ENGLISCHE MUSIK FÜR VIOLA UND KLAVIER UM DIE JAHRHUNDERTWENDE – Gernot Adrion und Yuki Inagawa begeistern mit spätromantischen Juwelen von Bowen, Dale und Bridge; CAvi Records CD
Der Solobratscher im Rundfunksinfonieorchester Berlin, Gernot Adrion, begeistert nicht nur mit dem dunkel-seiden schimmernden Glanz seines edlen Instruments von Petrus Gaggini, sondern stellt in diesem Album drei höchst ansprechende kammermusikalische Raritäten des britischen Fin-de-Siècle vor. Entstanden zwischen 1901 und 1910, haben überraschenderweise sowohl die Sonata für Viola und Klavier Nr.1 in C-Moll Op. 18 von York Bowen, als auch die Fantasie für Viola und Klavier Op. 4 von Benjamin Dale und die Stücke für Viola und Klavier von Frank Bridge das Zeug zu veritablen Hits auf dem Konzertpodium.
Mir hat es besonders die 20-minütige Fantasie von Benjamin Dale angetan. Wie Adrion im Booklet festhält, war das Werk das Ergebnis eines von Wilson Cobbett veranstalteten Kompositionswettbewerbs, mit dem die Form der elisabethanischen Fantasien der Renaissancemusik wiederbelebt werden sollte. Dale ist aber weniger ein „englischer Max Reger“, sondern steht von Harmonik und Farbenpracht dem Schaffen von Richard Strauss näher. Bei der großen Sonate von York Bowen fällt die sofort Komplexität des Klavierparts auf, der bei der japanischen Duopartnerin des Gernot Adrion, Frau Yuki Inagawa, in guten Händen ist. Ein bisschen mehr an Fluidum und Geschmeidigkeit hätte aber ihrem Vortrag nicht geschadet.
Den Abschluss der CD bilden die sechs charmanten Miniaturen „Pieces for Viola and Piano von Frank Bridge. Von diesem Tonsetzer kannte ich bisher nur Lieder, aber keine Kammermusik. Dieser wie auch alle anderen nun wieder zu entdeckenden Kompositionen wünsche ich eine größtmögliche Schar an Freunden. Wer hätte gedacht, dass das eher für einen beinharten Industriekapitalismus bekannte Land um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Musiker mit einer so ausgeprägten romantischen Neigung und dennoch höchst eigenständiger Tonsprache hervorgebracht hat? Eine Entdeckung, die sich Liebhaber der Kammermusik vor allem bei dem fulminanten Können und der virtuosen Leichtgängigkeit des Berliner Bratschenspielers nicht entgehen lassen sollten.
Dr. Ingobert Waltenberger