Vom Ural in die Opernwelt – die Sopranistin Elena Stikhina
Das Gespräch mit Elena Stikhina führte Larissa Gawritschenko im September 2017
Elena Stikhina als „Leonora“ im Erfurter „Trovatore“. Foto: Lutz Edelhoff/Theater Erfurt
ELENA STIKHINA – vom Ural in die Opernwelt
Vom Ural in die Opernwelt – die Sopranistin Elena Stikhina
Das Gespräch mit Elena Stikhina führte Larissa Gawritschenko im September 2017
Schon zweimal konnte das Domstufen-Festspiele-Publikum dieinzwischen sehr erfolgreiche Sopranistin Elena Stikhina erleben. Die jungeSängerin begann ihren Weg als Ensemblemitglied der Staatsoper Primorsky in Wladiwostok. Die Sopranistin Elena Stikhina wurde als 1. Preisträgerin beim renommierten Competizione dell’opera (Linz) im Jahr 2014 sowie als Winner des Publikumspreis „Beste Sängerin“ & Culturarte Preis bei Placido Domingos „Operalia“ 2016 einem grossen Publikum bekannt.
Seitdem ist sie gefragte Solistin auf internationalen Opern- und Konzertbühnen, darunter das Brucknerhaus Linz, das Beethovenfest Bonn sowie die Tonhalle Zürich. Zu ihren letzten Rollen zählen Leonora (Die Macht des Schicksals) am Theater Basel, Tatiana (Eugen Onegin) an der Finnischen Nationaloper und Olga (Die Geschichte vom wahren Menschen) sowie Salome am Mariinsky Theater St. Petersburg. In der nächsten Spielzeit wird sie außerdem die Tosca an der Boston Lyric Opera und auch die Leonora (Der Troubadour) an der Deutschen Oper Berlin, der Finnischen Nationaloper, sowie der Opéra National de Paris singen.
Das ist Grund genug diese mit Erfurt sehr verbundene Sängerin in einem Interview zu porträtieren.
Frau Stikhina, zu den Erfurter-Domstufenfestspielen haben Sie die Partie der Leonore der Oper „Troubadour„ gesungen. Was können Sie über
diese Rolle sagen? Was ist an der Leonore für Sie interessant, was war schwierig bei der Umsetzung dieser Partie?
Diese Partie ist sehr kompliziert, sie fordert viel emotionale Selbstaufgabeaber auch viel physische Kraft, da es im Stil der Belcanto gesungen wird.
Belcanto ist der klassische Stil, typisch für Verdi, wofür man langen Atem
braucht. Außerdem sind die Opern von Verdi wegen ihrer Dramatik kompliziert und dadurch besteht immer die Gefahr, dass sie zum Drama abgleiten. Ich gebe mir Mühe, diese Gefahr zu vermeiden und ich hoffe, es ist mir gelungen. Ebenso wird in dieser Partie virtuose musikalische Technik gebraucht, sonst ist es kein Verdi mehr. Das Singen von Opern im Freien ist komplizierter, als auf einer Bühne im Theater.
Wie empfinden Sie persönlich das Singen mit Mikrophon?
Überhaupt ist das Singen ohne Akustik eine schwere Aufgabe, da der Sänger sichan die Unterstützung von akustischen Geräten gewöhnt. Er gewöhnt
sich daran, seine eigene Stimme zu hören und ihre Stärke zu kontrollieren. Ohne Akustik soll der Vokallist sich nur auf die eigene Empfindung orientieren, was schön diffizil ist. Das ist ein ganz anderes Niveau.
Außerdem sehen wir den Dirigenten beim Singen auf den Domstufen nur auf dem Monitor und auch das Orchester hören wir kaum. Im Gegenteil zu einem Theater, wo wir mit dem Dirigenten, dem Orchester und der Akustik ein Ganzes sind, sind wir im Freien getrennt voneinander und wir müssen unsere getrennten Teile mühsam zu einem harmonischen Bild, wie ein Puzzle, zusammenfügen. Man möchte natürlich sein Bestes geben, was im Freien nicht einfach ist. Im Theater haben wir sogar einen Blickkontakt mit dem Dirigenten, im Freien gibt es diesen Vorteil nicht.
Beim Singen mit Mikrophon müssen Sie bestimmt auch die Stärke Ihrer Stimme entsprechend anpassen?
Selbstverständlich. Aus dieser Sicht machen die Mikrophone unsere Aufgabeschwieriger. Von einer Seite hören uns dann die Zuschauer besser. Von der anderen Seite überträgt ein Mikrophon die Stimme des Sängers oft nicht in vollem Umfang, einige Obertöne gehen verloren. Ein Mikrophon kann die ganze Vielfalt der Stimme nicht wiedergeben.
Copyright: Lutz Edelhoff
Wie haben Sie die Rolle der Leonore bekommen?
Im vorigen Jahr habe ich bei den Domstufen-Festspielen Tosca gesungen. Wahrscheinlich hat mein Auftritt gefallen. Ich habe gleich danach dieses Angebot bekommen, Leonore zu singen. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Ich habe seit Langem geträumt, diese Rolle zu spielen. Ich war froh, hier mit der Partie der Leonore im „Troubadour“ zu debütieren. Die Leonore gehört inzwischen zu meinem Repertoire und ich singe sie an verschiedenen Opernhäusern.
Welche Rolle spielt Tosca aus musikalischer Sicht in Ihrem schöpferischen Leben?
Ich mag Tosca, damit hat meine Karriere in Europa begonnen. Für die Oper „Tosca“ habe ich meinen ersten Vertrag in Europa bekommen. Vor zwei Jahren habe ich Tosca bei dem Festival „Gut Immling“ in Deutschland gesungen. Dieser Auftritt war für mich sehr wichtig und anspruchsvoll. Ich liebe diese Rolle und singe gern die Tosca. Sie
kombiniert in sich das unkombinierbare: Sängerin und Schauspielerin. Das ist jedes Mal eine Herausforderung. Obwohl Puccini sogar Bemerkungen zu allen Szenen geschrieben hat. Das war die Besonderheit von Puccini, Bemerkungen in die Partitur zu schreiben. Jedes Mal, wenn ich Tosca singe, ist es für mich eine Neuerfindung.
Nun ein bisschen zu ihrer Person: Wo sind Sie geboren und wann haben Sie angefangen zu singen?
Ich wurde im Ural in der Stadt Lesnoj geboren, das ist das Swerdlowsker Gebiet.Mit 15 Jahren habe ich angefangen zu singen. Davor habe ich in einer Musikschule Klavier gelernt. Ich kann nicht sagen, dass das Klavierspiel mich wirklich anregte. Aber jetzt hilft das Klavierspiel mir in meiner Arbeit und hat mich musikalisch weitergebracht. Als ich eine Gelegenheit hatte, in einem Kulturhaus zu singen, habe ich gespürt, dass das Singen mir näher liegt und ich mein ganzes Leben dem Singen widmen möchte. So ist es auch geworden.
Gibt es in Ihrer Familie weitere Musiker?
Nein, mein Vater war Ingenieur in der Metallindustrie und meine Mutter hatihr ganzes Leben im Handel gearbeitet. Nicht direkt als Verkäuferin, sondern als Fachwirtin und Leiterin.
Wo und bei welchen Pädagogen haben Sie gelernt?
Ich habe am Staatlichen Moskauer Tschaikowski-Konservatorium studiert.Meine Pädagogin Irina Iwanowna Masslennikowa und Larissa Borisowna Rudakowa waren sehr gut. Nach meinem Studienabschluss habe ich einen Kurs im Wischnewskaja-Zentrum für Operngesang bei Makwala Filimonowna Kasraschwilli gemacht. Meine Pädagogen sind nicht nur Lehrer, sondern selbst hervorragende Sängerinnen, die auch bis heute noch auftreten.
Nur Irina Iwanowna ist nun leider verstorben. Das war eine Ehre bei diesen Pädagogen zu lernen. Makwala Filimonovna Kasraschwilli ist immer noch als Solistin des Bolshoj-Theaters tätig und sie ist häufig Mitglied in musikalischen Jurys. Sie ist ein netter Mensch und eine erfahrene und feinfühlige Pädagogin.
Sie haben Preise bei vielen internationalen Wettbewerben gewonnen. Erzählen Sie uns bitte darüber.
Ein Wettbewerb ist eine komplizierte Sache, wo du nicht weißt, was dich erwartet. Das ist eine Lotterie, wo man viel Glück braucht. Da zählt alles: Das Repertoire, die Stimme, die gute Vorbereitung. Man weiß nicht, wie das Befinden an dem Tag wird und wie die Jury dich wahrnimmt. Da muss vieles zusammen kommen. Dich beeinflussen dabei auch andere Teilnehmer des Wettbewerbes. Die Atmosphäre ist immer etwas nervös. Auf der anderen Seite, kann man dabei viele Erfahrungen sammeln.
Welche Rolle haben diese Wettbewerbe in Ihrer musikalischen Entwicklung gespielt?
Das ist schwer zu sagen. Von jedem Wettbewerb bekommt man etwas mit. Man lernt neue Menschen kennen. Die helfen bei der Einschätzung des eigenen Repertoires, welche Rollen dir am besten gelingen und zur Selbstverwirklichung führen. Aus all dem zieht man bestimmte Schlussfolgerungen, es entstehen Beziehungen in der musikalischen Gesellschaft, die dir weiter helfen können. Man bekommt ab und zu einen guten Rat. Deswegen, auch wenn die Teilnahme an den Wettbewerben sehr kompliziert ist, ist es gleichzeitig notwendig. So habe ich beim Wettbewerb Competizione dell`Opera in Linz meinen ersten Agenten Kalle Kanttila kennengelernt.
Welche Preise haben Sie schon gewonnen?
Mein erster Sieg war im Jahr 2011 beim Sviridov-Wettbewerb. Der Sviridov-Wettbewerb ist ein großer Wettbewerb der Kammermusik in Kursk. Ich habe den 3. Preis und einen Sonderpreis für den Gesang einer Romanze von Schumann bekommen. Danach folgte der Rachmaninov-Wettbewerb in Rostov, da habe ich den ersten Preis bekommen. 2014 beim Wettbewerb Competizione dell`Opera wurden mir der 1. Preis und der Zuschauer-Preis verliehen. Im Juli des letzten Jahres bei dem Wettbewerb
Oper-Aria habe ich den Zuschauer-Preis und den Sonderpreis des Kulturzentrums Puerto-Rico bekommen.
Sie singen in vielen Theatern und bei vielen Wettbewerben Europas und der Welt, z. B. In Berlin, Paris, Linz, Salzburg. Was singen Sie in diesen Theatern?
Das sind verschiedene Rollen an unterschidlichen Theatern. In Salzburg habe ich Micaela in „Carmen“ gesungen. In Berlin werde ich erst in Kürze singen. In Paris war es die Tatjana aus „Evgenij Onegin“. Jedes mal ist es eine geheime Verbindung mit dem Publikum.
Opernkunst ist wie auch Theaterkunst, die Kunst eines Momentes, was hier und jetzt passiert, das ist entscheidend. Man kann nicht die Emotionen konservieren. Für drei Stunden der Aufführung bin ich mit dem Publikum verbunden und teile dem Publikum meine Emotionen mit.
Welche von Ihren Rollen finden Sie besonders interessant?
Ich liebe alle meine Rollen. Ich lebe mich in diese Rollen ein, das ist schwer trennbar. Es gibt einige, die mir sehr am Herzen liegen, z. B. Tatjana in „Evgenij Onegin“, die so aufrichtig und mir so nah ist. Aber auch Tosca, Leonora in der „Macht des Schicksals“, oder Leonore in „Troubadour“. Lisa in „Pique Dame“ mag ich auch.
Meine Lieblingsrollen sind alle verschieden. Das ist ein Glück, solche verschiedenen Charaktere, aus den berühmten Opern zu spielen und sich in diesen Rollen äußern zu können.
Wie haben Sie in dem Theater Primorsky gearbeitet?
Ich habe im Theater für Oper und Ballett Primorsky in Wladiwostok vier Spielzeiten gearbeitet. Das war mein erstes Theater und es ist für mich mein Zuhause geblieben. Ich bin gern dort, ich bin auch gern und oft in Wladiwostok. Das ist wunderbar, so einen Ort zu haben. Das war meine Schule für Vokal- und Theaterkunst. Ich bin dorthin ohne Erfahrung gekommen und habe viel gelernt und viele Partien gesungen. Daran erinnere ich mich immer mit großer Dankbarkeit.
Copyright: Ilya Korotkov
Welche Pläne haben Sie und welche Rollen möchten Sie noch gern singen?
Ich bin so ein Mensch, der ungern über die Zukunft redet, lieber über das, was schon erfüllt wurde. Natürlich möchte ich in den großen Theatern singen, wie Covent Garden oder der Pariser Oper, wo ich auch in der nächsten Saison singen werde. In Boston werde ich demnächst debütieren, wenn alles gut geht. Die politische Lage zwischen
unseren Ländern ist zurzeit schwierig. Aber wenn es den lieben Gott gibt, dann hoffe ich irgendwann auch in der Metropolitan Opera singen zu können. Auch den Traum aller Sänger, in der La Scala zu singen, diesen Traum habe ich selbstverständlich genauso.
Vielen Dank für das interessante Gespräch. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda