Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ERFURT: HERCULES von G.F.Händel. Eifersucht – ein Höllenfluch. Premiere

16.01.2017 | Oper

Theater Erfurt/ Hercules, Oratorium in drei Akten von Georg Friedrich Händel / Premiere am 15.01.2017

Eifersucht – ein Höllenfluch

23
Copyright: Theater Erfurt

Eifersucht ist das zentrale Thema der Erfurter Inszenierung. Überhaupt wollten Samuel Bächli (Musikalische Leitung) und Ester Ambrosino (Regie und Choreografie) das Oratorium Hercules aus der Perspektive der Leidenschaften präsentieren. Darum hat Samuel Bächli das Oratorium von dreieinhalb Stunden auf 100 Minuten gekürzt. Entstanden ist eine dichte Szenenfolge mit expressiver Dramatik. Dafür hat es viele Gründe gegeben. Vor allem sollte der gesellschaftliche Überbau der barocken Zeit verschwinden und so der Blick frei werden für die eigentliche Familientragödie. Verzichtet wird beispielsweise auf eine große Beerdigungsszene am Ende. Spannungsvoll wechseln sich Arien, Chorstücke und instrumentale Szenen ab. Bei den instrumentalen Szenen wird nach der Choreografie von Ester Ambrosino getanzt. Sie nennt es „Zwischenspiele“. Auch während verschiedener Arien kann man Tänzer erleben, die quasi das Seelenleben der Protagonisten veräußerlichen. Zu hören ist eine Musik, die zwischen repräsentativen Außen- und intimen Innenwelten wandelt, die klangsatte Arien und Chöre enthält, aber auch ausdrucksstarke begleitete Rezitative und extrem offene, große Formen.

Die Götterwelt wird ausgeblendet, denn die Familienkatastrophe ist groß genug, dass auch Götter daran nichts mehr ändern können, so entfällt auch der Befehl zur Heirat der Kinder. Für beide gibt es ein offenes Ende. Zu erleben sind Charaktere, die allesamt seltsam bindungs- und scheinbar orientierungslos durch den Bühnenraum irren. Ihnen fehlen in einer Heldenoper die Helden. In der mythologischen Geschichte ist ihnen der Mythos abhanden gekommen. Die barocke Weltsicht wird individualisiert.

Zu sehen ist eine spartanisch reduzierte Bühne mit Sandboden, der auch immer wieder in das Spiel einbezogen wird. Da wird geschleift und gewischt, gewälzt und geworfen. Die Wände sind grau und archaisch und so wirkt alles sehr direkt und unmittelbar, roh aber auch feinsinnig. Die Lichtstimmungen tragen das Ihrige zur Gesamtwirkung bei. Die Ausstattung hat Jeannine Cleemen entwickelt und das Licht macht Torsten Bante. Für die Dramaturgie sorgt diesmal Lorina Strange.

01
Copyright: Theater Erfurt

 Die Rollen sind gut und treffend besetzt: einen wuchtigen Hercules verkörpert der Bariton Siyabulela Ntlale, ihm steht die Mezzosopranistin Katja Bildt als Dejanira gegenüber. Siyabulela Ntlale zeigt sich schon als Gestalt von Körper-intensiven Format, der mit seinem Auftritt die Bühne dominiert. Siyabulela Ntlale vollbringt es ebenso mit seiner Stimme. Sein erdiger Bariton füllt den Raum, dabei kommt ihm diese Barock-Form des Gesangs entgegen und er kann sehr schön sein Volumen entwickeln. Katja Bildt als Dejanira erweist sich ebenbürtig. Da die Regie sich auf ihre von Eifersucht geleitete Handlungsweise fokussiert, rückt sie auch in den Mittelpunkt. Ihr erschütternder „Jealousy“-Aufschrei, „Eifersucht, o Höllenfluch“ vermag auch das Erfurter Publikum aufzurütteln. Parallel zu den dramatischen Gesangsausbrüchen stellt die Tänzerin Maria Giovanna Delle Donne Dejaniras emotionales Innenleben dar, so entsteht auf der Bühne eine enorme dramatische Verdichtung und Dynamik.

Dejanira überträgt alle ihre Ängste auf Iole und ihre selbstzerstörerischen Kräfte breiten sich aus. Dennoch ist Julia Neumann als Iole auch eine kraftvolle eigenständige Figur, die mit ihrem Sopran und ihrer Spielweise überzeugt. Won Whi Choi als Hyllus zeigt an diesem Abend mit seinem Tenor seine ganz starke Seite. Hell und luzide sind seine Ausdrucksformen. Auch Annie Kruger als Lichas kann beeindrucken mit ihrem schönen und sinnlichen Alt.

Der Chor unter Leitung von Andreas Ketelhut erweist sich als solides Pendant zu den Sängern und darstellerisch fügt er sich mit den Massenszenen sehr verstärkend auch in das Tanz-Theater-Konzept ein. Mit dem Stück „Tyrants now no more“ erzielt der Chor noch einmal Gänsehaut-Atmosphäre im dritten Akt.

Die stillen, aber gefeierten Helden der Inszenierung sind die Tänzer des Tanztheaters Erfurt e.V.: Daniel Carlos Medeiros Almeida, Martin Angiuli, Stefan Kirmse, Anton Rudakov, Manuel Schuler, Kai Siegel, Daniela Backhaus, Johanna Berger, Veronica Bracaccini, Maria Giovanna Delle Donne, Eva Thielken, Kathrina Wilke und Tabea Wittulsky. Das muss man gesehen haben, was diese agilen Tänzer leisten: akrobatisch, körperintensiv, springen, tanzen und bewegen sie sich in dramatischen Posen. Ein Feuerwerk des Tanztheaters! Verdient brandet ihnen der Szenen-Applaus des Erfurter Publikums entgegen.

Samuel Bächli beherrscht als Dirigent alle Tempi und unterstützt die Sänger bestens. Auch die Dynamik weiß er zu forcieren und die Höhepunkte zu steigern. Unter seinem Dirigat wird die Aufführung zu einem Guss und zu einem Hörgenuss.

Kunst ist immer Wagnis. Wäre Georg Friedrich Händel kein Künstler gewesen, so hätte er seine Erfolgsserie der Oratorien in London 1744 nicht unterbrochen. Er hätte nicht dieses zwitterhafte „musical drama“ geschaffen, das weder Oper noch Oratorium ist.

Hercules, Anfang 1745 uraufgeführt, wurde ein riesiger Flop. Man könnte die These wagen, dass gerade die Gründe für den damaligen Misserfolg das Werk in unseren Tagen besonders interessant erscheinen lässt.

Samuel Bächli (Musikalische Leitung) und Ester Ambrosino (Regie und Choreografie) haben es gewagt das Oratorium Hercules in gegenwärtige Bezüge zu stellen ohne eine plumpe „Verheutigung“ zu veranstalten, dafür haben sie zu Recht viel Beifall bekommen.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

Video zur Aufführung: http://www.theater-erfurt.de/media/hercules-2.html

 

Diese Seite drucken