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ERFURT/ Theater: 11. SINFONIEKONZERT – Abschlusskonzert mit traditionellem Public-Viewing – zum Glück nicht ins Wasser gefallen

18.06.2016 | Konzert/Liederabende

Theater Erfurt / 11. Sinfoniekonzert 17.Juni 2016

Abschlusskonzert mit traditionellem Public-Viewing – zum Glück nicht ins Wasser gefallen

Zum Ende der Spielzeit darf das Erfurter Publikum immer einen Knüller erwarten und Joana Mallwitz hatte ein Programm mit gleich drei Höhepunkten vorbereitet:

Ouvertüre zu „Candide“

Die Ouvertüre zu „Candide“ gehört zu meistgespielten Werken von Leonard Bernstein. „Lenny“ Bernstein griff den satirischen Stoff von Voltaires gleichnamigem Roman auf. Darin beschäftigt er sich immerhin mit der „Theodizee“ von Gottfried W. Leibniz, der glaubte, Gott habe die vollkommenste aller Welten geschaffen. Voltaires Roman entstand damals unter dem Eindruck des großen Erdbebens von Lissabon (1755). Das Buch wurde innerhalb weniger Wochen am Ende des Jahres 1758 verboten. Bernstein arbeitete an einem neuartigen Musiktheater. Ihm schwebte eine große dreiaktige Oper mit Ballett vor. Heraus kam eine „komische Operette“. Die Gattung erwies sich allerdings im Laufe der Arbeit als ungeeignet für den Stoff. Er hielt an seinem Plan einer Opernsatire fest. Am Broadway fiel er damit durch. Geblieben ist die heitere und energiereiche Ouvertüre. Joana Mallwitz verkörpert mit ihrem Dirigat geradezu diese heiter unbekümmerte Botschaft der Ouvertüre. Energiegeladen führt sie das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringen Philharmonie Gotha. 95 Musiker bilden mit ihr diesen heiter-fröhlichen Wirbelsturm aus Glücksgefühl. Die wechselnden farbigen Themen präsentiert sie mit virulentem Schwung. Kaum hat man sich eingehört, ist dieses freudentaumenlde Spektakel auch schon wieder vorbei. Nach einer kleinen Umbau-Pause und einer ebenso fröhlichen Einführungsmoderation von Joana Mallwitz schließt sich ein weiteres heiter-musikalisches Stück an.

Friedrich Gulda: Konzert für Cello und Blasorchester
Friedrich Guldas Konzert für Cello und Blasorchester wurde eines seiner bekanntesten und beliebtesten Werke. Es besteht aus fünf Sätzen: Ouverture, Idylle, Kadenz, Menuett und Finale alla marcia.
Neben dem Solo-Cello spielen Holz- und Blechbläser, Gitarre, Drumset und Bass eine Rolle. Gulda selbst beschrieb dieses musikalische und klangliche Abenteuer als: „Jazz, Menuett, Rock, ein Hauch von Polka, ein Marsch und eine Kadenz mit zwei Stellen, an denen ein hervorragender Cellist improvisieren muss.“ Die Ouvertüre präsentiert energische Blecheinwürfe und erzeugt durch den Einsatz von Gitarre und Schlagwerk ein Bigband-Gefühl. Es folgt ein schöner, ruhig-melodischer Abschnitt für das Solo-Cello mit den Holzbläsern. Die Idylle aus Volkslied und Ländler spiegeln Guldas Freude, stilistische Richtungen zu mischen. Gulda bestritt allerdings immer, er habe dies ironisch gemeint.

Gabriel_Schwabe_07

Gabriel Schwabe.. Foto: Theater Erfurt

Die Kadenz ist ein wilder Ritt durch die stilistischen Richtungen und enthält funkelnd-strahlend virtuose Passagen, für einen jungen „Star-Cellisten“ wie Gabriel Schwabe gemacht. Bereits mit 14 Jahren nahm sich Gabriel Schwabe vor: „Ich möchte Cellist werden!“ Zu verdanken hat er dies seinem Grundschullehrer, der ließ die Kinder ausprobieren. Dieser erste Eindruck prägte ihn wohl für die Zukunft. Seitdem hat Gabriel Schwabe viele Preise gewonnen z.B. den „Grand Prix Emanuel Feuermann“. Man findet ihn auf vielen Festivals und eine Brahms-CD gibt es bei Naxos. Schwabe, der ja auch vom Komponisten Gulda vorgesehen improvisieren soll, zeigt an dieser Stelle seine virtuos-humorigen Fähigkeiten und reißt das Erfurter Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Fortgesetzt wird das Stück im spanisch-barocken Stil. Das elegant orchestrierte Menuett leitet über ins Finale alla marcia, verbunden mit Polka-Anklängen und einem erstaunlichen Mix aus Blasorchestermotiven und Jazzelementen. Joana Mallwitz führt ihr Orchester mit viel heiterem Schwung und hat ein perfektes Zusammenspiel mit dem Solisten Gabriel Schwabe. Der erhält rauschenden Applaus, so dass er noch eine kleine Bach-Solo-Zugabe spielt.

Eine ganz andere musikalische Erfahrung konnten die Konzertbesucher nach der Pause machen. Mit dem Stück:

Le sacre du printemps von Igor Strawinsky

Strawinsky bezeichnete einmal in einem Gespräch den russischen Frühling als ein immer prägendes Erlebnis, in dem sich ihm die Urgewalt der aufbrechenden Natur zeigte. Diese urgewaltige Erfahrung wurde später für ihn zu einer Triebfeder für Le sacre du printemps. Nach vertieften Studien zur heidnischen Frühgeschichte Russlands entwickelte Strawinsky seine Musik. Ob ihm bewusst war, welche Tabus er damit berührt und ob er absichtlich einen Skandal suchte, das beschäftigt noch heute Historiker und Musikwissenschaftler.

An diesem Konzertabend wechselten jedenfalls die Wetterlaunen sich ab und das stellte das Feierpublikum auf dem Vorplatz auf eine harte Probe, doch die wahren Musikliebhaber hielten durch. Es ist ja gute Tradition, dass das letzte Konzert der Spielzeit auch Open Air übertragen wird und sich viele beim Picknick-Public-Viewing versammeln. Auch Generalintendant Guy Montavon mischt sich dann mit seinem Glasel unters Feier-Volk, während drinnen im Saal Joana Mallwitz auswendig das Frühlingsopfer dirigiert. Sie wirbelt wie die ekstatische Opfertänzerin auf ihrem Podest herum und versprüht die urwüchsige Energie. Dabei treibt sie das Kooperations-Orchester, bestehend aus Philharmonischem Orchester Erfurt und der Thüringen Philharmonie Gotha, voran und spornt sie zu immer neuen „Attacken“ an. Die hämmernden Streichern und die gebrochene Rhythmik entwickelt sie prägnant. Auch die Blechbläser ermuntert sie zu heftigen Einsätzen. Dabei Joana Mallwitz bewahrt sich immer den Blick auf den Gesamtklang und überraschend lässt sie den Wirbel zum Erliegen kommen.

Joana Mallwitz  11
Joana Mallwitz. Copyright: Theater Erfurt

Nachdem sich die Pauken und die große Trommel krachend hervorgetan haben, schafft Mallwitz eine besonders schöne Überleitung zu der lyrischen Klarinetten-Melodie.

Der Frühlingsreigen bildet ja eine Zäsur und einen Übergang ins romantisch-melancholische. Auch hier führt Mallwitz mit souveränem Händchen und steigert bis zum Tutti-Fortissimo. Die Blechbläser greifen mit heftigen Stößen das Thema auf und die Pauken treiben mit ihren heftigen Crescendo-Schlägen das Orchester voran.

Mit den Spielen der rivalisierenden Stämme gewinnt das Stück noch einmal eine neue Dimension. Hier bekommen die Pauken eine zentrale Position, weil sie den Kampf der Stämme symbolisieren. Ihrem Hämmern folgen spannungsgeladene Töne der tiefen Blechbläser. Auch hier versteht es Mallwitz noch zu steigern und das Orchester zu einem Spannungsfinale anzutreiben.

Mit der Prozession der alten Weisen endet diese aggressive Spannung und wird aufgelöst in schneidende Schrei-Töne der Trompeten und Mallwitz lässt die Ratschgurke präzis einsetzen. Nach einer nervenzehrenden Geräuschkulisse, ausgelöst durch die Bläser mündet das Stück im Kuss der Erde. Hier wirken die tiefen, ruhigen Töne der Fagotte und das Pizzicatio im Solo-Kontrabass.

Verhaltene Schläge der Pauke untermalen das Ritual, in dem die alte Weise die Erde küsst. Joana Mallwitz gestaltet auch sehr schön den Übergang zur Stille am Ende des ersten Teils. Im zweiten Teil, dem eigentlichen Opfer, forciert Mallwitz vor allem den Lamento-Charakter des Stückes. Zum Fagott-Solo gesellen Holz- und Blechbläser. Die karge Orchestrierung begleitet den Mystischen Reigen der jungen Mädchen. Gedämpfte Hörner leiten das Crescendo ein. Die Anrufung der Ahnen markiert eine Wende des Themas. Mit dumpfen Bassstimmen und Schlägen der großen Trommel sowie der Pauken wird nochmals Stille eingeleitet. Es folgt die Rituelle Handlung der Ahnen. Auf Tamburinschläge und Holzbläser folgen gedämpfte Trompeten, die nach einer Klarinettenüberleitung im finalen Opfer enden. Joana Mallwitz wirft sich in das verheerende Tutti zum Schluss, in dem das Schlagwerk eine Chaos-Atmosphäre schafft. Mallwitz entwickelt die pure Ekstase bis zum erschöpfenden Abbruch.

Für Sekunden nach dem letzten verklungenen Ton entsteht beim Publikum eine Atmosphäre gespannten Schweigens, bis sich dieser Spannungszustand in tosendem Jubel entlädt von Bravi-Rufen begleitet. So endet ein gelungener Konzertabend einer interessanten Erfurter Konzertsaison.

Thomas Janda

 

 

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