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ERFURT/ Theater: 11. SINFONIEKONZERT UND ABSCHIED VON GMD JOANA MALLWITZ

16.06.2018 | Konzert/Liederabende


Verabschiedung aus Erfurt. Foto: privat

Theater Erfurt/ 11. Sinfoniekonzert am 15.06.2018

11. Sinfoniekonzert und Abschied von GMD Joana Mallwitz

Zum 11. Sinfoniekonzert im Rahmen der Sinfoniekonzerte 2017/18 hatte das Theater Erfurt eingeladen. Wie seit vielen Jahren zuvor hatten sich viele Erfurter schon traditionell auf dem Theatervorplatz versammelt, um die Großbildübertragung des letzten Spielzeitkonzertes bei leckeren Häppchen, Wein und Bier zu genießen. Von Bratwurstdunst umhüllt warteten alle auf den Augenblick, da sich Pianistin Joana Mallwitz an den hauseigenen Flügel setzte, um eine kleine Einführung in die temperamentvollen Stücke zu geben, die sie als Dirigentin mit dem Philharmonischen Orchester Erfurt und in Kooperation mit der Thüringen Philharmonie Gotha/Eisenach dann aufführen würde.

Die Erwartungen des Publikums waren gespannt, denn das Wissen, um eine scheidende Generalmusikdirektorin, gab diesem Abend eine besondere Note. Virtuos stellte Pianistin Joana Mallwitz zunächst vor allem einige Passagen aus Sergej Rachmaninows „Sinfonischen Tänzen op. 45“ vor. Dabei plauderte sie über spezielle Instrumentenparts im letzten Werk Rachmaninows und verwies auch auf biographische Episoden im Leben des Komponisten. Sehr gut nachvollziehbar schilderte sie den Verlauf der einzelnen Sätze und machte dabei auf viele Details aufmerksam. Dann schlug sie musikalisch und erzählerisch den Bogen zu Igor Strawinskys „Petruschka“. Schon am Klavier wurde der russische Kasper lebendig präsentiert und amüsierte die Zuhörer. Für eine Erläuterung der „Ungarischen Tänze“ von Johannes Brahms blieb da nur wenig Zeit, aber über die wisse man ja sowieso Bescheid, meinte Mallwitz.

Die „Symphonische Tänze“ wurden von Rachmaninow in einer sehr schwierigen Zeit, in einer neuen Lebensveränderung, geschaffen. Seit mehreren Jahren im Exil hatte er einen gewissen jährlichen Rhythmus mit Reisen um die Welt und mit unverzichtbaren Sommerferien in der Schweiz verbracht. Zehn Tage vor dem Ausbruch des 2. Welt-Krieges gelang es den Rachmaninows Europa zu verlassen. Den Sommer 1940 verbrachte der Komponist in der Nähe von New York, in Huntington, einem Ort auf der Insel Long Island, am Ufer der Meeresbucht. Hier konnte er Ruhe finden, sich wieder sammeln und dem Komponieren widmen.

In einer beispiellos kurzen Zeit schuf er sein letztes symphonisches Werk, das er ursprünglich „Fantastische Tänze“ nannte und später in einem Schreiben vom 28. August 1940 in „Symphonische Tänze“ umbenannte. Zunächst benannte er die Sätze mit „Tag“, „Dämmerung“ und „Mitternacht“. Diesen Arbeitstitel hat er später, zugunsten der musikalischen Satzbezeichnungen, abgelegt.

Rachmaninow hat mit den „Sinfonischen Tänzen op. 45“ eine Summe seines musikalischen Gesamtwerkes geschaffen. Im ersten Satz verarbeitet er beispielsweise ein Thema seiner 1. Sinfonie, die von den Kritikern mit einem vernichtenden Urteil belegt wurde.

Schon beim ersten Satz der „Sinfonischen Tänze op. 45“ Sergej Rachmaninows bewies die Dirigentin Joana Mallwitz ihr gesamtes Können. Enorm präzis leitete sie das große Orchester, da saß jeder kleinste Wink. Sie formte die Tempi aus dem Orchester heraus und variierte virtuos alle Dynamiken.

Im zweiten Satz betrachtet Rachmaninow die Umbrüche in Russland von der Jahrhundertwende bis zur Revolution. Mit dem melancholischen Timbre des englischen Horns erscheint das zentrale Walzerthema. Es bewegt sich von einem Instrument zum anderen. Da singen die Violinen und es wird emotional, zitternd und aufgeregt. Die Musik ist voller Sehnsucht nach der verlorenen Heimat.

Besonders beim zweiten Satz gelang es Joana Mallwitz meisterhaft diese filigranen Tempi und Dynamikwechsel mit dem Orchester zu gestalten. Mit einer äußerst differenzierten Farbpalette des Klanges arbeitet sie alle dynamischen Schwankungen und Schattierungen heraus. Tänzerisch und mit zielführender Energie leitete sie den großen Klangkörper und ließ eine russisch inspirierte Klangwelt entstehen, die die Zuhörer in ihren Bann zog.

Der dritte Satz – der ambitionierteste – ist das dramatische Zentrum des gesamten Werks. Der Satz eröffnet mit einem kraftvollen Akkord, bei dem man mehrere traurige absteigende Motive hört. Nach ein paar Takten der Einführung (Lento assai) entwickelt sich die Musik zu der schnellen Bewegung des Hauptabschnittes, einem dunklen, unheimlichen und zugleich seltsamen Scherzo Charakter. Es wirkt, als ob alles von einer schrecklichen Vision des Todes durchdrungen wäre. Dieser Abschnitt beginnt mit instabilen, zerrissenen Geräuschen und gemessenen Glocken. Zwölf Schläge erklingen in den letzten Minuten vor Mitternacht.

Es gibt seltsame Geräusche, Glocken und ein schreckliches Stöhnen. Trauernde Intonationen sind depersonalisiert und werden zu einem fast pingelig wirkenden Lauf. Und in diesem Rennen steht plötzlich das Thema hart und gesammelt, stark und authentisch vor den Hörern. Rachmaninoff verwendet hier ein Thema mit freier rhythmischer Interpretation.

Im dritten Satz, den besonders das „Dies-irae-Motiv“ prägt, forcierte Joana Mallwitz das Orchester zum einem wuchtigen Klang, der dennoch alle Facetten von Rachmaninows Komposition widerspiegelte. Auch das „Halleluja-Motiv“ der Coda wurde von ihr deutlich herausgearbeitet. Joana Mallwitz vermochte es, ihre Energie mit präzisierender Gestik auf das Orchester zu übertragen. Vorbei ist längst das gewollt wirkende Taktgeben ihrer Zeit des Beginnens.

Das Publikum erlebte eine reifgewordene und mit dem Orchester organisch verbundene Generalmusikdirektorin, die längst bewiesen hat, dass sie es gut kann. Von der aber alle wissen, dass sie es immer noch besser machen will. Gewichen ist das voluntaristisch Strebende einer spielerisch virtuosen Dirigentin, die ihrer musikalischen Kunst auch Leichtigkeit zubilligt. Damit hat Joana Mallwitz in den vergangenen vier Jahren dem Philharmonischen Orchester Erfurt viel mitgegeben für die Zukunft. Sie hat einen neuen Pulsstrom eingeführt, der hoffentlich nicht mehr verebben wird.

Nach der Pause erwartete die Zuhörer ein weiteres russisches Werk mit Igor Strawinskys „Petruschka“. Die Geschichte von der wild gestikulierenden Gliederpuppe, die Strawinsky zu einer Ballettmusik ausbaute, wurde von Joana Mallwitz in einzigartiger und geradezu tanztheatralischer Beschwingtheit dirigiert. Mit sicherer Hand führte sie das Orchester durch die diabolischen Arpeggien-Kaskaden und ließ die Bläser drohend antworten. Das Karnevalskolorit St. Petersburgs ließ sie ebenso wie die russischen Volksmelodien erstrahlen. Das gesamte Liebesdrama der Kasperlfiguren machte sie lebendig und verlieh dabei der Strawinskyschen Ballettmusik einen ungeheuren lebendigen Schwung. Sie beherrschte das doppelbödige Spiel von künstlerischem Leben und lebendiger Künstlichkeit. Auf den gewaltigen Schlussakkord folgte brausender Applaus.

Souverän und gewissermaßen leichtfüßig dirigierte Joana Mallwitz dann auch die „Ungarischen Tänze“ von Johannes Brahms und zwar eine Auswahl in der Reihenfolge Nr. 1 bis 3, dann folgte Nr. 16 und 15 sowie Nr. 4, 6 und 5. Sie hauchte dabei dem erweiterten Orchester die Leichtigkeit ein, die nötig ist, diesen Stücken ihren Glanz zu geben. Kaum war der letzte Ton verklungen, brandete Applaus und die Zuhörer erhoben sich zu stehenden Ovationen. Eine Zugabe folgte.

Generalintendant Guy Montavon betrat die Bühne mit großem Blumenstrauß. „Er habe das Privileg gehabt, sie zu engagieren und sie auch zu verabschieden“, sagte Montavon, dann ging er auf die Knie und überreichte seinen Strauß. Es folgten noch würdigende Worte, an die sich der Orchestervorstand anschloss. Eine Theaterkiste wurde übergeben und natürlich ein Foto mit allen Orchestermitgliedern. Dauerapplaus holte Joana Mallwitz immer wieder auf die Bühne zurück. Zu guter Letzt erklang noch ein Potpourri aller Werke, die Mallwitz in ihrer Erfurter Zeit dirigiert hatte. Die musikalische Leitung dafür lag bei Samuel Bächli.

Dieses Potpourri der stellv. 1. Konzertmeisterin Anna Stümke hörte Joana Mallwitz gemeinsam mit Guy Montavon auf der Theaterkiste sitzend, sichtbar gerührt. Wer ahnt schon, wie viele Episoden ihres künstlerischen Lebens in Erfurt ihr dabei durch den Sinn gingen. Auf der Feier danach wird man sich sicher noch manche Anekdote erzählt haben.

Joana Mallwitz hat dem Theater Erfurt mit ihrer musikalischen Leitung viele neue Impulse, von der Orchesterakademie bis zu den Expeditionskonzerten, gegeben. Auch den Sinfoniekonzerten hat sie neue Facetten verliehen. Die Erinnerung an die musikalische Lebensfreude, die sie versprühte, wird noch lange Zeit nachhallen.

Das Erfurter Publikum entlässt Joana Mallwitz mit einem weinenden Auge des Abschieds in Richtung Nürnberg und mit einem lachenden Auge des Glücks, sie in Erfurt erlebt zu haben.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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