ELISABETH NASKE
Die Astrid Lindgren der Kinderoper sein!
Elisabeth Naske hat – man kann gut und gern sagen: schon wieder! – eine Kinderoper für die Wiener Staatsoper geschrieben. Nachdem man im einstigen Kinderzelt bereits „Die feuerrote Friederike“, „Die Omama im Apfelbaum“ und „Das Städtchen Drumherum“ gesehen hat, geht nun in der Walfischgasse die Uraufführung von „Was ist los bei den Enakos?“ in Szene.
Renate Wagner hat mit Elisabeth Naske gesprochen
Frau Naske, die Wiener Staatsoper ist für Sie ein verlässlicher Arbeitgeber?
Ja, wenn man bedenkt, dass „Kinderoper“ oft immer noch mit der linken Hand weggewischt wird, ein unwichtiges Nebenprodukt des Musiktheaters, muss man sehr glücklich sein, wenn es ein Haus dieser Größenordnung gibt, das regelmäßig Opernaufträge erteilt. Meine erste Kinderoper entstand auf Aufforderung der Volksoper, und Rudolf Berger hat sich dann damit 2004 im Kinderzelt der Staatsoper „eingemietet“. Damit war der Bezug zu Ioan Holender hergestellt, der dort 2007 „Die Omama im Apfelbaum“ uraufführen ließ. Sicher hat es bei diesen Werken geholfen, dass ich Bücher von Christine Nöstlinger und Mira Lobe vertont habe, die in Österreich ja so populär sind.
Und wie ging es mit Dominique Meyer weiter?
Ich kannte ihn schon aus seiner Zeit im Theatre de Champs-Elysees in Paris, denn es war eines der „Echo“-Häuser, einer europäischen Konzerthaus-Vereinigung, zu dem auch die Luxemburger Philharmonie gehört, die mein Mann damals leitete. Dominque Meyer hat 2013 das „Städtchen Drumherum“, wieder nach einem Buch von Mira Lobe, zur Uraufführung gebracht. Und das absolut Schönste war, dass er nach der Premiere, gleich nach dem Verbeugen, zu mir gesagt hat: „Und was machen wir als Nächstes?“
Das kann man als weiteren Opernauftrag betrachten…
Ja, aber ohne Terminzwang, Zeitdruck mag ich nicht, einfach den Auftrag, eine weitere Kinderoper zu schreiben. Ich arbeite nie ohne Auftrag, auch bei Konzertstücken kommen die Wünsche meist von Künstlern oder Orchestern, und mit dieser Vorgabe ist schon eine Art von Inspiration gegeben. Das bewahrt einen aber nicht davor, dass man sich etwas einfallen lassen muss.
Es würde mich wirklich interessieren, den zweifellos langen, steinigen Weg nachzuvollziehen, der sich von diesem Satz: „Schreiben Sie eine Kinderoper für die Wiener Staatsoper“ bis zur Premiere erstreckt…
Es war in diesem Fall nicht leicht, weil sich mir zwingend kein Thema gestellt hat. Da probiert man manches – und verwirft es. Wieder Nöstlinger? Ich hätte gerne „Konrad, das Kind aus der Konservenbüchse“ gemacht, aber das war dramaturgisch nicht in den Griff zu bekommen. Ich dachte an den „Kleinen Prinzen“, habe es aber verworfen, weil das Thema zu oft schon behandelt worden ist. Und dann war es mein Verlag, Schott, der meinte: „Mach doch etwas ganz Neues“. Und da hatte ich glücklicherweise schon einige Male mit Ela Baumann zusammen gearbeitet – und wir haben dann die „Enakos“ erfunden…
Liest man die Aussendung der Staatsoper, gewinnt man den Eindruck, es handle sich um ein todernstes, schweres, politisches Lehrstück…
Keinesfalls, es ist ein Märchen, und ich wollte, dass es in einer phantastischen Welt spielt, damit man nicht irgendwelche Folklorismen oder dergleichen bedienen muss. Aber ja, ich möchte Kindern Geschichten erzählen, die auch etwas besagen, zu denen sie sich etwas denken können. Es ist doch so – man kann es nicht leugnen – dass Kinderoper immer noch ein bisschen wie nebenbei gehandhabt wird. Als wäre man nur dazu da, „das Publikum von morgen zu erziehen“. Ich hingegen finde, Kinder sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, sie haben ein Anrecht auf „Kultur“, auf etwas, das speziell für sie gemacht wurde. Sie sind nicht in erster Linie das „Publikum von morgen“, sie sind das Publikum von heute und verdienen als solches ihre Geschichten für hier und heute. Und sie verdienen Dinge auf hohem Niveau. Das Schlimmste, was ich hören kann, ist die Formulierung: „Ist ja nur für Kinder…“
Sie haben einmal gesagt, Sie wären gerne „die Astrid Lindgren der Kinderoper“?
Ja, das wäre schön, weil Astrid Lindgren ein so eigenständiges Werk geschaffen hat, das fest zur Literatur gehört, dass man an sie nicht wirklich als Kinderbuchautorin denkt, sondern Astrid Lindgren eine Welt für sich ist. Das für die Kinderoper zu erreichen, wäre schön.
Zurück zu Ihrem aktuellen Werk: Wer sind also die „Enakos“, und was ist bei ihnen los?
Es geht schon darum, eine gewisse Gleichschaltung der Gesellschaft bewusst zu machen – nur eine beliebig nette Geschichte möchte ich nicht erzählen. Der König hat aufgrund eines falsch interpretierten Orakelspruchs angeordnet, dass alle gleich sein müssen, um glücklich zu sein, und wehe, man sagt das Wort „anders“ auch nur dreimal, dann kommt schon der „Anderling“ und bestraft die Enakos … Aber damit sich die ganz Kleinen im Publikum nicht fürchten, sehen wir bald, dass nur gedroht wird und es den Anderling gar nicht gibt… Und die Zuschauer werden schnell herauskriegen, dass die „Enakos“ gar nicht so gleich sein können, weil sie von Natur aus verschieden sind, jedes mit besonderen Eigenschaften. Sie haben ihre Spitznamen: das Sport-Enako, das besser turnen würde als die anderen, aber es nicht darf, weil ja alle gleich sein müssen, das Mini-Enako, das halt kleiner ist, was auch nicht wahrgenommen werden soll, das Nerverl, das leider immer die Nerven verliert, was ja auch vorkommt im Leben, das Helden-Enako, das auch zu widersprechen wagt, während das gesetzestreue Enako streng dafür sorgt, dass niemand abweicht… Das sind fünf Rollen für die Kinder der Opernschule, jede ist dreifach besetzt, und es ist wunderschön zuzusehen, wie sich die Kinder in der Arbeit mit Ela Baumann entwickeln…
Und da gibt es noch das „Els“, das neben dem König und dem „Ober-Enako“ offenbar die Hauptrolle hat, ein Mezzosopran?
Ich will nicht zu viel verraten, aber dieses Els leistet Widerstand durch kleine Akte der Sabotage – auf einmal ist da ein gelber Ball anstelle eines roten, aber das darf nicht sein, dabei sind alle ganz interessiert daran, einmal was anderes zu sehen… und das Ergebnis soll die Erkenntnis sein, dass wir alle verschieden sind und dass die Welt bunt ist. Ich bin sicher, dass Theater Denkanstöße vermitteln kann.
Das klingt, bei aller „Aussage“, nach einer sehr fröhlichen Geschichte. Dazu passt es auch, dass Sie – was heutzutage ja eher mutig ist – Ihre Kinderopern tonal halten, also niemanden mit Ihrer Musik verstören?
Das kann man nicht so sagen, ich möchte mich nicht als Komponistin verstehen, die einfach nur tonal schreibt. Für mich gibt es keinen Widerspruch zwischen tonal und atonal. Ich bediene mich der Mittel, die es in meiner Geschichte gerade braucht. Aber man hört, dass ich eine klassische Ausbildung habe. Ich bin mit der Musik unserer Kultur der letzten vierhundert Jahre aufgewachsen und davon beeinflusst. Die großen Komponisten – Bach, Beethoven, Schubert und wie sie alle heißen, sind nach wie vor meine größten Lehrmeister. Aber ich liebe auch die zeitgenössische Musik. Seit ich wieder in Wien lebe, gehe ich schätzungsweise fünfmal die Woche ins Konzert, vordringlich zu moderner Musik, die mich fasziniert, und ich habe selbst auch Werke geschaffen, in denen ich etwa in modernen „Klangflächen“ denke und agiere… Man kann also nicht sagen, ich schreibe nur ohrengefällige Kinderopern.
Wie sind Sie, als ausgebildete Cellistin, eigentlich zum Komponieren gekommen?
Ich hatte drei kleine Kinder – mittlerweile sind sie alle über 20, damals waren sie mein erstes Publikum – , und war freischaffende Cellistin. Aber es hat mir nicht mehr gereicht, nur von Noten spielen zu können, die andere geschrieben hatten. Ich wollte meine eigene Musik machen. Ich bin zu Tristan Schulze gegangen, anfangs eigentlich nur, um auf dem Cello improvisieren zu lernen. Ich habe gemerkt, dass ich da nicht so geschickt war, er merkte es auch, und sagte: „Dann schreib’s doch einfach auf.“ Und dann fasste ich Mut, habe der Jeunesse eine 50minütige Musiktheater-Version von Mira Lobes „Das kleine Ich bin Ich“ angeboten, die im Mai 2001 im Konzerthaus uraufgeführt wurde – und ich hatte Glück. Ich bekam nicht nur einen Verlag, nämlich Schott, sondern dann einen Auftrag nach dem anderen…
Trotzdem sagen Sie, dass es Musik für Kinder nicht leicht hat?
Sicher haben viele große Opernhäuser ihre Kindertheater-Schienen, aber es läuft doch eher nebenbei. Dass jemand so konsequent daran arbeitet wie die Wiener Staatsoper, ist eine glückliche Ausnahme. Im allgemeinen ist für Kinderoper sehr wenig Geld da. Als wir im ZOOM Kindermuseum im MuseumsQuartier „Lollo“ herausbrachten – damals war auch Ela Baumann die Librettistin zum Thema Müll, Umweltschutz und Nachhaltigkeit -, war das finanziell unendlich schwer auf die Beine zu stellen. Ich habe ja mit meinem Mann, als er die Philharmonie Luxembourg leitete, neun Jahre lang, von 2004 bis 2013, in Luxemburg gelebt, und das waren gewissermaßen goldene Jahre, dort wurde man geradezu aufgefordert, etwas zu machen, quasi unter dem Motto „Geld spielt keine Rolle“ – was sich mittlerweile auch geändert hat. Aber solche Rahmenbedingungen findet man sehr selten vor.
Könnten Sie eigentlich von Ihren Kompositionen leben?
Schlicht und einfach: nein. Wenn ich nicht einen Mann hätte, der immer Arbeit hat – derzeit leitet er das Wiener Konzerthaus -, müsste ich mich mit meinem „Brotberuf“ als Cellistin durchbringen. Und dann wäre natürlich viel weniger Zeit zum Komponieren und Kreativität.
Apropos: Man denkt an Elisabeth Naske nur in Zusammenhang mit Kinderprojekten. Ihre Kollegin Johanna Doderer beispielsweise, von der die Staatsoper auch eine Kinderoper aufgeführt hat, hat eine „Liliom“-Oper komponiert. Möchten Sie nie eine abendfüllende „Erwachsenen-Oper“ machen?
Das ist wieder typisch, dass man diese Unterschiede macht. Ich habe sehr wohl abendfüllende Stücke geschrieben, zum Beispiel „Die rote Zora“, die 2008 in Luzern uraufgeführt wurde – das war auch ein Auftragswerk – und die ich dann ein „Familienoper“ nenne. Auch „Der Wunschpunsch“ nach Michael Ende, 2014 auch für Luzern in Co-Produktion mit Graz, ist einfach eine „Komische Oper“. Es kommt darauf an, was auf mich zukommt…
Und was ist demnächst zu erwarten?
Ela Baumann und ich haben das Stück „Sommerfreunde“ für Symphonieorchester und einen Sprecher geschaffen, das von den NÖ Tonkünstlern bestellt wurde und im März uraufgeführt wird. Darin sprechen wir auch das Thema der Flüchtlinge an, weil das schließlich etwas ist, das uns allen unter den Fingern brennt. Und im Moment arbeiten wir an einer Kinderoper für die Salzburger Festspiele, die schon 2020 zur Uraufführung kommt, und zwar in der Aula der alten Universität. Derzeit sind wir in einer wilden Phase des Entstehungsprozesses, wo alles fluktuiert. Wir haben beispielsweise vorige Woche plötzlich den Plot ziemlich geändert, einen ganzen Handlungsstrang weggelassen, der Sache eine andere Richtung gegeben. Grob gesprochen, wird es davon handeln, dass die Requisiten einer Theateraufführung ihre Geschichten erzählen… Ela und ich sitzen sehr viel zusammen – und wenn sie in Luxemburg ist, wo sie noch immer lebt, dann schalte ich oft mitten im Komponieren Skype ein und frage sie, wie sie diese oder jene Zeile nun genau gemeint hat…
Dann haben wir ja Gelegenheit, Ihnen für die nächste Zeit gleich zu drei Uraufführungen viel Glück und Erfolg zu wünschen! Vielen Dank für das Gespräch.