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ERFURT/ Haus Dacheröden: kandinsky ::: jajaj дада, Lyrisch-musikalische Performance

01.02.2020 | Konzert/Liederabende

31.01.2020 Haus Dacheröden, Erfurt: kandinsky ::: jajaj дада, Lyrisch-musikalische Performance

Das Haus Dacheröden hat eine lange kulturelle Tradition in Erfurt und am 31. Januar 2020 stand auf dem Programm: „kandinsky ::: jaja дада – KLÄNGE FÜR DAS INNERE AUGE“
Geboten wurde eine lyrisch-musikalische Performance, die auch aller höchste Ansprüche erfüllte.

Wassliy Kandinsky ist vor allem als Maler bekannt. Doch der studierte Jurist beschäftigte sich auch mit Philosophie, Theater und Musik. Aus seinem Interesse für Literatur gingen zwischen 1885 und 1920 zudem zahlreiche Gedichte hervor, die heute fast völlig in Vergessenheit geraten sind. Elizaveta Birjukova – Flöten, Akai EWI; Christoph Ritter – Klavier und Sergej Birjukov – Lautpoesie wollten dies ändern. Sie machten die Lautpoesie des Bauhauskünstlers in authentischer Form im Haus Dacheröden erlebbar. Sie boten eine musikalische Reise zurück in die Zeit des Dada und der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts an. Und die drei Akteure nahmen jeden mit aus dem zahlreich erscheinenden Publikum. Weigern war einfach zwecklos und unmöglich.


Von links: Christoph Ritter, Elizaveta Birjukova und Sergej Birjukov, Foto: Thomas Müller

Geboten wurden skurrile Momente ganz im Sinne des um 1917 entstandenen Dadaismus. Die
Gedichte von Kandinsky wurden für diese Kunstrichtung typisch in unkonventioneller Form
rezitiert.

Links oben in der Ecke ein Pünktchen. Rechts unten in der Ecke ein Pünktchen. Und in der Mitte gar nichts. Und gar nichts ist viel. Sehr viel – jedenfalls viel mehr als etwas.“ (aus LEER)

„Die Blüten der Poesie sind überall verstreut. Versuch‘, sie zu einem immergrünen Kranz zu flechten. Du bist gefesselt, trotzdem bleibst du frei. Du bist allein, trotzdem bist du nicht einsam.“ (aus Poesie)

„In diesen Gedichten tauchen Wortfolgen und Satzfolgen auf, wie dies bisher in der Dichtung nie geschehen war. Es weht durch diese Gedichte aus ewig Unergründlichem.“ Hans Arp, 1951

Zu hören waren nicht nur diese Zeilen zweisprachig auf Russisch und Deutsch. Schon diese unterschiedlichen Sprachen und ihre eigenen Sprachmelodien wurde gezielt und ästhetisch eingesetzt. Hinzu kamen die unterschiedlichen Stimmfarben der Sprache von Sergej Birjukov und Christoph Ritter, die dem Ganzen einen eigenen Charakter aufzwangen.

Es klang nicht, wie so oft heute, gequält und krampfhaft gewollt, sondern wurde der mit fortschreitender Zeit immer intensiver und der damit verbundenen Spiritualität mussten man sich einfach nur ergeben und wenn man sich dem hingab, dann gelang der Zeitsprung vor oder zurück, genau weiß ich es nicht, jedenfalls in ein zeitloses JETZT und HIER. Eindeutig war dabei nichts, da der Eindruck individuell und intuitiv beim Publikum entstand. Getreu dem Credo Wassily Kandinskys heißt es also: „Halten Sie Ihr Ohr hin zur Musik, öffnen Sie Ihr Auge für die Malerei. Und denken Sie nicht!“ Genau so und nicht anders, war es.
Elizaveta Birjukova unterlegte die Gedichte häufig mit einem Klangteppich der sphärischen Art. Durch dieses Zusammenwirken nahm die Performance fast sakrale aber zumindest metaphysische Formen an, die das Publikum ganz in Besitz nahmen. Großartig und einmalig.


Im Mittelpunkt spielt Elizaveta Birjukova eine AKAI EWI, Foto: Thomas Müller

Zwischen den Gedichten gab es Musik aus der Zeit des Bauhauses von Heinrich Neugeboren, Stefan Wolpe, Arnold Schönberg, Paul Hindemith, Erwin Schulhoff, Henry Cowell und freie Improvisationen. Zwischen den Gedichten stimmt auch nicht ganz. Die ganze Performance verschmolz zu einem einheitlichen Ganzen.

Es fällt schon schwer, das unbegreifliche des Abends in Worte zu fassen. So war es auch bei der Musik und zeigt mir deutlich, dass auch mit sehr reduzierten Mitteln großartige Kunst geboten werden kann, wenn nur die Akteure die sich ganz ihren Wahnsinn hingeben und uns, das Publikum, daran teilhaben lassen. Wenn die Performance stimmt, kann entstehen, worauf es wirklich ankommt: ein Moment, der etwas bewirkt in uns und mit uns. Im klassischen Drama nennt man solche Momente die „Peripetien“. Leider sind sie heute selten geworden.

Aber kommen wir genau zu einem weiteren dieser seltenen Momente in den Klängen für das innere Auge zurück, Christoph Ritter zeigte einen weiteren dieser Momente, da man angesichts Fülle nicht von einzelnen Höhepunkte sprechen kann, wie die Musik von Henry Cowell „The Banshee“ zu einem ganzheitlichen Genuss wird. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass diese Musik bereits aus dem Jahr 1925 stammt. Und stellt sich wirklich die Frage, wohin haben uns diese drei Künstler entführt.


Christoph Ritter beim Musizieren von „The Banshee”, Foto: Thomas Müller

Das letzte Foto von Thomas Müller zeigt das, was ich meine. Musikalität kennt keine Grenze.

Den Abschluss des äußert kurzweiligen Abend waren zwei Gedichte von Sergej Birjukov über den „Blauen Reiter“ und „Bauhaus“. Bei dem letzten Stück brachen auch wirklich alle Dämme und die Verschmelzung mit dem Publikum war einzigartig. Ein unvergesslicher Abend!

Das Publikum dankte es den drei Künstlern mit langanhaltendem und nicht endendem Applaus. Ich wünsche mir mehr diesen großartigen Momenten in der Kultur.

Danke Elizaveta Birjukova – Flöten, Akai EWI; Christoph Ritter – Klavier und Sergej Birjukov. Es war wirklich eine ganz große Performance.

Olaf Schnürpel
Weimar, den 2. Februar 2020

 

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