Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ERFURT: IOLANTA von P.I.Tschaikowsky. Konzertante Aufführung – Premiere

01.11.2015 | Oper

Erfurt/ Oper Iolanta von Peter Tschaikowsky

Theater Erfurt / Iolanta von Peter Tschaikowsky /Premiere /konzertante Aufführung/ am 31.10.2015

Durch das Dunkel zum Licht – eine Hymne an die Liebe

Iolanta   7
Copyright: Theater Erfurt

Die Oper Iolanta von Peter Tschaikowsky ist eine rührende Geschichte der blinden Prinzessin Iolanta, die durch die Liebe geheilt wird. Sie lebt in ewiger Dunkelheit, wo Ruhe und Gelassenheit herrscht. Iolanta weiß nichts von ihrer Beschränkung, doch sie verspürt eine innere Trauer, die sie sich selbst nicht erklären kann.

Die Tochter von König René wird zum Symbol für geistige Blindheit auch ihrer gesamten Umgebung. Nur Liebe und Mitgefühl erweckt im Herzen von Iolanta den leidenschaftlichen Wunsch, die Welt zu sehen.

Da die Oper eher weniger bekannt ist, sollen hier einige Vorbemerkungen zur Entstehungsgeschichte gesagt sein.

Die Oper Iolanta ist die letzte Oper von Peter Tschaikowsky. Im Jahr 1884 las der Komponist die Übersetzung eines in einem Akt geschriebenen Dramas in Versen des dänischen Schriftstellers Henrik Hertz König Renés Tochter. Tschaikowsky wurde von der Originalität und der poetischen Geschichte fasziniert. Doch erst im Jahre 1891 begann er Iolanta zu komponieren. Der Bruder des Komponisten Modest Tschaikowsky (1850-1916) hat das Libretto geschrieben.

Die Arbeiten begannen am 10. Juli und endeten am 4. September 1892. In dieser kurzen Zeit wurde die ganze Musik geschrieben und im Dezember wurde die Orchestrierung abgeschlossen. Die erste Aufführung der Oper zusammen mit dem Ballett Der Nussknacker fand im Dezember 1892 in St. Petersburg im Mariinsky-Theater statt.

Die Oper wurde als begeisterte Hymne an die Liebe vom Publikum empfunden.

Die Handlung:

Im Süden von Frankreich, im Tal der Vogesen, im 15. Jahrhundert, liegt das Schloss von König René von Provence. Hier lebt die junge Königstochter Iolanta. Sie ist von Geburt an blind, weiß aber nichts darüber. Auf Wunsch des Königs darf niemand ihr dieses Geheimnis verraten. Unter Androhung der Todesstrafe darf es keiner wagen, in das Schloss zu gelangen. In seliger Unwissenheit verbringt Iolanta ihre Tage unter Freunden. Jedoch stören vage Empfindungen ihren Frieden. Iolanta weint vor Sehnsucht und ihre Freunde versuchen vergeblich sie von ihren traurigen Gedanken abzulenken. Der König holt den berühmten maurischen Arzt Ebn-Chakia in sein Schloss. Voller Aufregung wartet René auf seine Antwort. Der Arzt sagt, dass Heilung möglich wäre, aber man sollte Iolanta lehren, was Sehen bedeutet, damit ihre Seele sich das auch wünscht. Der König zeigt sich skeptisch.

Trotz deutlicher Verbotstafel dringen zwei verirrte Ritter in den Garten ein. Das sind Robert, Herzog von Burgund, dem Iolanta versprochen war, und sein Waffengefährte, Graf Vaudémont. Robert weiß nicht, dass Iolanta blind ist. Er liebt eine andere Frau, Mathilde, und wünscht sich von seinem Heiratsversprechen entbunden zu werden. Vaudémont allerdings verliebt sich, beim Anblick der schlafenden Prinzessin, in sie. Robert ist das nicht geheuer, er möchte Vaudémont schnell wegbringen. Dabei erwacht Iolanta. Sie empfängt die Ritter freundlich und bewirtet sie. Robert fürchtet eine Falle und macht sich davon. Nun entwickelt sich eine schöne Rosengeschichte und Vaudémont begreift, dass Iolanta blind ist. Mitleidig erzählt er ihr von der Schönheit des Lichts. So erfährt Iolanta, dass sie blind ist.

Als der König kommt und erfährt, dass ein Unbekannter das Geheimnis enthüllt hat, empört er sich. Der Arzt Ebn-Chakia beruhigt ihn. Nun ist der Weg offen für die Heilung. Doch der König droht Vaudémont mit dem Tod, wenn die Behandlung nicht hilft. Im Interesse ihres Geliebten ist Iolanta bereit, alles zu ertragen, nur um ihn zu retten. Der Arzt führt die Behandlung aus. Zwischendurch entbindet der König Robert von seinem Heiratsversprechen. Dafür wird die Königstochter nun Vaudémont zur Ehefrau versprochen. Nach der Behandlung erscheint Iolanta und jetzt kann sie sehen. Sie ist überrascht und sieht mit Begeisterung die Welt. Es erschallt ein furioser Schlusschor.

Die Musik

Iolanta ist eine lyrische Oper mit poetischer Inspiration: Großzügigkeit und Reinheit des Gefühls und berührende Intimität machen sie zu einem der harmonischsten Werke von Peter Tschaikowsky. Diese Musik verkörpert den lebensbejahenden Glauben an den Sieg des Lichtes und das Streben nach Wahrheit und Güte.

Der Anfang der Oper verkörpert den Kontrast zwischen Dunkelheit und Licht. Die Orchestereinleitung erklingt in traurigen und düsteren Farben, denn aus dem Orchester werden die Saiteninstrumente ausgeschlossen. Die Holzbläser verstärken das Kälte-Gefühl der vagen, ängstlichen Sorge der Iolanta. Heller Kontrast entsteht durch heitere Liedmelodien. Mit der leichten Begleitung von Geigen und Harfe wird die plötzliche Flut des Sonnenlichtes wahrgenommen. Der Gesamtaufbau der Oper ist musikalisch gut nachvollziehbar. Zuerst singen die Damen im Wechsel und entwickeln ein schönes Chortableau, darin ist die erste Arie Iolantas eingebettet. Die traurige Arie Iolantas „Отчего это прежде не знала“ klingt nachdenklich, sie verbreitet eine kontemplative Stimmung und weicht einem leidenschaftlichen Impuls. Dann folgen die Arien der männlichen Sänger mit steigender Stimmlage vom Bass über zwei Baritonlagen zum Tenor. Daran schließt sich ein wunderbares Sopran-Tenor-Duett an zwischen den Liebenden. Das ist der zentrale Wendepunkt. Jetzt folgen alle neun Solisten und der Chor. Noch einmal gibt es einzelne Arien, in denen die Behandlung der Blinden und die Missverständnisse zwischen König und Liebhaber geklärt werden, um dann zu einem atemberaubenden Finale durchzustarten. Eine Hymne der Solisten und des Chores, getragen von einem sich mächtig steigernden Orchester wird sozusagen zum turbo-finalen Happy End der Oper.

Stern des Abends ist Ilia Papandreou (Iolanta, blinde Königstochter). Optisch präsent in einem weißen Kleid, singt sie alle Arien mit größter Präzision und vollem Volumen. Dabei beherrscht sie den Text vollständig und singt komplett ohne Blatt. Das macht sie so frei und lebendig, dass sie ihre Rolle vollkommen verkörpert. Ihre wundervoll timbrierte Stimme und die Einfühlsamkeit, mit der sie Iolantas Charakter modelliert, wühlen die Zuhörer richtig auf. Mit dieser Interpretation zeigt Ilia Papandreou eine große Reife und eine das Publikum beeindruckende Ausdruckskraft.

Künstlerisch steht ihr Vazgen Ghazaryan (König René) gegenüber. Mit seinem väterlichen Bass füllt er das Haus. Auch er hat den Text verinnerlicht und lebt seine Rolle mit jeder Note. Seine Sprachverständlichkeit erweist sich als super-präzis. Sein voluminöser Bass wirkt eindringlich und dennoch angenehm. Er erzielt Gänsehaut mit seiner Stimme und die königliche Rolle macht er den Hörern präsent und begeistert sie. Als tiefer Bariton steht ihm Juri Batukov (Ebn-Chakia, ein maurischer Arzt) gegenüber. Am Premierenabend erreicht er nicht alle Nuancen seines stimmlichen Potentials, dennoch verkörpert er seine Rolle anschaulich. Auch er singt mit verinnerlichtem Text und prägt damit die Rolle des heilenden Arztes nachdrücklich. Thomas Paul (Vaudémont, sein Freund) hat so seine Schwierigkeiten mit der russischen Aussprache. Er klebt am Blatt und die Worte verschleift er zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Silbenbrei. Auch stimmlich wirkt er seiner Rolle wenig gewachsen. Das erhöht den Kontrast zu den anderen Stimmen des Abends. Man kann ihm aufrichtiges Bemühen nicht absprechen, ab
er den stimmlich alles überstrahlenden Retter, den vermag er nicht zu verkörpern. Hier wäre mehr brillanter Tenor-Ton nötig gewesen! Valeri Turmanov (Robert, burgundischer Herzog) singt russisch mit leicht bulgarischem Akzent, trifft aber den höheren Bariton sehr schön, obwohl er sich in seinem Volumen durchaus steigern könnte. Letztlich wirken Valeri Turmanov in seiner höheren und Juri Batukov in seiner tieferen Baritonlage sehr harmonisch und komplex. Besonders wirksam erweist sich die Arie an Mathilde „Кто может сравниться с Матильдой моей“, die Valeri Turmanov mit stürmischer Heiterkeit und voller Leidenschaftlichkeit vorträgt.

Richard Carlucci (Almerik, Waffenträger des Königs) drapiert mit seinem Tenor die Männerrunde und natürlich wirkt sein Russisch sehr amerikanisch. Dimitry Ryabchikov (Bertrand, Türhüter im Schloss) ist vertretungsweise eingesprungen und erweist sich als überraschend angenehmer Gewinn der Aufführung. Der russische Bassist brilliert mit jeder Silbe gut artikuliert und mit schönem Klang in der Stimme. Und er rundet mit seinem höheren Bass das Stimmenkaleidoskop des Abends ab.

Die Sängerinnen auf der linken Bühnenseite stehen den Männern nicht nach. Da ist Katharina Walz (Martha, Iolantas Amme) mit ihrem wunderbaren Alt. Diese füllige, warme und mütterliche Stimme bildet die Brücke zu den Frauenstimmen. Auch ihr Russisch hat eine schöne Artikulation. Katja Bildt (Laura, Iolantas Freundin) und Anita Rosati (Brigitta, Iolantas Freundin) schließen sich mit ihren Stimmen an, sie komplettieren die Aufführung und runden die Gesamtwirkung ab. Phonetisch haben die letztgenannten ähnliche Probleme, wie die Männer.

Der Chor des Theaters Erfurt in der Einstudierung von Irene Berlin präsentiert sich stimmstark und leidenschaftlich. Schon beim ersten Einsatz schaffen die Chorsängerinnen eine glockenhelle Atmosphäre. Mit ungetrübter Freude singen sie „Вот тебе лютики, вот васильки“.

Gemeinsam mit den Solisten entwickelt der Chor im Schlussfinale seine größte Wirkung. Mit dem hymnischen Gesang: „Von der Himmelskuppel strahlend…“ (О купол неба лучезарный…), wird der Aufstieg in die göttliche Welt zelebriert. Spirituelle Ehrfurcht spiegelt sich hier wider. Diese begeisternde Melodie wird vom Ensemble und Chor mit solcher Intensität gesungen und zu einer triumphalen Hymne der Oper gesteigert, dass die Zuhörer geradezu in ihre Sessel gedrückt und mitgerissen werden.

Begleitet wird dieser Chor-Orkan vom Philharmonischen Orchester Erfurt unter der Leitung von Samuel Bächli. Mit dynamischen Steigerungen treibt er das Finale seinem apotheotischen Höhepunkt entgegen. Fortgesetzt dieses Furioso von den Beifallsstürmen des Publikums. So gelungen, wie der Schluss, sind die Sängerbegleitungen leider nicht immer. Die besondere Schwierigkeit, dass nämlich das Orchester auf der Bühne sitzend, automatisch sehr laut ist, wird von Bächli manchmal zu wenig bedacht. An einigen Stellen hätte er seine Musiker mehr zurücknehmen müssen. So zwingt er die Sänger oft gegen das Orchester anzusingen und das führt dazu, dass man sie nicht immer gut hört.

Insgesamt wird die Oper als begeisternde, strahlende Hymne an die Liebe vom Publikum wahrgenommen. Diese konzertante Aufführung bietet die besten Aspekte der menschlichen Seele russischer Prägung. Für das Erfurter Publikum war das eine neue und intensive künstlerische Erfahrung. Musikalisch bereichert diese Oper das Repertoire des Erfurter Theaters enorm.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

Diese Seite drucken