Copyright: Lutz Edelhoff/Theater Erfurt
Erfurter Theater/ „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ – Oper von Richard Wagner/ Premiere am 17.03.2018
Ein monströses Geisterschiff in einer düsteren Dorf-Welt
Schon während der Ouvertüre gibt der Vorhang einmal kurz den Blick frei auf das Bühnenbild. In einer Videoprojektion schäumen die Wellen. Die Dorfbewohner stehen staunend und blicken auf das tobende Meer. Der Vorhang schließt sich wieder, danach beginnt der erste Akt. Da sieht man die Mannschaft Dalands auf dem Schiff vor dem Hintergrund des tosenden Meeres. Ihr Schiff konnten sie gerade noch retten. Sie stehen auf dem Deck und hören Dalands Kommandos. Der Steuermann übernimmt. Da geschieht das Furchterregende: Mächtig und in gefährlich wirkender roter Farbe schiebt sich langsam, aber unaufhaltsam, das Geisterschiff des Holländers in die Szenerie, die nun wie ein Trockendock wirkt. Der Untote ist angelandet und singt seine Mission: „Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht?“
So dringt dieses monströse Geisterschiff des fliegenden Holländers in die archaisch-friedliche Welt dieser Dorfbewohner ein und wird die Bühne fast komplett ausfüllen. In ihren Fantasien hat Senta den Holländer längst erwartet, deshalb liegt sie schon während des ersten Aktes auf einer Decke am Rande der Bühne herum.
Das Holländer-Geister-Schiff bricht, wie ein Keil, in eine langweilige und öde aber ansonsten friedliche Dorf-Welt ein. Dieser wuchtigen Welt steht eine von kindlich-weiblichen Phantasmagorien beseelte Senta gegenüber. Sie weiß noch nicht, was sie tun soll, aber ihr Entschluss besteht schon vor ihrem Wissen. Senta trifft emotionale Entscheidungen und wird dabei die Unterlegene sein. Das deutet Regisseur Guy Montavon schon frühzeitig an. Er lässt sie unter dem Schiffskörper liegen. Montavon fokussiert sich mit seiner Erzählweise ganz auf Senta. In einem Interview sagte er, sie sei von starker Sehnsucht getrieben und wolle sich für Größe und Bedeutung opfern. Dennoch ist Senta bei Montavon nicht die sich aus reifer Erkenntnis für die Erlösung Opfernde (wie von Wagner beschrieben), sondern sie wirkt wie eine Liebeskranke, die sich verzweifelt ihrem Liebling hinterher stürzen wird.
Im zweiten Akt sieht man Senta mit einem Kinderfahrrad ihre Runden drehen. Das wäre die Szene mit den Spinnrädern, die wird aber komplett eingespart. Den Chor hat Montavon hinter die Wände verbannt. So ist einzig und allein Senta als Bühnenfigur präsent. In dieser ziemlich düsteren Welt spielt sich auch das Werben Eriks um Sentas Liebe ab. Und in der bühnenmäßig lichtlos gehaltenen Welt beschließt Senta auch ihr Erlösungswerk. Als ihr Vater Daland und später der Holländer dazukommen, weiß sie, was sie tun muss. Zwischendurch ist Senta auch von lemurenhaften Chormitgliedern umgeben, die am Boden kriechen und dabei singen. Die Begegnung mit dem Holländer ist umrahmt von den herabhängenden Schätzen. Ihr Vater Daland ist nur allzu gern bereit, die Schätze des Holländers zu ergreifen. Im Bühnenbild hängen sie als funkelnde Kristalle von der Decke herunter.
Die Atmosphäre scheint glückverheißend und ist bisweilen in blaues Licht getaucht und Innigkeit zwischen Senta und Holländer entsteht.
Der dritte Akt zeigt eine Senta, die in ihren Glücksfantasien schwelgt und die sich dabei, anlässlich des Seeleute-Festes, auf ziemlich infantile Weise bewegt und tanzt. Die Szenerie zeigt wenig später Senta mit Brautschleier und Zylinder. Noch einmal versucht der spießig feierlich angezogene Erik sein Glück und beschwört sie, mit ihm eine Verbindung einzugehen. Der Holländer erscheint nun in seinem Schiff, das auch von innen beleuchtet wird und glühend wirkt. Er hat alles mitangehört und will Senta verlassen. Das ist dann auch der letzte Dialog zwischen ihm und Senta. Ihre Welten trennen sich. Das rot-glühende Geisterschiff entfernt sich und Senta wird ihm folgen, um mit ihm in den Fluten unterzugehen.
Die Musikalische Leitung liegt in den Händen von Xu Zhong, der als Gastdirigent die Sänger sehr präzis begleitet und sich vom ersten Akt an gemeinsam mit dem Orchester kontinuierlich steigert. Während die Ouvertüre noch etwas zurückhaltend aus dem Orchestergraben erklingt, gelingt es Xu Zhong während der Aufführung die Dramatik gut zu steigern. Immer ist er darauf bedacht, mit den Sängern in einem Gleichgewicht zu sein, das einen Gesamtklang forciert, der die Zuhörer ganz in das musikdramatische Geschehen hineinnimmt. Die Zuhörer spüren auch, dass der Gastdirigent Xu Zhong immer für die Ensembleleistung arbeitet. So können auch die Sänger zu ausgezeichneten Leistungen gelangen.
Kelly God und Thomas Todd. Copyright: Lutz Edelhoff/Theater Erfurt
Den Holländer singt Todd Thomas und die Senta Kelly God. Beide sind in Erfurt schon beliebte Gäste. Vor allem Todd Thomas beeindruckt mit seinem Bariton an diesem Premierenabend die Zuschauer. Warm und kraftvoll ist seine Stimme, die Verlorenheit und Sehnsucht zugleich ausdrücken kann. Ebenso stimmlich facettenreich und beindruckend wirkt Kelly God. Als sehnende Senta wirkt sie stimmlich sehr präsent. In ihrem Spiel wird sie allerdings sehr auf eine manchmal völlig irregeleitet wirkende Kind-Frau reduziert, die sich infantil bewegen muss. Montavons Regie gibt ihr wenige Möglichkeiten, sich als reife Entscheiderin zu präsentieren. Allein auf eine düster karge Bühne gestellt, wirkt sie vor allem nach dem Arien-Dialog mit dem Holländer wie eine psychisch kranke, etwas trampelige, Jugendliche, die nach ihrem ersten Date voll ausrastet. Richard Wagner hatte seiner Figur mehr Erwachsenenreife zugetraut, nämlich, dass sie mit ihrer selbstlosen Liebe und geistigen Reinheit die Sünden des Helden erlöst und ihm Erlösung bringt.
Gesanglich überzeugend tritt auch Kakhaber Shavidze als Daland auf. Der neue georgische Bass fängt schon an, beeindruckende Maßstäbe zu setzen. Kraftvoll und seemännisch imposant verkörpert er den Daland. Mit ihm hat das Erfurter Theater wieder einen Sänger in diesem Fach, der mit seinen Leistungen wohl bald auch seinen Vorgänger in den Schatten stellen wird. Mit solider Tenorleistung überzeugt auch Eduard Martynyuk als Erik, der auch in den schwierigen Höhen mit organischem Ton Emotionen hörbar macht.
Katja Bildt als Amme Mary zeigt mit ihrem Alt norwegischen Charme. Im Rahmen ihrer Spielmöglichkeiten ist auch sie überzeugend. Auch Richard Carlucci kann als Steuermann die Herzen und Ohren der Zuschauer gewinnen. Längere Zeit hatte man ihn nicht mehr in einer Solo-Rolle erlebt, jetzt meldet er sich mit einer gelungenen Steuermann-Darstellung als Solist zurück.
Für die Choreinstudierung hat wieder einmal Andreas Ketelhut gesorgt. Stimmlich ist das Ensemble gut aufgestellt, leider wird der Chor von Montavons Regie sehr in die Statistenrolle gedrängt und hinter die Kulissen-Wände verbannt.
Guy Montavons Regie schafft zu Beginn und am Ende von Wagners Holländer-Oper starke Bilder, die ihm sein Bühnenbildner Hank Irwin Kittel liefert. Leider sind durch das ständige Trockendock-Bühnenbild die Ortswechsel schwer nachvollziehbar. Der Zuschauer hat Mühe den Ort des jeweiligen Geschehens zu verstehen. Mit der modernen Drehbühnentechnik des Erfurter Theaters wäre es gut möglich gewesen mehr Klärung zu schaffen. Offenbar hat Guy Montavon keine wechselnden Ebenen gewollt. Die Verbannung des Chores hinter die Kulissen-Wände schafft bei den Massenszenen eine deutliche dramaturgische Lücke, die sonst viel Bewegung in das Geschehen bringen könnte. Die meist düstere Atmosphäre und die wenig beleuchteten Figuren mit schwarzen Gesichtern schaffen einen schattenhaft-dunklen Gesamteindruck, der über dem ganzen Stück liegt.
Im ausverkauften Haus gab es am Ende viel Beifall für alle Beteiligten.
Demnächst wird diese Erfurter Produktion auch im September zwei Mal an der Oper in Shanghai zu sehen sein. Auf Einladung des „Shanghai Grand Theatre“ reisen das Philharmonische Orchester, der Chor und Solisten nach China.
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda