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Elgar: DREAM OF GERONTIUS (1968)

08.03.2017 | CD/DVD/BUCH/Apps, dvd

DVD Cover  Dream of Gerontius

Edward Elgar:
DREAM OF GERONTIUS
Aufnahme in der Canterbury Cathedral, 1968
Naxos, 2 DVDs
Gerontius,
100 min.
Dokumentation über Sir Adrian Boult 60 min.

Es gibt viele Gründe, Musik auf DVD zu betrachten: Große Aufführungen in großen Besetzungen, wie sie „live“ selten zu erleben sind; Raritäten, die man im Alltag nicht kennenlernt; oder, wie hier, „Klassiker“ der Musikgeschichte, die einst glücklicherweise aufgenommen und solcherart bewahrt wurden.

Für die englische Kultur und auch für BBC war es zweifellos ein Großereignis, als Sir Adrian Boult am Pult des London Philharmonic Orchestra 1968 in der traditionsreichen Canterbury Cathedral eines der Großwerke der englischen Musik zur Aufführung brachte: „Dream Of Gerontius“ von Sir Edward Elgar (1857-1934), ein Oratorium, das auf einem 900zeiligen Text von Kardinal John Henry Newman beruht. Die Uraufführung 1900 hatte kein Geringerer als Wagner-Dirigent Hans Richter dirigiert. Es geht um das Sterben eines alten Mannes, dem Wandeln seiner Seele aus ihrem Körper, durch das Fegefeuer, bis er mit Hilfe eines Engels im Paradies landet – Elgar war Katholik.

Damals war es die beste Besetzung, die man bekommen konnte: der „Britten-Tenor“ Sir Peter Pears als Gerontius, die dunkle Qualitätsstimme von Dame Janet Baker mit ihrer Ausdrucksstärke als Engel und (der immer mit einer weißen Haarsträhne kokettierende) John Shirley-Quirk – drei ausgewiesene Oratoriensänger, die ihre Rollen dem Publikum nicht „vorspielen“, sondern durch ihre Stimmen interpretieren und dem ganzen Werk unendliche Würde verleihen.

Dennoch wäre es heute unmöglich, ein Konzert einfach bloß so ruhig abzufilmen, wobei man damals ohnedies schon fortschrittlich genug war, die Glasfenster und Steinmetzarbeiten der Kathedrale in eindrucksvollen Schnitten „mitspielen“ zu lassen. Dennoch hat die Aufzeichnung eine meditative Ruhe, die dann immer wieder die Augen schließen und einfach nur zuhören lässt…

Es war dieser Veröffentlichung zweifellos ein Anliegen, eine zweite DVD mit einer einstündigen Dokumentation über Sir Adrian Boult (1889-1983) beizufügen, die 1989 von der BBC zum 100. Geburtstag des Dirigenten herausgebracht wurde. Boult ist ein bekannter, mit der BBC untrennbar verbundener Name, und obwohl sich seine Lebensdaten etwa mit Karajan decken, war er das gerade Gegenteil – ein Mann, der weder dauernd reisen noch seine „Karriere“ vorantreiben, sondern bloß mit konsequent mit einem Orchester zusammen arbeiten und hier hohe künstlerische Ergebnisse erzielen wollte. Abgesehen davon, dass sein patriotisches Gefühl so stark verankert war, dass die Pflege englischer Musik für ihn immer ein primäres Anliegen darstellte.

Der Film, der viele Gesprächspartner hat, darunter etwa auch André Previn und voran den Dirigenten Vernon Handley (1930-2008), einen Boult-Schüler, ist an sich eine übliche Dokumentation, die formal in den üblichen Pfaden verläuft. Fotos, Dokumente, O-Töne über Boult, er selbst mit Aussagen und beim Dirigieren.

Es ist die Geschichte eines über die Maßen musikalischen Menschen, Sohn einer Pianistin, der schon als Baby ganz besonders auf Musik reagierte und mit sechs Jahren den Wunsch äußerte, Wagners „Tannhäuser“ zu hören. Seit dem Alter von 10 Jahren führte er Tagebücher mit profunden musikalischen Erkenntnissen, die schon Zeichnungen enthalten, wie er (als Kind!) die Orchestermusiker positioniert hätte…

Über Oxford kam er nach Leipzig, wo er bei Arthur Nikisch studierte und von ihm so beeinflusst wurde, dass man ihn lange „a carbon copy of Nikisch“ nannte. „Lazy man as I am“, erklärte er, warum er vor allem mit den Fingern und nicht dem Handgelenk, nicht mit dem Ellbogen und schon gar nicht mit dem ganzen Arm dirigierte. Seine Ökonomie der Gestik hatte auch damit zu tun, dass er überhaupt kein Interesse daran hatte, dem Publikum den „Dirigenten“ vorzuspielen. Ein Dirigent sollte gehört, nicht gesehen werden, war sein Motto.

Im Ersten Weltkrieg untauglich (da trainierte er Soldaten daheim), hatte er 1914 sein Debut als professioneller Dirigent. Später war er für Diaghilew tätig (Ballett bedeutete ihm viel, seinen letzten Auftritt als über 90jähriger hatte er mit einem Ballett), die Tänzer wusste bei ihm, „they were safe“.

Obwohl er ein Angebot in die USA hatte, übernahm er lieber den Birmingham Chor, später auch das Birmingham Orchester, dann wurde er Verantwortlicher für das Musikprogramm der BBC, wo er sehr viel Musik des 20. Jahrhunderts und natürlich britische Komponisten aufs Programm setzte. Intrigen schickten ihn mit 60 in Pension, er ging an einem Freitag, am Montag begann er mit dem London Philharmonic Orchestra. „I never liked free lance“, sagte er, „I like so see fresh things with the same people“. Sein Vertrauen in seine Musiker war so groß, dass er einmal eine Brahms-Symphonie vom Stand, ohne Probe, durchspielte… Es sei nicht „sein Brahms“, sagte er, „erkennen die Leute, die das sagen, nicht, dass sie einmal weg sein werden – und Brahms wird in alle Ewigkeit da sein?“

Man möge nicht so viele Details, sondern das Ganze im Auge haben, meinte Sir Adrian Boult einmal, er habe keine bestimmte „Technik“, was er könne, stünde jedem zur Verfügung. Dass es die „ultimate beauty of music“ sei, die die Menschheit heilen könne, ist eine große Aussage für einen Mann, der sein Künstlerleben in unprätentiöser Bescheidenheit führte und so viel für das englische Musikleben bedeutete.

Renate Wagner

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Edward Elgar
DREAM OF GERONTIUS

Janet Baker, Peter Pears, John Shirley-Quirk
London Philharmonic Choir
London Philharmonic Orchestra
Dirigent: Sir Adrian Boult

 

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