Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ERFURT/Kaufhaus Breuninger: REVUE „ES LIEGT IN DER LUFT“ von Mischa Spoliansky

Ein Spiel im Warenhaus

13.04.2018 | Operette/Musical


Copyright: Lutz Edelhoff

Erfurt / Revue „Es liegt in der Luft“ von Mischa Spoliansky (Ein Spiel im Warenhaus)

Premiere des Theaters Erfurt im Kaufhaus Breuninger am 12.04.2018

 Witzige temporeiche knallbunte Inszenierung

Die Besucher des Kaufhauses Breuninger sind angeheitert und vielleicht auch etwas irritiert, denn ein Portier begrüßt sie schon am Eingang. Irgendwie, ja irgendwie kennt man den, aber wer, wer könnte das sein. Ein schneller Blick ins Programmheft rettet. Meine Güte, das ist ja Ks. Máté Sólyom-Nagy. Wie Maske und Kostüm doch völlig verändern! Auf dieses Spiel mit Masken und Kostümen setzt die Erfurter Inszenierung und bezaubert auch mit den gut durchgestylten Kulissenelementen und Kostümen von Mila van Daag, die sich nahtlos einfügen in die echte Kulisse des Breuninger-Kaufhauses in Erfurt.

Fernando Blumenthals Regie versetzt die Revue Mischa Spolianskys ganz in die Welt eines heutigen Kaufhauses. Das gelingt ihm vor allem in der Art, wie die Sprechdialoge präsentiert werden. Die könnten auch „jetzt“ im alltäglichen Erfurt gesprochen werden. Die Revue hatte 1928 ihre Uraufführung. Die Musik ist spritzig und schmissig und die Kostüme pendeln zwischen den Zeiten. „Stylisch“ und stilistisch zieht sich grelles „Pink“ durch das ganze Stück. Das schafft Kontrast zu den Figuren, die nicht zur Warenhauswelt gehören, z.B. „Der Herr“, den Ks. Jörg Rathmann spielt.


Copyright: Lutz Edelhoff

Inhaltlich werden in kurzen revueartigen Szenen kleine Geschichten rund um das Einkaufserlebnis im Warenhaus geschildert. Da gibt es beispielsweise die Zwillinge Peter und Petersilie, die während eines hektischen Einkaufs von den Eltern einfach vergessen werden und dann zum „Inventar“ des Kaufhauses gehören und dann, sozusagen, durch die Abteilungen heranwachsen und sie werden auch im Sinne des Warenhauses erzogen. Zum Schluss wird Zwilling Peter selbst der Chef des Kaufhauses. Oder die zwei Freundinnen, die plötzlich herausfinden, dass sie denselben Mann lieben. Doch anstatt sich die Augen auszukratzen, machen sie lieber einen entspannten Einkaufsbummel. Na, und da gibt es das kleptomanisch veranlagte Gaunerpärchen, dem es immer wieder gelingt, dem Kaufhausdetektiv mit der geklauten Beute zu entwischen. Das Warenhaus ist ein Labyrinth des Lebens, von der Umtauschkasse bis zur Gourmet-Etage.

In der Blütezeit der Kabarett-Revuen der Weimarer Republik entwickelte sich die „Diseusen-Technik“, deren künstlerisches Ziel war es Figuren plakativ-showartig zu zeigen. Die Compère-Dramaturgie bewirkt die schnellen Wechsel zwischen Sprech- und Gesangsszenen. Diese Darstellungsweise entwickelt Regisseur Fernando Blumenthal exzellent weiter und schafft eine pointierte Variante ohne jeden archivalischen Anklang an die „Goldenen Zwanziger“. „Es liegt in der Luft“, diese Revue des Erfolgsduos Marcellus Schiffer und Mischa Spoliansky verulkte schwungvoll den sachlichen Zeitgeist, der seinen Namen einer Kunstausstellung verdankte und Fernando Blumenthal kreiert eine Inszenierung, die sich in der Warenwelt unserer Tage als aktuell verhält.

Der Text des Hauptsongs ist inhaltlich ohnehin zeitlos, auch wenn er dem Sprachduktus der Zwanziger entspricht:

 

Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit,
es liegt in der Luft eine Stachlichkeit,
es liegt in der Luft, es liegt in der Luft, in der Luft!
Es liegt in der Luft was Idiotisches,
es liegt in der Luft was Hypnotisches,
es liegt in der Luft, es liegt in der Luft, in der Luft,
und es geht nicht mehr raus aus der Luft!“

 

Die schlagerhafte Compère-Technik, von Regisseur Fernando Blumenthal meisterlich eingesetzt und von allen Darstellern mit Präzision und Lust am Spiel umgesetzt, macht die Zuschauer gewissermaßen zu Komplizen der Aufführung und der Raum zwischen Darstellern und Publikum wird aufgehoben. Man ist ganz drin im Stück. Auch die Choreographie von Sten Mitteis sorgt für Schwung, der sich vom Anfang bis zum Ende durchzieht. Viele tänzerische Elemente bringen Bewegung und Fluss in die Inszenierung.

Ks. Máté Sólyom-Nagy spielt im Wechsel den Chef des Hauses und den Portier, dabei versteht er es beide Rollen vollkommen zu verkörpern. Als Chef ist er ein „Hipster-Typ“, leicht zynisch, aber auch einschmeichelnd. Als Portier wirkt er beflissen und diensteifrig. Julian Freibott tritt in zwei Rollen auf: als Er und Peter (einer der Zwillinge). Sein Komödien-Naturell macht ihn dabei zum Revue-Star. Er singt, er bewegt sich toll, er schauspielert und sieht fesch aus. Mit seiner Partnerin Julia Stein als Sie und Zwillingskind Petersilie sind beide ein Traumpaar dieser kleinen Revue. Dabei sind sie in der Lage alle Altersstufen zu spielen, vom Kind bis Oma und Opa.

Eine weitere Augenweide ist die Sopranistin Julia Neumann und das liegt nicht nur an ihren blendenden Beinen, mit denen sie in jeder Modenschau auftreten könnte, das liegt vor allem auch an ihrer vielseitigen Spielweise. Sie verkörpert gleich vier Rollen: eine Verkäuferin, eine Kleptomanin, eine Dame und die 2. Freundin. Alle Rollen mimt sie glaubhaft und für den Zuschauer gut nachvollziehbar und dabei singt sie auch mit Pfiff und Witz. Als eine weitere erstaunliche Darstellerin präsentiert sich Maria-Elisabeth Wey, sie ist Gast im Ensemble und spielt die Verkäuferin 1, eine Dame, Sie und die 1. Freundin. Als „Fräulein Schabratzky“ verwandelt sie sich traumwandlerisch in ein Hündchen und artikuliert ihre Sehnsüchte. Ihre körperliche Verwandlung in Hündchenbewegungen fasziniert, dabei hat sie eine Pelzmütze auf und ein Mäntelchen an. Ihre Beobachtungsgabe für tierische Verhaltensweisen fließt in ihr überzeugendes Spiel ein und zieht die Zuschauer in ihren Bann.


Copyright: Lutz Edelhoff

Buffo-Genie Ks. Jörg Rathmann spielt die Rollen: Der Herr und einen Musikfreund. Er wirkt wie ein etwas zerknautschter Kleinbürger, der die Welt nicht mehr ganz versteht und seine Frau gern gegen Wollsocken eintauschen will. Vorher hat ihm Julia Neumann als langbeinige Verkäuferin schon die Krawatte beschnitten. Sein Spiel zeigt viele Facetten und gerade seine fein dosierte und reduzierte Komik machen ihn dabei so glaubwürdig und tragikomisch. Ein wirklich großer Verwandlungskünstler an diesem Premierenabend ist auch der Tenor Alexander Voigt. Er spielt einen Kleptomanen, den Er, den Marcel und einen Fotografen sowie den Verkäufer 1. Vor allem als Fotograf mit Berliner Schnauze beeindruckt er, aber auch als Verkäufer, der seine Ware clever an den Mann oder die Frau bringt. Mit ihm stehen Typen auf der Bühnenverkaufsfläche, die es auch im realen Leben gibt. Einen exotischen Auftritt hat der südafrikanische Bariton Siyabulela Ntlale als Gesangstar Jack Smith. Als leicht bornierter B-Promi wird er zum Showknüller des Abends. Vor allem mit seiner kleinen Pfeifeinlage.

Musikalisch hat Ralph Neubert am Klavier alles virtuos im Griff. Gemeinsam mit Norina Bitta, Flöte und Alexander Bätzel am Schlagzeug unterstützen sie die Sänger und verleihen der ganzen Aufführung eine sehr spezielle Note. Eigentlich ist eine größere Besetzung vorgesehen und auch andere Instrumente wie Saxophon. Ralph Neuberts Arrangement kommt aber ganz bewusst mit dieser schmalen Besetzung daher, die über die gesamte Zeit hinweg viele spannende musikalische Akzente setzt. Er selbst ist mit seiner spritzig-virilen Spielweise ein Klangmotor für diese Revue. Auch in die Geschehnisse wird er einbezogen und spielt spaßig mit.

Regisseur Fernando Blumenthal hat sich unendlich viele Details für seine Revue-Inszenierung ausgedacht z.B. bei der Nennung der Kinder, werden lustige Kinderbilder hinter den Kleiderständern gehoben oder alle Sänger singen gut abgestimmt durch Megaphone. So entstehen auch viele neue Klangeindrücke.

Ein Feuerwerk an Farben sind auch die Kostüme und stellvertretend für die Mitarbeiter seien hier Susanne Ahrens und Constanze Klusch genannt, die für den unglaublich schnellen Kostümwechsel sorgen. Für die perfekten Auftritte aller Akteure sorgt Maskenbildner Sasha Heider, der enorm schnell arbeiten muss, um die verwandelten Sänger wieder auf die Rampe zu bringen. Seine Make-ups sind eine Augenweide und vollkommen auf die Kostümfarben abgestimmt.

Möglich gemacht hat alles auch der Erfurter Breuninger-Geschäftsführer Marcus Kahl: „Wir haben seit längerer Zeit eine gute Zusammenarbeit mit dem Erfurter Theater und sind deshalb schon vor vier Jahren das Wagnis einer Aufführung in unserem Haus eingegangen. Damals mit der erfolgreichen Aufführung der Kaufhausoperette „Rufen Sie Herrn Plim!“ Auch dieses neue kreative Ergebnis ist überraschend gut und unterhaltsam. Ich denke, dies wird vielen Besuchern Freude machen, auch dann, wenn es in der nächsten Spielzeit im Theater kommen wird.“

In dieser Revue bringen die Darsteller-Sänger des Erfurter Theaters eine Prickel-Knallerbse nach der anderen zum Platzen und auch nach den Breuninger-Aufführungen wird das Stück in der Studio-Bühne des Erfurter Theaters zu sehen sein. Vielleicht gibt es auch noch eine kleine Bearbeitung, denn jetzt werden weniger als die vorgesehenen 24 Szenen gezeigt.

Es lohnt sich auf jeden Fall, sich diese witzige temporeiche Inszenierung anzusehen.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

Diese Seite drucken