Copyright: Theater Erfurt
Theater Erfurt / „Lustige Witwe“ Operette von Franz Lehár / Premiere am 16.12.17
Mit Lehárs Ohrwürmern gegen den EU-Rauswurf
Vielleicht sollten man EU-Staaten, die sich mit Austrittsgedanken befassen in das Erfurter Theater einladen.
Franz Lehárs meisterliche Tanzoperette, in der ein Ohrwurm den anderen, eine Pointe die andere jagt, erzählt von der Liebe als einem unerbittlichen Kampf mit sich selbst und dem Objekt der Begierde. Verloren hat, wer als erster zugibt, dass er noch immer Gefühle für den anderen hegt.
Geht es auch den Staaten so? Immerhin scheint der Lösungsprozess der Briten zu einem lang währenden Scheidungsprozess zu werden.
Regisseur Axel Köhler nutzt die Gunst der Stunde, um aktuelle politische Bezüge satirisch zu analysieren. Der Staat Pontevedro ist pleite und es wird der Rauswurf, der „Ponteve-Drexit“, aus der Europäischen Union, unweigerlich folgen. Dazu werden in der Inszenierung natürlich jede Menge Späße gemacht.
Die „Lustige Witwe“ spielt in einer sich beständig um sich selbst drehenden, heillos-süßen Welt. Die Gesellschaft hat ihre Probleme und Sorgen mit Zuckerguss und Ballvergnügen ein bisschen betäubt. Hier treffen Hanna (Stéphanie Müther) und Graf Danilo (Ks. Máté Sólyom-Nagy) wieder aufeinander, die einst aufgrund ihres Standesunterschiedes keine Verbindung eingehen durften. Während Hanna ihre enttäuschten Gefühle hinter einer nahezu perfekten Fassade verbirgt, hat sich Danilo in Alkohol und unzählige Frauengeschichten geflüchtet. Zwischendurch schläft er, wegen des fehlenden Schreibtisches, in einem Sessel hinter einer Bücherwand. Der 1. Akt dreht sich rund um die EU-Satire.
Aber gerade als es Graf Danilo gelungen scheint, seine Jugendliebe, dank der Grisetten im Nachtclub „Maxim“, einigermaßen zu vergessen, ruft ihn die patriotische Pflicht. Um seine Heimat vor dem Staatsbankrott zu bewahren, soll er die viele Millionen schwere Witwe des Hofbankiers Glawari heiraten, bei der es sich, wie sich herausstellt, um Hanna handelt. Wie verletzbar man sich macht, wenn man liebt, muss die verheiratete Valencienne dagegen erst noch am eigenen Leibe erfahren. Vergeblich versucht sie sich ihrem Verehrer Camille zu entziehen, der nur für den Traum vom Glück, nicht aber für dessen Verwirklichung taugt.
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Für die Inszenierung von Axel Köhler hat Frank Philipp Schlößmann das Bühnenbild und Judith Adam die Kostüme entworfen. Bühnenbild und Kostüme sind durchaus im heutigen gehobenen EU-Milieu angesiedelt, doch im 2. Und 3. Akt entwickelt sich alles zu klassischer Eleganz einer Glitzerwelt zwischen Paris und Wien des ausgehenden 19.Jahrhunderts.
Mirko Mahr hat alle Bewegungs- und Tanzchoreographien entwickelt und damit ein sehr opulentes Geschehen auf der Bühne gestaltet.
Besonders amüsant wirkt im 1. Akt Juri Batukow in der Rolle des Baron Mirko Zeta, der mit charmanter Trotteligkeit die Staatspleite verhindern will. Mit viel täppischer Einfalt instruiert er später auch Danilo und ermahnt ihn, vaterländisch zu handeln.
Ebenso als Spaßvogel präsentiert sich Ks. Jörg Rathmann als Vicomte Cascada. Thomas Förster spielt die Rolle des Njegus besonders witzig. Alexander Voigt singt die Rolle des Raoul de St. Brioche mit Schmiss. Auch Andrii Chakov in der Rolle des Bogdanowitsch rundet als Opernstudiomitglied die Ensembleleistung ab.
Auch die kleineren Rollen bis hin zum nicht immer synchronen Männerballett sind treffend besetzt. Und der gesamten Inszenierung verleihen die Grisetten den runden Schliff, denn was wäre das „Maxim“ ohne ihre flotten Beinchen. Tanzchoreograph Mirko Mahr hat bei allen Szenen eine charmant-frivole Atmosphäre designt und die Kostüme von Judith Adam formen die erotische Glitzerwelt bis ins Detail ohne dabei peinlich zu sein.
Stéphanie Müther als Hanna Glawari und Ks. Máté Sólyom-Nagy als Danilo Danilowitsch drücken der Premiere ihren Stempel auf. Mit ihrem Spiel reißen sie die Zuschauer mit, auch wenn beide gesanglich in den Höhenlagen nicht immer brillant sind. Doch die lyrischen Stellen, wie das „Vilja-Lied“ und auch „Lippen schweigen“ kommen von ihnen so stark, dass das Erfurter Publikum Szenenapplaus spendet.
Daniela Gerstenmeyer (Valencienne) und Julian Freibott (Camille du Rosillon) zeigen sich mit Augenzwinkern als Liebespaar. Im 2. Akt, im Duett und der Romanze: „Mein Freund, Vernunft“ und „Wie eine Rosenknospe“ wird ihr ganzes elegisches Können hör- und sichtbar.
Hinter der gelungenen Aufführung steht eine schwunghaft präsente Dirigentin: Joana Mallwitz. Sie beherrscht den ungarischen Tanzschwung genauso gut wie den Obertonschleier der Violinen, der sich wie ein elegantes Pariser Parfüm über den Theaterraum legt. Bodenständiges Balkanmilieu lässt sie ebenso musikalische Wirklichkeit werden wie Pariser Pflaster. Die Farben der Eleganz und der intriganten Balkandiplomatie sowie des Wiener Schmäh holt sie aus Philharmonischen Orchester heraus. Dabei vermittelt sie den Sängern immer den präzisen Rhythmus.
Die Premieren-Aufführung gelingt vor allem durch den Chor in der Einstudierung von Andreas Ketelhut. Mit dem „Chanson“ des 3. Aktes und dem Schlusschor faszinieren Chor und Ensemble das Publikum. Wie in einer Revue lässt Regisseur Axel Köhler die Männer des Chores die Seitentreppen des Saals herunterlaufen und dabei singen. Ein schönes und beeindruckendes Schlussfinale.
Das Erfurter Programmheft liefert Amüsantes z. B. einen fiktiven Reiseführer für Pontevedriner in Paris. Da heißt es, das Botschaftsgebäude sei ein hervorragendes Beispiel für pontevedrinischen Pseudo-Barock, allerdings etwas baufällig. Immerhin kann ein Zimmer für repräsentative Zwecke genutzt werden. Hoffentlich ist das kein Gleichnis für europäische Union.
Das Erfurter Theater versteht es jedenfalls den Zeitgeist mit Operette zu kitzeln. Dafür gibt es viel Beifall, zu Recht.
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda