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ERFURT/ Theater: AGNES VON HOHENSTAUFEN. Historisch-romantische Oper von Gaspare Spontini / Premiere

Mit siegenden Schwingen

03.06.2018 | Oper


Copyright: Lutz Edelhoff

Theater Erfurt / „Agnes von Hohenstaufen“ historisch-romantische Oper von Gaspare Spontini / Premiere am 01.06.2018

 Mit siegenden Schwingen

 Da ist Generalintendant Guy Montavon wieder mal ein Geniestreich gelungen. Unter dem Spielzeit-Motto „Auf gut Deutsch?“ entdeckt er die fast vergessene Oper Agnes von Hohenstaufen für das Publikum neu. Anders als in der Entstehungszeit geschehen, ist das Erfurter Publikum aufgeschlossen und neugierig auf dieses wenig bekannte Werk. Inhaltlich gibt Generalintendant Guy Montavon damit auch Anstöße, über Themen wie: Europa, Nation und das Zusammenspiel der Europäer nachzudenken. Ohne sich in Tagespolitik einzumischen, werden Akzente des Zuhörens und Nachdenkens gesetzt. Die kosmopolitische Besetzung der Rollen und des Orchesters sind ein Beispiel für world wide opera, wie sie Guy Montavon in Erfurt seit vielen Jahren persönlich anstrebt.

Worum geht es in dieser Oper? Historisch gesehen, geht es um die Macht-Zwistigkeiten zwischen den Staufern und Welfen und darum, wer bestimmt. Immer Ärger mit den Welfen? Könnte man fragen. Wenn man an den relativ häufig ausrastenden sogenannten „Prügelprinzen“ Ernst August von Hannover denkt, könnte man vermuten, dass Streit suchen, so etwas wie eine Familientradition darstellt. Leisetreter waren die Welfen jedenfalls zu keiner Zeit. Heinrich der Löwe legte sich gleich mit dem Ober-Chef, dem Staufer-Kaiser Heinrich VI., mehrfach an. Allerdings zog er den Kürzeren. Er musste zeitweilig emigrieren, durfte wieder zurückkommen und zankte sich bald wieder mit ihm. Auch innerhalb der Welfenlinie gab es viel Ärger und so sind selbst die Nachfahren der Landeskinder von Braunschweig immer noch eingeschnappt, weil die Hannoveraner-Linie an den Braunschweigern vorbeizog und mit Georg I., einen englischen König stellte, der wenig später die halbe Welt regieren sollte.

Um es auf den Punkt zu bringen, da ist jede Menge Stoff für Intrige und Oper. Das hat sich wohl auch Ernst Raupach gedacht, als er gemeinsam mit Gaspare Spontini die Pläne für diese Historien-Oper schmiedete. Damals jedenfalls hatte dieser Stoff offenbar Sitz im Leben. Preußen sah sich auf der Gewinnerstrecke, darum hatte man ja auch Spontini aus Paris geholt. Spontini und Raupach entwarfen einen versöhnlichen Ausgang der Rivalitäten. Selbst der geprellte französische König wünschte den Liebenden alles Gute. Historisch ist das nicht nachvollziehbar, vielleicht wurde das Stück gerade deshalb so entwickelt. Das Stück war ein Auftragswerk des Preußen-Königs Friedrich Wilhelm III. zur Hochzeit seines Sohnes Carl mit einer Weimarer Prinzessin.

Den damaligen Zeitgenossen gefiel grundsätzlich so ein Stoff, doch das Stück wurde im damaligen Berlin von einigen mit Unbehagen aufgenommen, weil ein Italiener, aus Frankreich kommend, sich dieses Themas angenommen hatte.

Diese, in der Romantikzeit, ins ferne Mittelalter hineinprojizierte Adelsromanze ist uns heute etwas fern, aber dennoch ist sie unterhaltsam. Man findet darin alles, was eine Oper heute noch spannend macht: Liebe und Intrige, Verzweiflung und Hoffnung der Liebenden und am Ende sogar Einsicht und Weisheit, Gönnerhaftigkeit und Großmut. Das unterscheidet diese Oper von vielen anderen Stoffen, die in der Regel tragisch enden, zumindest für die Liebenden. Für Agnes und Heinrich endet alles mit Happy End. Sogar der eigentlich für die Ehe vorgesehene König von Frankreich, Philipp August erteilt den Liebenden seinen Segen und beschwichtigt den zornigen Brautvater, obwohl er kurz vorher noch im Duell den Nebenbuhler Heinrich erledigen wollte. So obsiegen Weisheit und Milde nach einer dramatischen Entwicklung.


Ks. Máté Sólyom-Nagy als Kaiser Heinrich VI.  mit Adler u. Bernhard Berchtold am Boden. Copyright: Lutz Edelhoff

Wie hat sich Regisseur Mark Adam dieser historischen Oper angenähert? Die Überschrift könnte lauten: „a tenebris ad lucem“ vom Dunkel ins Licht. Finster beginnt es mit der äußerst dramatischen Ouvertüre und diese Stimmung wird im ersten Akt fortgesetzt. Übrigens wurde die Partitur der Ouvertüre erst kürzlich wiederentdeckt. Musikalisch enthält die Ouvertüre alles, was später im Stück zu sehen sein wird. Die sich langsam entwickelnden Akkorde führen in einen Gewittersturm. Am Ende erklingen leisere und versöhnliche Töne. Dazu hat Monika Gora einen Theatervorhang gemacht, der düstere Schlachteindrücke vermittelt und ein schemenhaftes Bild des Kaisers Barbarossa. Dazwischen erscheinen die Liebenden wie Königskinder, die nicht zueinander finden können.

Der erste Akt beginnt. Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei in eine Düsterwelt, in der Heinrich VI. seine Gefolgsleute auf den kommenden Krieg einschwört. Dazu singt der Chor:

„Es schwebe der Adler

Des heiligen Reiches,

Mit siegenden Schwingen

In Welschlands Gefild!

Er bringe Verderben

Dem Meutrergeschlechte,

Und werde den Treuen

Ein deckender Schild!“

 

Mit „Welschland“ sind die Aufsässigen in Sizilien gemeint.

Dazu lässt Regisseur Marc Adam einen echten Adler vom Zuschauerraum auf die Bühne fliegen. Das ist schon ziemlich eindrucksvoll, wenn dieser majestätische Vogel seine Schwingen ausbreitet und dort am Geschehen teilnimmt.

Der Kaiser singt dann zu den Fürsten:

So schwöret beim Klange

Der Kriegesdrommeten.

Zu folgen dem Adler

Des heiligen Reichs“

Zu diesen Kampfansagen lassen sich die Fürsten einschwören. Es wird schnell klar, dass es an den Befehlen des Kaisers keine Zweifel geben kann. Zur Bekräftigung singt dann auch noch Irmengard zu den Fürsten: „Ja eilt zu erkämpfen Siciliens Thron!“

Eigentlich soll jetzt eine Party stattfinden, die mit Trinksprüchen schon den Sieg vorwegnimmt. Doch alles geschieht anders. Der verkleidete junge Löwe, in Gestalt des Troubadours, verliert die Nerven, weil er seinen Nebenbuhler kennenlernt. In einem Anfall von Eifersucht beschimpft er den französischen Gesandten, der eigentlich der König aus diesem Land ist und Agnes eigentlich heiraten will. Turbulent entwickelt sich die Szene bis alles auffliegt und Kaiser Heinrich den Eifersüchtigen einsperren lässt.

Regisseur Marc Adam hat sich für den zweiten Akt eine sehr stimmungsvolle Entwicklung ausgedacht, die imposant von Monika Gora in Bild gesetzt wird. Da tragen Nonnen ein Tableau von Kerzen in die Kirche. Zu Beginn des Aktes steht der sich verzehrende Liebende (Bernhard Berchtold) in einem Zylinderkäfig auf der Bühne. Eigentlich würde Heinrich VI. den Welfen-Heinrich gern umbringen lassen, aber der gekränkte Franzose will sein Duell. Also bekommt er schon mal den jungen Löwen ausgehändigt. Nun ist Agnes dran und beschwört den Himmel. Mit Erfolg, denn bald stellt sich der Mainzer Bischof ein und Mutter Irmengard empfiehlt schnelle Verheiratung und organisiert eine schnelle Hochzeit zwischen Agnes und Heinrich. Auch der Bischof in seiner Purpur-Robe gibt der Szene Feierlichkeit und das Spiel der liebenden Agnes (Claudia Sorokina) fordert die Zuschauer zu Szenenapplaus heraus.

Im dritten Akt will der Franzosenkönig Agnes heiraten, besser gesagt, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren dazu. Die Liebenden wollen fliehen, werden aber erwischt und müssen zum Duell. Doch es kommt erstens anders und zweitens als mancher denkt. Der Franzosenkönig droht nämlich zu verlieren. Da offenbaren seine Freunde, dass er nicht nur ein Burgunder-Gesandter, sondern der König selbst ist. Dankbar für sein Überleben verzichtet der Franzose auf Agnes, die ihn ohnehin nur aus Machtkalkül interessierte. Für den Kaiser wird es noch schmerzlicher, weil ihm Irmengard auch noch die heimliche Hochzeit präsentiert. Jetzt wird die Begnadigung verweigert. Doch nun sind die Fürsten zornig und wollen nicht mehr dem Kaiser dienen. Da hat der Librettist Raupach noch einige Drehbuch-Wendungen zur Hand: Der junge Löwe geht mit guten Beispiel voran und huldigt dem Boss, also dem Kaiser. Aber das genügt dem Drehbuch-Autor Raupach noch lange nicht. Ein Unbekannter erscheint und entpuppt sich als echter Löwen-Heinrich. Der hat schon die ganze Stadt Mainz erobert, aber statt seinen Sieg auszukosten, gibt er sich versöhnlich und huldigt wie sein Sohn, dem Kaiser. Na, jetzt endlich zeigt sich der Kaiser auch mal umgänglich und erklärt alle Streitigkeiten für beendet. So kann es in der Politik auch gehen. Dafür gibt es vom Erfurter Publikum viel Applaus.

Musikalisch hat Zoi Tsokanou eine dreistündige Dauerarbeit geleistet, denn die Tempi bewegen sich gefühlt zwischen Allegro und Presto. Zudem ist das Philharmonische Orchester Erfurt erweitert um die Musiker der Thüringen-Philharmonie Gotha-Eisenach und auch der Chor besteht aus: dem Opernchor des Theaters Erfurt, den Mitgliedern des Philharmonischen Chores und der Stadtharmonie Erfurt. Nicht immer gelingen alle Einsätze Hundertprozent präzis. Insgesamt schafft es Zoi Tsokanou aber, diese vielen „Fliehkräfte“ der Partitur und der Akteure zu bändigen. Generell wirkt das Orchester zu laut, so dass man Mühe hat, die Sänger zu hören.

Spontinis Komponier-Temperament zeichnet sich durch eine überhöhte Geschwindigkeit und eine geradezu geradlinige Aggressivität aus. Spontinis Geschwindigkeit ist merklich höher als die seiner zeitgenössischen Komponisten-Kollegen. Die Musik wirkt im wörtlichen und im übertragenen Sinne „daueraufgeregt“. Zoi Tsokanou lässt die Klangwellen vorwärts rollen. Über diesen anbrandenden Wellen wirken die Sänger wie „aufmodulierte“ Stimmen, die dem Wellenkamm ein rollendes Vibrato aufsetzen. Viele Melodien können gar nicht immer eindeutig identifiziert werden. Manchmal sind sie vage umrissen und erscheinen in einem komplexen Muster von Orchesterwellen. Da ist es gar nicht so einfach, alle zusammenzuhalten, doch Zoi Tsokanou gelingt es insgesamt recht gut. Bei Zoi Tsokanou merkt man, dass sie die Priorität der dramatischen Handlung verstanden hat, die der Komponist vorsieht. Hin und wieder werden die Massenszenen des Chores zu Lautheitswettbewerben und die Melodien verschwinden fast, doch das ist offenbar auch Intention Spontinis, denn er will den „imperialen“ Gestus herausstellen. Vielleicht wollte er einen „Empire-Stil“ in der Musik kreieren. Nicht immer leicht für Zoi Tsokanou, aber sie hält und führt diese Linien bis zum triumphalen Schluss.

Nicht immer gelungen wirken da die rhythmischen Stampf-Auftritte des Chores, die der Regisseur den Chor vollziehen lässt. Damit verstärkt er den peitschenden Eindruck dieser Musik. Der Effekt nutzt sich auch schnell ab und wirkt simpel. Gerade eine Varianz in der Chorbewegung hätte die Bühnensituation spannender gestaltet.

Die Partie Heinrichs des Jüngeren erweist sich als sehr komplex. Sie erfordert eine fast wagnerische Kraft und zugleich rossinische Eleganz und all dies muss zu einem einzigen Bild verwoben werden. Ein Spagat, dem Bernhard Berchtold nicht immer gewachsen ist. Um gegen diese „dezibelstarken“ Orchesterpartien anzusingen, fehlt ihm das Volumen und die Kraft der Stimme. Sein Spiel ist allerdings ausdrucksstark und er verkörpert die Rolle des leidenden und gebrochenen, aber auch sich immer wieder kämpferisch aufrichtenden Helden, sehr glaubwürdig.

Sein Ehe-Konkurrent Siyabulela Ntlale als Philipp August, König von Frankreich kann mit seinem Bariton sehr wohl gegen das fonstarke Orchester ansingen, seine voluminöse Stimme klingt rund und ausgewogen. Auch sein Spiel passt gut zu seiner Rolle.

Ks. Máté Sólyom-Nagy als Kaiser Heinrich VI. zeigt in seiner Rolle eine hohe Spielpräsenz. Es ist ganz erstaunlich, wie er mit dem echten Adler auf dem Arm im ersten Akt zurechtkommt. Sein Umgang mit dem Adler mindert nicht seine spielerische und gesangliche Qualität. Stimmlich zeigt auch er sich dem Orchester gewachsen und die Kaiserrolle liegt ihm ausgezeichnet.


Claudia Sorokina, Kakhaber Shavidze, Bernhard Berchtold, Margrethe Fredheim. Copyright: Lutz Edelhoff

Überzeugend sind die beiden Frauen-Hauptrollen Irmengard und Agnes besetzt. Margrethe Fredheim, als Mutter Irmengard, erweist sich als ganz große Überraschung des Premieren-Abends. Sie ist ausgestattet mit einer enormen Klangbreite. Mit ihrem satten Sound und ihrem pointierten Spiel macht sie ihre Mutterrolle zu einem Zuschauererlebnis. Man fühlt ihre außerordentliche innere Stärke, die durch die einfachen und expressiven Gesten und Bewegungen des Schauspiels unterstrichen werden.

Claudia Sorokina, als ihre Tochter Agnes, singt eine rundum überzeugende Liebende. Ihr schönes, silbrig-leichtes und transparent klingelndes Timbre zieht die Zuschauer in ihren Bann. Mit ihrer Stimme vermittelt sie Gefühle für jede einzelne Klangfarbe. Sie schafft ein vollständiges Bild ihrer Rolle und reißt die Zuhörer in den Strudel des Gefühlsgeschehens hinein.

Kakhaber Shavidze, als Erzbischof von Mainz, zeigt sich stattlich und groß in seinem roten Bischofsgewand. Er fügt sich gut in dieses mittelalterliche Bild ein und schaut in allen Szenen eindrucksvoll aus. Mit dem Priester-Bild, das er spielt, kann er überzeugen. Auch seine Bass-Stimme hört sich kraft- und klangvoll an.

Als treffend besetzt zeigen sich auch die kleineren Rollen: Caleb Yoo als Burggraf des Kaisers; Ks. Jörg Rathmann als Theobald; Henry Neill als Kampfrichter und Todd Wilander als Philipp, Bruder Kaiser Heinrichs VI. sowie Juri Batukov als Heinrich der Löwe. Schauspielerisch und gesanglich sind sie alle auf ihrem Posten eine gute Wahl.

Der schon erwähnte Chor, in der Einstudierung Andreas Ketelhut, spielt auch darstellerisch in vielen Szenen eine wichtige Rolle. Regisseur Marc Adam lässt Teile des Chores auch vom Rang aus singen und mit Teilen des Chores auf der Bühne korrespondieren. Dadurch entsteht eine ganz neue akustische Wahrnehmung für das Publikum im Saal. Insgesamt war das wieder eine sehr solide Leistung des Chores, auch wenn nicht alle Einsätze auf den Punkt waren.

Ausstatterin Monika Gora hat den Chor und auch die einzelnen Rollen teils in mittelalterliche und teils in Kostüme des 19. Jahrhunderts gekleidet. Letzteres ist vermutlich ein Hinweis auf die tatsächliche Entstehungszeit der Oper gewesen.

Historisch soll noch kurz angermerkt werden, dass Kaiser Heinrich VI. nur knapp den sogenannten Erfurter Latrinensturz beim königlichen Hoftag in Erfurt im Jahre 1184 überlebte. Das war ein Unglück, bei dem eine große Zahl der Anwesenden getötet oder verletzt wurde. Heinrich VI. saß zufällig an der richtigen Stelle und hatte Überlebens-Glück.

Vor der Premiere von Agnes von Hohenstaufen fand im Theater Erfurt auch ein wissenschaftliches Symposion mit dem Thema „Gaspare Spontini und die Oper in Berlin – zwischen Integration und Isolation“ statt. Prominente Opernforscher wie Anno Mungen (Bayreuth), Klaus Pietschmann (Mainz), Matthias Brzoska (Essen) und Arnold Jacobshagen (Köln) waren eingeladen, um über das Werk Spontinis zu sprechen. Dabei sagte Prof. Klaus Pietschmann: „Der ehrgeizige Entwurf einer deutschen Nationaloper vom Begründer der Grand opéra – dieses kolossale, bei den Zeitgenossen umstrittene Werk, muss man gesehen haben, um sich vom Ringen, um die deutsche Oper vor Wagner ein rechtes Bild machen zu können. Auf nach Erfurt.“

Die Zuschauer zeigten sich jedenfalls begeistert von diesem ungewohnten Klangerlebnis der Spontini-Oper und applaudierten lang.

Weitere Vorstellungen können gesehen werden am: Mi. 6.6., Fr. 8.6. und So. 10.6. 2018

Außerdem gibt es eine Radioübertragung der Erfurter Inszenierung auf Deutschlandfunk Kultur am 16.06.2018 um 20:03 Uhr. Eine Gelegenheit sich noch einmal mit der Musik zu beschäftigen.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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