oper international

Christoph Willibald Gluck: Telemaco ossia L’isola di Circe • Theater Erfurt • Vorstellung: 21.05.2023

(5. Vorstellung • Premiere am 22.04.2023)

«Fern bin ich der Heimat, unbekannt ist mir der Vater»

Glucks «Telemaco ossia L’isola di Circe» ist einer der Höhepunkte der «griechischen» Spielzeit des Theaters Erfurt. Besonders zu würdigen ist die Stückwahl: Es ist keine der klassischen Reformopern Glucks.

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Foto© Lutz Edelhoff

Prägend für «Telemaco ossia L’isola di Circe» ist die Mischung von «altem Stil» und «neuem Stil». Zieht man in Betracht, dass die Oper innerhalb von nur zwei Monaten für die Hochzeit von Kronprinz Joseph II. von Österreich (dem späteren Kaiser Joseph II.) mit Maria Josepha von Bayern entstanden ist, also eine gewisse «Gediegenheit» («alter Stil») haben musste, ist klar, dass kein Platz für grossartige Neuerungen («neuer Stil») war und die Gesangspartien eine dem Anlass würdige Virtuosität aufweisen mussten. Unter Zeitdruck griff Gluck auch auf bereits vorhandenes Material zurück. Was «übrigbleibt» ist Reformoper, denn der Gleichschritt von Secco-Rezitativ und Arie kann sich nicht mehr durchsetzen, statt Da-Capo- und Gleichnis-Arien gibt es Chorsätze mit formaler und szenischer Funktion, Accompagnati, Ariosi, Duette und Ensembles und grosse, reich gegliederte szenische Strukturen.

Das Libretto (nach François Fenelons «Les Aventures de Télémaque» (1692), einem Roman, der dazu dien sollte, angehende Herrscher auf ihre Regentschaft vorzubereiten) zu dem am 30. Januar 1765 im Burgtheater uraufgeführten Werk stammt von Mario Coltellini, Schüler Ranieri de’ Calzabigis und ab 1763 «poeta dei cesari teatri» («Dichter der kaiserlichen Theater»). Coltellini wandelt die ausserhalb der Homerschen Odyssee stattfindenden Abenteuern Telemachs weiter ab und lässt ihn auf der Insel der Circe seinen Vater Odysseus finden und befreien; aus dem Erzieher Mentor wird Merione. Gluck braucht den musikalischen Kniff, dass alles, was mit Circe zu tun hat im «stile antico», alles was von aussen kommt im «stile nuovo» komponiert ist.

Nach den Hochzeitsfeierlichkeiten wurde «Telemaco ossia L’isola di Circe» noch einmal gespielt, geriet dann in Vergessenheit und wurde auch noch von «Orfeo ed Euridice» und «Alceste» überstrahlt und offenbar nicht wieder gespielt. Die erste Aufführung der Neuzeit fand 1987 statt.

Das Philharmonische Orchester Erfurt unter musikalischer Leitung von Nicolas Krüger macht in kleiner Besetzung grosse Musik. Hoch konzentriert lassen die Musiker Glucks feierlich geprägte Partitur (fast durchgehende Verwendung von Blechbläsern und grossem Schlagwerk) gut konturiert mit viel Wohllaut erklingen. Pures Vergnügen! Der Opernchor des Theaters Erfurt Markus Baisch

Candela Gotelli gibt die Circe mit grossem, voluminösem Sopran. Die enorme Bühnenpräsenz, die gewaltige Energie, mit der sie sich in die Figur hineinsteigert und das leichte Vibrato der Stimme lassen Gotellis Interpretation immer wieder gefährliche nahe an eine Überinterpretation rücken. Es droht die Gefahr übermässiger Psychologisierung. Die Entdeckung des Abends ist Valeria Mudra als Telemaco. Schlank und gross gewachsen, passt ihre androgyne Erscheinung ganz wunderbar zu ihrer Stimme, einem bis in die Altlage reichenden, über alle Bereiche perfekt verblendeten Mezzo mit dem gewissen Etwas an verführerischer Farbe. Julian Freibott bewältigt die enorme hohe Partie des Ulisse (Odysseus) über weite Strecken sehr gut. Daniela Gerstenmeyer gibt die Asteria mit frischem, kühlem Sopran und grosser Bühnenpräsenz. Mit gut geführtem Koloratursopran singt Evelina Liubonko die Merione. Im nur spärlich besetzten Haus läuft ihre Stimme wiederholt Gefahr scharf zu werden. Souverän absolviert Kakhaber Shavidze seinen Kurzauftritt als Oracolo.

Idee, Konzept und Inszenierung des Abends stammen von Stephan Witzlinger und Bartholomäus Pakulski, die Ausstattung stammt von Hank Irwin Kittel. Themen sind, so das Interview im Programmheft, menschliche Beziehungen und deren Dysfunktionalität, hier konkret Circe, die in den sie umgebenden Beziehungen dominiert und die Beteiligten manipuliert. Die Installation mit den leuchtenden Stäben gibt durchaus Raum für Assoziationen und Reflexionen. Zwingend ist sie aber nicht.

Alles in allem eine lohnende Repertoire-Erweiterung!

Weiter Aufführung: So., 28.05.2023, 15.00.

22.05.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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