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ERFURT: ANDREA CHENIER. Premiere

01.06.2015 | Oper

Erfurt/ Theater Erfurt: Andrea Chènier von Umberto Giordano, Premiere am 30.05.2015

 Eine zerbrechliche Liebe in Zeiten des Umsturzes

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Copyright: Theater Erfurt

 Das erste Bild der Erfurter Andrea Chènier-Inszenierung eröffnet pompös. Die Rokoko-gewandete Adelsgesellschaft vergnügt sich unter einem Himmel voller Lilien, die von der Decke hängen. Das Bühnenbild hat Edoardo Sanchi entworfen und die Kostüme kommen von Roswitha Thiel, beide schaffen eine Atmosphäre, die den Zuschauer in das dramatische Geschehen um Liebe und Verrat ganz hineinnimmt.

 Am Vorabend der französischen Revolution brüskiert der Dichter Andrea Chénier den Adel durch sein Eintreten für Humanität und Freiheit. Einzig Maddalene di Coigny und der Lakai Gérard teilen seine Ansichten. Gérard, den die Revolution zu einem ihrer führenden Männer gemacht hat und der Maddalene begehrt, denunziert Chénier, um seinen Nebenbuhler aus dem Weg zu schaffen. Auf Bitten Maddalenas widerruft er zwar diese Anschuldigungen vor dem Tribunal, doch zu spät: Chénier wird zum Tode verurteilt. Maddalena di Coigny folgt ihm freiwillig auf das Schafott. Ja, sie gibt sogar ihre letzte Habe dafür, dass sie mit dem Geliebten sterben kann, soweit die Story.

 Guy Montavon führt die Regie und hat alles schon einmal in Nürnberg auf die Bühne gebracht. Das mindert die Erfurter Inszenierung keineswegs. Montavon versteht es, verstehbare symbolische Bögen zwischen Anfangs- und Schlussbild zu spannen. Da sausen die Lilien von der Decke, wie ein Fallbeil und im Schlussbild der Hinrichtung übernimmt ein Kettenvorhang diese Funktion. Überhaupt liegen Montavon die Massenszenen, die er mit viel Dynamik und Beweglichkeit gestaltet: eine Gavotte, ein Erschießungskommando, wilde Feiern, ein aufgeregter Mob. Besonders wirkungsvoll ist die plötzliche Wandlung der Sitzreihen zu einer Tribüne, von der aus die hassgeifernde Menge auf die zu verurteilenden blickt. Da erreichen Sänger und Orchester auch ihre Höhepunkte, sowohl im Spiel wie auch im Musikalischen. Bei den Duetten wirkt die Personenführung eher statisch. Dennoch vollzieht sich der Premierenabend in dramatisch-spannungsvollen Bögen, immer unterstützt von Edoardo Sanchis Bühnenbild, das die Atmosphäre einfängt und auf den Punkt bringt. So beispielsweise bei der Revolutionsfeier im zweiten Bild, hier hängen schon von der Decke blindgewordene Spiegel und deuten den Verfall an. Insgesamt gelingt Montavon gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Sanchi eine opulente, bildmächtige und aktionsreiche Aufführung dieses Liebes- und Revolutionsdramas. Sehens- und hörenswert sind auch die Protagonisten.

 Marc Heller (Andrea Chénier) gelingt bei den Solo-Arien und den Duetten eine überzeugende Gestalt eines moralisch-sehnsuchtsvollen Weltverbesserers, der an seiner fanatisch-geistlosen Umgebung scheitern muss, auch und vor allem, weil er sich weigert, die Primitiv-Parolen seiner Umgebung nachzugrölen. Darin ist er schauspielerisch authentisch. Sängerisch gelingt Marc Heller diese Leistung nicht durchgängig. In den lyrisch-träumerischen Passagen trifft er seine Töne gut, manche tenorale Höhe meistert er aber nur technisch gepresst. Macarena Valenzuela als Maddalena di Coigny vermittelt eine sehnsuchtsvoll Liebende. Die Sängerin aus Chile besitzt nicht nur spielerische und gesangliche Anmut, sie ist auch als kämpferisch Subversive, ein passendes Gegenstück zu Heller.

 Als umjubelter Held geht aus diesem Abend Kartal Karagedik mit der Negativfigur Carlo Gérard hervor. Karagedik versetzt sich überzeugend in die Rolle des hintertriebenen Böslings und in die Rolle des gewandelten Beschützers des Liebespaares. Stimmlich sehr präsent und seine Rolle in jeder Facette verkörpernd, wird er zum Stern der Premiere. Das Publikum überschüttet ihn mit Beifall, zu Recht. Stéphanie Müther in zwei Rollen (La Contessa di Coigny / Madelon) gelingen gleich zwei weibliche Figuren exzellent, die unterschiedlicher nicht sein können: die Adlige und die verarmte Bürgerliche. So viel weibliche Wandelbarkeit in ihrem Mezzosopran verdient größte Anerkennung. Marisca Mulder (La Mulatta Bersi) als Maddalenas Freundin, ist eine sich Aufopfernde, die mit ihrem erfrischenden Sopran viel Lebensfreude transportiert. Der Bariton Nils Stäfe (Roucher / Pierre Fléville) bildet ein ausgleichendes Pendant zu seinem Freund Chènier, klanglich bereichert er den Abend. Mächtig von Gestalt, kalt und zynisch, so präsentiert Juri Batukov den Ankläger Fouquier-Tinville. Gerade seine wuchtige und wenig bewegliche Gestalt schaffen seine gefährliche Ausstrahlung als seelenloser Funktionär. Mit seinem Bariton trifft er den Ton des Kein-Erbarmen-Kennenden, Gruselschauder. Máté Sólyom-Nagy (Mathieu, ein Sansculotte) verkörpert den Fanatischen und Rastlosen, der sein Leben gern der Revolution hinwirft. Robert Wörle, der leiblich plump wirkende Spion, vermag auch listig und fischilant zu agieren und ist mit seinem schleimigen Aktionismus ein gefährlicher Intrigant. Tolles Spiel! Gregor Loebel mit gleich zwei Rollen: Schmidt, Haushofmeister/Dumas gibt mit seinem Bass das tiefe Tüpfelchen und rundet die Stimmung. Auch der Chor trägt bei den Massenszenen viel zum Gelingen bei, allerdings sind am Beginn Orchester und Chor nicht immer kongruent, Nachbesserungen erwünscht. Manlio Benzi (Musikalische Leitung) spannt mit seinem Dirigat die dramatischen Verismo-Bögen und steigert die Höhepunkte so effektvoll, dass die Zuschauer von seinem italienischen Temperament hingerissen werden. Überhaupt gelingt es ihm dem Orchester diesen italienischen Klang zu entlocken.

 Übrigens wurde Andrea Chènier in Erfurt noch 1988 in der DDR aufgeführt, worauf Frank Palmowski in der Theaterbeilage „Prospekt“ hinweist. Damals gab es finanzielle und ideologische Problemchen. Einmal musste man die Devisen für die Aufführungsrechte zusammentragen, zum anderen hatten einige SED-Kulturfunktionäre ihre ideologischen Vorbehalte gegen dieses Werk, das die Französische Revolution so in Frage stellt. Am Ende siegten die Kreativen, das war für das Erfurter Publikum ein Gewinn.

 Diese Erfurter Andrea Chènier-Inszenierung lockt als visuelles und akustisches Ereignis, dass man sich auch zwei Mal ansehen kann. So viel prächtige Ausstattung bei Kostümen und Bühnenbild, und alles in allem stimmliche Opulenz, verdient in Erfurt gesehen zu werden.

 

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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