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ERFURT/Theater: DAS MÄRCHEN VOM ZAREN SALTAN von Nikolai Rimski-Korsakow. Premiere

Man will sich doch verzaubern lassen

06.10.2019 | Oper

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Theater Erfurt/ Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ von Rimski-Korsakow/

Premiere am 05.10.2019

 Man will sich doch verzaubern lassen

„Das Märchen vom Zaren Saltan“ gehört wohl zu den sonnigsten Werken der Opernliteratur. Die Musik beleuchtet die Geschichte mit wolkenloser Freude und sanftem Humor. Sie fließt leicht und natürlich. Rimski-Korsakows zauberhafte und farbenprächtige Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ wurde 1900 in Moskau uraufgeführt und bildet den Anfang einer Reihe weiterer Märchenopern im späten Schaffen des Komponisten. Die Musik der Oper erlangt durch ihre erzählerische Komposition und die Schlichtheit in der Melodieführung eine traumhafte Atmosphäre und bildet schließlich eine Einheit mit Puschkins Erzählung.


Copyright: Lutz Edelhoff

Die Handlung:

Die Handlung ist schnell erzählt: Zar Saltan heiratet Militrissa und zieht in den Krieg, noch bevor ihr gemeinsamer Sohn Gwidon geboren wird. Die hinterhältige Babaricha und der böse Zauberer vertauschen die Botschaft an den Zaren gegen die Lüge, die Zarin habe kein Kind, sondern ein Ungeheuer zur Welt gebracht. Mutter und Sohn werden in ein Fass gesperrt und ins Meer geworfen. Beide aber bleiben am Leben. Gwidon tötet den bösen Zauberer und befreit die versunkene Stadt aus dessen Gewalt. Der im Kampf gerettete Schwan verwandelt sich in die schöne Prinzessin Schwanhilde und beide heiraten und auch der Zar gewinnt seine Frau zurück. Sogar den bösen Schwestern wird vergeben.

 Die Musik: Die Motivik der Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ entstammt der charakteristischen folkloristischen Tradition der russischen „skazka“ mit ihrer immer wiederkehrenden Thematik von den Gefahren der Kindheit, der boshaften Erwachsenenwelt und dem Prozess des Erwachsenwerdens.

Diese Tradition kommt zum Ausdruck durch die stark ritualisierten Handlungsformen und das erzählerische Grundprinzip der Verdreifachung, das im Märchen durch die drei Schwestern mit ihren drei Wünschen, den drei Wundern sowie den drei fliegenden Insekten und den drei Insektenstichen ihre erzählerische Wirkung entfaltet. (Originalfassung)

Auf der Bühne stellt die Oper die naive Einfachheit und Frische der Volkskunst wieder her. Die Musik ist voll von melodischen Wendungen und komplizierten Rhythmen, von Volksliedern und Tänzen. Eine bedeutende Rolle in der Oper spielen symphonische Episoden, in denen die Leitmotivik schrittweise angewendet wird.

Während der gesamten Oper wiederholt sich ein festlicher Fanfarenruf. Er erscheint am Anfang jedes Bildes als ein Aufruf: „Hören Sie zu! Schau es dir an! Die Vorstellung beginnt!“ Diese Einführung in die Oper ersetzt auch die Ouvertüre. Das Lied der älteren und mittleren Schwester, getragen vom Volksgeist, strömt gelassen dahin. In dem folgenden Gespräch werden Babarichas mürrische Äußerungen und der fraktionierte Zungenbrecher der Schwestern von Militrissas breiter lyrischer Melodie beantwortet. Ein pompöser Marsch und entscheidende Vokalphrasen zeigen das Auftreten eines eigensinnigen Königs.

Die musikalische Handlung entwickelt sich weiter mit einem ruhigen Wiegenlied, das auf einer echten Volksmelodie basiert; während des Aktes wiederholt es sich mehrmals und durchläuft einen gemächlichen Verlauf. Humorvolle Volkswitze durchdringen den Abschluss-Dialog. Das Erscheinen des Zarewitschs wird von einer Melodie des Kinderliedes „Laduschki“ begleitet. Der Begrüßungschor des Volkes beendet die erste Hälfte des Aktes. Die zweite Hälfte ist eine freie Abwechslung von Solo- und Chor-Episoden, unter denen das traurige Arioso von Militrissa hervorsticht. Der Akt endet mit der traurigen Klage des Chores.

Die orchestrale Einleitung zum zweiten Akt, die ein Bild vom Meer zeichnet, vermittelt den Inhalt des Gedichtepigraphs:

Sterne leuchten im blauen Himmel
Im blauen Meer peitschen Wellen;
Eine Wolke am Himmel
Ein Fass treibt über das Meer.

In der Szene, die den zweiten Akt eröffnet, werden die traurigen Klagen von Militrissa durch die lebhaften Äußerungen des Prinzen ausgelöst. Das Arioso des Schwans „Sei gegrüßt mein Fürst…“ kombiniert eine lyrisch charmante Melodie mit flexiblen und beweglichen Wendungen. Die zweite Hälfte des Aktes ist eine entwickelte Szene voller freudiger Aufregung. Eine kurze orchestrale Einführung in den dritten Akt zeigt eine Seelandschaft. In der Mitte des ersten Bildes befindet sich das Duo mit Gwidon und dem Schwan, das mit der symphonischen Folge des „Hummelfluges“ endet.

Im zweiten Bild gibt es viel Bewegung mit Ensemble-Episoden, die Musik ist durchdrungen von lebhaften Melodien und Rhythmen. Die letzte Szene des Aufruhrs, in der die Worte: „Alle Hummeln dürfen ab jetzt nicht mehr an den Hof des Zaren“, erklingt als militante Melodie und danach marschiert Saltan zu einer Melodie mit echter Komik.

Im ersten Bild des vierten Aktes ist ein Duett zu hören, in dem Gwidons aufgeregte, leidenschaftliche Reden von den ruhigen, liebevollen Redewendungen der Schwäne beantwortet werden. Begleitet wird diese Übergangsszene von einem kurzen orchestralen Intermezzo, in dem die Melodie der Schwanenprinzessin jubelnd triumphiert. Dieselbe Melodie liegt auch dem Liebesduett von Gwidon und der Schwanenprinzessin zugrunde.

Dem letzten Bild der Oper geht eine große symphonische Einleitung voraus. Die symphonische Einleitung wird dann ersetzt durch festliche Fanfaren: das Glockenthema der Stadt. Zu der elegant orchestrierten Melodie des Volksliedes „Im Garten“ tritt das Goldnüsse knackende Eichhörnchen auf. Danach folgt ein energischer Marsch, der die Seeritter und die bezaubernden Melodien der Prinzessin zusammenfasst. Beide sind in ein zauberhaft funkelndes Klangmuster verwoben. Die Intro-Musik ist erfüllt von Energie, Leichtigkeit und ungezügelter Freude, die das letzte Bild der Oper dominieren.

Ein freudiger Willkommenschor erklingt. Das Liebesduett von Militrissa, der verstoßenen Gattin und dem Zaren Saltan, vermittelt ein Gefühl der Fülle des Glücks. Der chorische Abschluss des Bildes ist durchdrungen von schnellen Rhythmen und lebhaften Refrains. Den jubelnden Chor übertönt wieder am Ende die Melodie der Fanfare.

Diese Oper hat viele musikalische Facetten, unter denen sich der „Flug der Hummel“ ganz besonders hervorhebt, ein brillantes Scherzo wie ein Perpetuum Mobile, das sich ganz natürlich mit dem Ablauf der dramatischen Handlung verbindet.

Die Regie:

Alexei Stepanyuk, der Regisseur, studierte am Leningrader Staatskonservatorium „Rimski-Korsakow“ und war sieben Jahre lang Direktor des Akademischen Glinka-Theaters für Oper und Ballett im russischen Tscheljabinsk. Seit 1993 arbeitet er als Regisseur am Mariinski-Theater in Sankt Petersburg. Sein dortiges Debut gab er mit einer Inszenierung der Oper Sadko von Nikolai Rimski-Korsakow, die seither ungebrochene Erfolge feiert und an mehreren Opernhäusern gastierte. Seine Inszenierung von Rimski-Korsakows Oper Die Legende der Stadt Kitesch sorgte 1994 in Russland und international für Aufsehen. Am Mariinski-Theater folgten unter anderem Alexander Borodins Fürst Igor, Giuseppe Verdis La Traviata, eine Neuproduktion von Kitesch, Georges Bizets Carmen und Peter Tschaikowskys Eugene Onegin. Gastaufträge führten Alexei Stepanyuk nach Jekaterinburg, Kasan, Tscheljabinsk und Saratow. In Nowosibirsk wirkte er drei Jahre lang als Erster Regisseur. In Moskau inszenierte er 2004 Tschaikowskys Pique Dame und 2005 Richard Wagners Tristan und Isolde. Internationale Aufträge führten Alexei Stepanyuk in die USA, nach Litauen, Lettland und die Ukraine.(Quelle:Theater Erfurt) Leider erkrankte Alexei Stepanyuk unmittelbar vor der Erfurter Premiere schwer, so dass er seinen großen Erfurter Publikumserfolg nicht persönlich genießen konnte. Allerdings hatte er schon sehr professionell geprobt. Zu keinem Zeitpunkt stand die Inszenierung in Frage.

 Die Erfurter Aufführung:

Schon die ersten Töne des Vorspiels und die Märchenkulisse der Bühne zogen die Premierenbesucher in die Zauberwelt des russischen Märchenzarentums hinein. Das lag vor allem am Bühnenbild und den Kostümen von Elena Orlova. Sie hat diese zauberhafte Märchenwelt geschaffen. Über ihre Entwürfe sagte sie selbst: “Ich wollte verschiedene Traditionen von Kostümen zusammenbringen.“ Die farbenfrohen Bilder, die sie damit geschaffen hat, verführen und verzaubern die Erfurter Zuschauer sofort. Sie werden in diese naiv schöne Welt hineingezogen. Das Bühnenbild erinnert ein wenig an die russische Bilderbuchästhetik der 70ziger Jahre. Aquarell- und Pastellfarben dominieren den Bühnenraum. Wunderbar bildnerisch ist auch die Bühne zu den Zwischenmusiken gestaltet. Besonders als die Zarin mit ihrem Sohn in einem Fass über das Meer schwimmt, werden sie von großen und kleinen Fischen begleitet. Ein anmutiges Spektakel bietet sich da für die Zuschauer, liebevoll und schön gestaltet. Elena Orlova hat mit höchster Professionalität diese Zauberwelt entwickelt und hat sich dabei einen ganz kindlichen Blick auf märchenhaftes Geschehen bis ins kleinste Detail bewahrt. Diese Mischung lässt die Zuschauer nicht los. Vom Beginn bis zum Ende kann man sich nicht satt sehen, an dieser prächtigen Fülle der Kostüme und Bilder, die so perfekt zu jeder Szene passen.

So detailreich und espritgeladen ist auch die Regie von Alexei Stepanyuk. Er versteht es seine Helden und deren Gegner in Szene zu setzen. Dabei sind alle Darsteller immer aktiv und beweglich. Damit schafft Alexei Stepanyuk ständig eine lebenspulsierende Optik. Die neidischen Schwestern, die, angeleitet von der missgünstigen Babaricha, immer neue Geschichten erfinden oder die Kinderdarsteller, die ihnen als Hummelchen oder nüsseknackendes Eichhörnchen entgegentreten, all diese herrlichen Regieeinfälle nehmen die Zuschauer gefangen und erwärmen ihr Herz. Darum gibt es immer wieder anhaltenden Szenenapplaus und für die Kinderszenen viel Lachen und Schmunzeln. Natürlich ist Alexei Stepanyuk auch die Verbildlichung des berühmten musikalischen Hummelfluges besonders anrührend gelungen. Seine Regieleistung verschmilzt mit dem Bühnenbild und den Kostümen von Elena Orlova zu einem Ganzen, das sich tief in das Bewusstsein der Zuschauer eingräbt. Auch Generalintendant Guy Montavon meinte in der Pause: „So etwas hatten wir in Erfurt noch nicht.“ Dabei ist diese Inszenierung nicht einfach vom Himmel gefallen. Viele haben im Vorfeld daran mitgewirkt, dass es zur Premiere so schön werden konnte. Vor allem Dari Dimova und Alex Grigorev von der Künstleragentur TACT aus Berlin haben den Kontakt zum Theater in Jekaterinburg hergestellt und schon vor drei angefangen zu planen und den Regisseur und die Ausstatterin nach Erfurt zu holen. Demnächst wird die Erfurter Inszenierung auch dort zu sehen sein, dann in russischer Sprache und Originallänge. In Erfurt hatte sich die Dramaturgie für die gekürzte deutsche Fassung von Harry Kupfer entschieden, um besonders familienfreundlich zu sein.

 Die Darsteller:


Kakhaber Shavidze und Margrethe Fredheim. Copyright: Lutz Edelhoff

Stars des Abends waren zweifellos Kakhaber Shavidze als Zar Saltan und Margrethe Fredheim als Militrissa. Kakhaber Shavidze spielte einen Zaren, der sich, wie im russischen Märchen, zunächst stark und befehlsgebend und dann immer trottliger verhält. Als Zuschauer muss man ihn einfach mögen. Mit seinem Bass füllt er den Theaterraum und mit seinem Spiel gewinnt er die Zuschauer. Margrethe Fredheim als Militrissa singt mit einem warmen und glockenhellen Sopran die Mutter des Zarewitschs. Dabei spielt sie detailreich und glänzend eine russische Frau und Mutter. Alle Gesten sind so typisch russisch, dass der Zuschauer wirklich in diese Welt hineinversetzt wird. Auch in ihrer Mütterlichkeit wirkt sie ausgesprochen echt. Ihr Rollensohn ist Brett Sprague als Gwidon, auch der ist eine gute Wahl, obwohl sein Tenor in den oberen Lagen manchmal etwas metallisch klingt. In seinem Spiel als mutiger Kämpfer für das Gute und Schöne wirkt er auf die Zuschauer allerdings sehr überzeugend. Sehr plastisch und damit beeindruckend sind auch die neidischen Weiber: Anastasiia Doroshenko als mittlere Schwester und Jessica Eccleston als ältere Schwester sind ein intrigantes Paar und werden dabei nur noch von der listigen Babaricha übertroffen, gespielt wird sie von Katja Bildt. Alle drei Frauen singen brillant und sind in ihren Darstellungskünsten pointiert und perfekt. Daniela Gerstenmeyer als Prinzessin Schwanhilde kommt nicht nur mit einem glitzernden Kostüm daher, sondern auch mit glänzender Stimme. Mit anmutiger Schönheit setzt sie den Kontrapunkt zu den neidischen Weibern. Ganz wie es das Märchen und die Inszenierung Alexei Stepanyuks will.

Die kleineren Rollen der Boten, Schiffer und Schreiber sind bestens besetzt mit: Gregor Loebel, der mit seinem Pferderitt immer wieder Szenenapplaus erntet

und Ks. Jörg Rathmann, der als „Alter Mann“ vor allem die Zwischenszenen theatralisch und gesanglich bereichert. Auch Manuel Meyer als Schreiber macht in allen Lagen eine überzeugende Figur. Caleb Yoo erfreut als Hofnarr und Petruschka-Figur nicht nur den Zarenhof, sondern auch die Zuschauer. Natürlich sind die Kinderdarsteller der Hummel und des Eichhörnchens viel bejubelte Akteure. Mit ihren Kostümen und ihrem Spiel geben sie dem Stück den letzten Pfiff.

 Die musikalische Umsetzung:

Auch der Chor in der Einstudierung von Andreas Ketelhut trägt wesentlich zum Gelingen der Premiere bei. Die Regie hat viel Bewegung vorgesehen und die setzt der Chor auch exzellent um. Stimmlich ist der Opernchor sehr präsent und facettenreich und erzeugt so auch eine russische Klangatmosphäre.

Die musikalische Leitung hat GMD Myron Michailidis. Ihm liegt die Musik von Rimski-Korsakow besonders gut. Melodisch und rhythmisch führt er das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach durch die Partitur. Dabei begleitet er die Sänger präzis und unterstützend.

Insgesamt überzeugt Michailidis und das von ihm geführte Orchester mit satter Klangfülle und pointierter Sängerbegleitung. Bei den Zwischenspielen werden Bühnenbild und dramatische Musik zu einer Sinneseinheit. So wie es auf der Bühne blinkt, so glitzert und quirlt es lebendig aus dem Orchestergraben. Myron Michailidis hat sich in die Musik konzeptionell hineingedacht und emotional hineingelebt. Dadurch erzielt er einen Klang, der das, was man „russische Seele“ nennt, hörbar macht. Auch dafür gibt es vom Erfurter Publikum viel Beifall.

Nach der Premieren-Vorstellung meinte eine Zuschauerin: „Man will sich doch verzaubern lassen und das ist heute gelungen!“

Dem lässt sich nur noch hinzufügen: Großeltern nehmt eure Enkelkinder, Eltern eure Familie und Tanten eure Nichten und Neffen und seht euch dieses herrliche russische Märchen an, in dem auch noch alles so gut endet und lasst Euch verzaubern!

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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