Copyright: Lutz Edelhoff/Theater Erfurt
Bemerkenswerte Opernrarität in Erfurt: „Agnes von Hohenstaufen“ von Gaspare Spontini (Vorstellung: 8. 6. 2018)
Im Theater Erfurt steht zurzeit eine echte und dazu noch sehr bemerkenswerte Opernrarität auf dem Spielplan: „Agnes von Hohenstaufen“ von Gaspare Spontini. Die Uraufführung der dreiaktigen Oper, deren teils poesievolles Libretto von Ernst Raupach stammt, fand im Jahr 1829 in Berlin statt, wobei der 1. Akt bereits zwei Jahre zuvor aufgeführt wurde. Zu einer Wiederaufnahme des Werks kam es erst 1954 in Florenz, 1986 auch noch in Rom.
Kaiser Heinrich VI. (Máté Sólyom-Nagy) mit einem Adler, der nach der Ouvertüre auf die Bühne flog (Copyright: Lutz Edelhoff)
Gaspare Spontini (1774 – 1851) hatte bereits mit seinem ersten Werk, der Farce Li puntigli delle donne, 1796 im römischen Karneval großen Erfolg. Es folgten eine Reihe von komischen Opern für Venedig, Florenz und Neapel, wodurch er der meistgefeierte Komponist von „Prunkopern“ wurde. Von Neapel ging er 1798 nach Palermo und 1803 nach Paris, wo er von der Kaiserin Joséphine stark gefördert wurde. Sie setzte 1807 die Aufführung von La vestale durch, deren Erfolg Spontini über Nacht berühmt machte. Welche Hochschätzung der Komponist genoss, zeigt, dass Kaiser Napoleon durch den Auftrag zur Oper Fernand Cortez sich selbst und seiner Eroberungspolitik ein Denkmal zu setzen suchte. Von 1810 bis 1812 leitete Spontini das Théâtre Italien, 1817 gewährte ihm König Ludwig XVIII. eine Pension.
Im Jahr 1820 nahm Spontinis Karriere mit der Berufung nach Berlin durch seinen Bewunderer König Friedrich Wilhelm III. eine Wendung, die mit großen Vollmachten über das Konzert- und Opernwesen und dem erstmals verliehenen Titel Generalmusikdirektor verbunden war. In Berlin wurde er in die Auseinandersetzungen um eine nationale deutsche Oper hineingezogen und sein Stern begann zu sinken. Mit seinem letzten Werk, der großen historisch-romantischen Oper Agnes von Hohenstaufen, konnte er sich nicht mehr gegenüber den Werken von Weber und Meyerbeer durchsetzen. Nach vielen Intrigen verließ er 1842 Berlin und ließ sich nach diversen Reisen im Jahr 1850 wieder in Italien nieder.
Der Erzbischof von Mainz (Kakhaber Shavidze) traut Agnes (Claudia Sorokina) und Heinrich (Bernhard Berchtold) Copyright: Lutz Edelhoff
Die Handlung der Oper Agnes von Hohenstaufen, die Ende des 12. Jahrhunderts spielt, in Kurzfassung: Die Adelshäuser der Hohenstaufen und der Welfen ringen im Mittelalter erbittert um die Macht im deutschsprachigen Raum. Die Verlobung von Agnes von Hohenstaufen mit Heinrich, dem Sohn des Welfenherzogs Heinrich des Löwen, ist Kaiser Heinrich VI. deshalb ein Dorn im Auge. Umso erfreuter ist er, als ein Gesandter im Namen des französischen Königs um die Hand seiner schönen Cousine Agnes anhält. Doch Agnes und Heinrich heiraten heimlich, wollen fliehen, werden jedoch gefasst. Ein Duell zwischen Heinrich und dem französischen Gesandten auf Leben und Tod bahnt sich an. – Schließlich kommt es trotz aller Widrigkeiten zum Happyend für Agnes und Heinrich. Sogar Philipp August, der König von Frankreich, erteilt den Liebenden seinen Segen und beschwichtigt den erzürnten Brautvater.
Opulente Bühnenbilder. Copyright: Lutz Edelhoff
Der französische Regisseur Marc Adam schuf eine äußerst stimmungsvolle Inszenierung, die mit dem Blick aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, dessen Ende sich heuer zum 100. Mal jährt, auf die Entstehungszeit der Oper beginnt. Ein besonderer Regie-Gag ließ das mit Spannung lauschende Publikum schmunzeln: so flog nach der Ouvertüre ein großer Adler auf die Bühne und ließ sich auf den am Boden schlafenden Bruder des Kaisers nieder, ehe er den Arm von Heinrich VI. ansteuerte. Für die opulente Ausstattung der Produktion – Bühne und Kostüme – zeichnete Monika Gora verantwortlich. Für die kreativen Lichteffekte – u.a. die das Kircheninnere erhellenden Blitze eines Gewitters – sorgte Florian Hahn, für die illustrierenden Videos Holger Bück.
Schon die musikalisch vielschichtige Ouvertüre – das Philharmonische Orchester Erfurt, verstärkt von Mitgliedern der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach, wurde von der griechischen Dirigentin Zoi Tsokanou sehr einfühlsam geleitet – begeisterte das Publikum. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass bei der Uraufführung der 3. Fassung der Oper 1837 in Berlin die Ouvertüre auf Verlangen des Publikums wiederholt werden musste.
Garant für die hohe Qualität der Vorstellung war das homogene erstklassige Sängerensemble des Theaters Erfurt. An der Spitze der hervorragende ungarische Bariton Máté Sólyom-Nagy
als Kaiser Heinrich VI., der sowohl stimmlich wie darstellerisch brillierte. Mit seiner Bühnenpräsenz und seiner markigen Baritonstimme überstrahlte er alles. Eine Glanzleistung!
Ihm am nächsten kam der südafrikanische Bariton Siyabulela Ntlale als Philipp August, König von Frankreich, der gleichfalls stimmlich wie schauspielerisch überzeugte. Er stellte trotz körperlichem Schwergewicht auch im Fechtduell gegen Heinrich – gut dargestellt vom österreichischen Tenor Bernhard Berchtold – sogar in der Niederlage seinen Mann.
Als liebende Agnes gefiel die russische Sopranistin Claudia Sorokina gleichfalls stimmlich wie darstellerisch, auch wenn die Rolle weniger dramatisch angelegt war. Überzeugend auch die norwegische Sopranistin Margrethe Fredheim als ihre Mutter Irmengard, die einige starke Szenen hatte. Mit prächtig tiefer Stimme brillierte der russische Bariton Juri Batukov als Welfe Heinrich der Löwe, Gegenspieler des Kaisers.
Ebenso überzeugend agierte der aus Georgien stammende Bass Kakhaber Shavidze in der Rolle des Erzbischofs von Mainz, der Agnes und Heinrich in der Kirche traut. Nicht nur wegen seines Gewandes in Kardinalsrot strahlte er eine unbeugsame Geistlichkeit aus.
Für den großartigen Gesamteindruck des Sängerensembles zeichneten auch die Darsteller der kleineren Rollen verantwortlich: der amerikanische Tenor Todd Wilander als des Kaisers Bruder Philipp, der junge südkoreanische Bassist Caleb Yoo als Burggraf des Kaisers, der deutsche Tenor Jörg Rathmann in der Rolle des Theobald und der britische Bariton Henry Neill als Kampfrichter beim Duell.
Mit exzellenter Stimmkraft agierte der Opernchor, verstärkt von Mitgliedern des Philharmonischen Chores Erfurt, der das Volk der Staufer und der Welfen darzustellen hatte (Einstudierung: Andreas Ketelhut).
Am Schluss der Vorstellung lang anhaltender Applaus des Publikums mit vielen „Bravi“-Rufen für das Sängerensemble und das Orchester mit ihrer Dirigentin Zoi Tsokanou.
Udo Pacolt