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Eleonore BÜNING: WARUM GEHT DER DIRIGENT SO OFT ZUM FRISEUR?

27.09.2020 | buch

Eleonore BÜNING: WARUM GEHT DER DIRIGENT SO OFT ZUM FRISEUR?

Buchtipp: "Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur?" von Eleonore Büning  - Klassik aktuell | BR Podcast

Antworten auf die großen und kleinen Fragen der Musik

223 Seiten; Benevento Verlag; 2020

Karl Masek – 27. September 2020

Unmittelbar nach „Sprechen wir über Beethoven – Ein Musikverführer“ (zum Beethoven-Jahr)  kommt die deutsche Feuilletonistin Eleonore Büning schon wieder mit dem nächsten Buch heraus.

Es ist eine Sammlung von 58 Kolumnen. Die Texte sind zwischen Sommer 2015 und Anfang 2020 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen. Es handelt sich, wie schon der Untertitel suggeriert, um Antworten auf große und kleine Fragen der Musik, eine „Ratgeber-Kolumne“, in einer „Fragen Sie Frau Irene“ – Tradition.  Allerdings wird hier nicht „Trost & Rat“ bei Beziehungs- und Befindlichkeitsproblemen gegeben, wie sie so genannte Tratsch-Klatsch-Society-Regenbogenzeitschriften seit Jahr & Tag anpreisen.

Bei „Fragen Sie Eleonore Büning“ entstand ein Pool aus LeserInnen-Fragen, „gestellt und gemailt von allen möglichen Opern- und Konzertgängern,, aber auch von Pianisten, Sängern, Freunden und Kollegen, in Pausengesprächen und Probenpausen.“

Entstanden sind daraus unterhaltsame, hintersinnige, witzige Texte einer kenntnisreichen Feuilleton-Schreiberin und Musikkritikerin (u.a. ZEIT, FAZ). Büning, Jahrgang 1952, ist von ähnlich profundem Wissen wie zum Beispiel der legendäre Marcel Reich-Ranicki, aber mit mehr Humor und (Selbst)ironie ausgestattet. Der Bierernst so mancher Groß-KritikerInnen scheint ihr eher fremd zu sein. Sie scheut nicht vor anekdotischer Unterhaltung zurück. Und sie will die Leserschaft auch nicht vordergründig belehren.

In ihren Kolumnen schreibt sie wohltuender Weise lieber  „Ich“ und lässt das „Man“ so manch anderer  RezensentInnen außen vor. Apodiktische Rechthaberei lässt sie in vorliegender Kolumnen-Sammlung bewusst weg…

Eine dieser großen und kleinen Fragen: „DARF ICH IM KONZERT EINSCHLAFEN?“  Die höchst vergnügliche Antwort am 27. Oktober 2019 darauf: „Selbstverständlich. Wo sonst? Mehr als die Hälfte der Menschen in der westlichen Welt leidet unter Schlafstörungen, Tendenz steigend. Eine Volkskrankheit … Wir leben in einer chronisch unausgeschlafenen Gesellschaft, selbst die Amseln und Füchse in der Großstadt sind akut schlafgestört…“

Und dann die Erkenntnis: „Im Fall des Konzertschläfers: Er kriegt viel mit. Manchmal mehr als die Wachenden. Denn das unbewusste Hören ist dem kognitiv gesteuerten, womöglich gar von einer Taschenpartitur auf den Knien unterstützten, allemal hundertfach überlegen…“

Nur: Zusätzliche Partiturgeräusche wie Schnarchen sollten Klangwelten des Konzerts vielleicht doch nicht überlagern!

Fragen wie „WIE LANG DARF EINE FERMATE SEIN?“, „WARUM KIEKST DAS HORN?“, „SIND WAGNERS MEISTERSINGER ANTISEMITISCH?“, „WAS BEDEUTET DAS HUM-TA-TA BEI VERDI?“, „WAS IST UND WIE FUNKTIONIERT EIN OHRWURM?“, „OPER KONZERTANT- WOZU SOLL DAS GUT SEIN?“,… sie alle harren der Antworten in Bünings vergnüglichen  Kolumnen. Und sie kommen den nervösen und ungeduldigen  Querlesern wie den ruhig-chronologisch Vorgehenden gleichermaßen entgegen.

Zwei Beispiele noch: „WAR RICHRD STRAUSS EIN FEMINIST?“ Auszug der Antwort: „Nein, Strauss war Straussist. Lebenslang … In der Ehe mit der Sängerin Pauline de Ahna herrschten Gemütlichkeit und Plüsch, Zucht und Ordnung … Strauss nannte die ‚Sinfonia domestica‘ sein allerpersönlichstes Kunstwerk … ‚Mein Heim. Ein sinfonisches Selbst- und Familienportrait“ … Über Nacht weltberühmt wurde Strauss allerdings dank der zeitgleich komponierten ‚Salome‘ … GLEICHZEITIG! Das ist nun wirklich schwer zu begreifen! … Wie überall nachzulesen, ging Strauss als ‚Frauenversteher‘ in die Musikgeschichte ein, weil er seine Operndiven, auch wenn sie nach Salome und Elektra wieder librettomäßig   … ins Gutbürgerliche rückdomestiziert wurden, sämtlich ausgestattet mit weit ins Blaue ausgreifenden, wundersüßen Melodien, Ariadne, Zerbinetta, Marie Theres‘, Sophie, …, sogar Arabella und Madeleine … sie singen ihre Tenor- und Baritonpartner in Grund und Boden…“

Und, der Titelfrage geschuldet: „WARUM GEHT DER DIRIGENT SO OFT ZUM FRISEUR?“ Es folgt eine Aneinanderreihung von frisurtechnischen Prototypen: Von  Kent Nagano, mit federndem Schritt und frisch geföhnter, wehender Indianerhäutlingsmähne, bis zu Herbert von Karajan, Bürstenhaarschnitt mit Elvis-Tollen-Anmutung, aber ohne Pomade und interessant ergraut… bis hin zu Christian Thielemann und seinen Friseur, „…der weiß, wo man den Scheitel zieht“.

Friseur und Dirigent haben übrigens vieles gemeinsam! Sie müssen in Ausübung ihres Berufs stundenlang stehen. Beide haben einen Dienstleistungsberuf, der großen künstlerischen Spielraum hat. Frau Büning, die gnadenlose Beobachterin, sieht auch sonst viele Parallelen, zum Beispiel die Körpergröße vieler Stardirigenten und Starcoiffeure oder die „… Achillesferse am Hinterkopf, dort wo es kahl wird.“

Ein Buch mit beträchtlichem Spaß-Faktor.  Die Gefahr, bei der Lektüre einzuschlafen, ist äußerst minimal!

Karl Masek

 

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