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Ela BAUMANN (Librettistin der Kinderoper „Was ist los bei den Enakos“)

Das Publikum emotional berühren! (

ELA BAUMANN: Das Publikum emotional berühren! (Ela Baumann ist Librettistin der Kinderoper „Was ist los bei den Enakos“

(Januar 2019 / Renate Publig)

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Ela Baumann. Foto: Yves Maurer

Die Librettistin Ela Baumann nimmt sich in ihren kritischen Äußerungen kein Blatt vor den Mund. Weder zum politischen Tagesgeschehen, noch zum Thema „intellektuelles Regietheater“. Und mit ihren Inszenierungen will sie vor allem eines: Menschen emotional berühren und ihnen die Geschichten näherbringen.

Für die Kinderoper „Was ist los bei den Enakos“ (Musik: Elisabeth Naske), die Ende Januar 2019 auf der Studiobühne der Wiener Staatsoper Premiere feiert, verfasste Baumann das Libretto und führt Regie. Im Gespräch gibt die gebürtige Oberösterreicherin Einblick in die „Werk-Stätte“, die Zusammenarbeit mit Elisabeth Naske – und sie verrät, warum dieses Stück auch für erwachsenes Publikum großen Wert hat.

 

Die Kinderoper „Was ist los bei den Enakos“ ist ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper. Gab es eine Themenvorgabe an Komponistin Elisabeth Naske und an Sie?

 

Nein, gar nicht! Elisabeth wünschte sich für dieses Werk kein realistisches, sondern ein fantastisches Setting, was mir ebenfalls zusagt. Auf diese Weise lassen sich kritische Themen konkreter ansprechen und sozusagen aus „sicherer“ Entfernung betrachten.

 

Nach „Mausemärchen und Riesengeschichte“ und „Lollo“ ist dies Ihre dritte Kooperation mit Elisabeth Naske. Wie darf man sich die Zusammenarbeit zwischen Komponistin und Librettistin vorstellen? Wer entwirft die Handlung, die einzelnen Szenen, wer entscheidet, welche Figur wann singt – und was kommt zuerst, der Text oder die Melodie, oder in gewissem Maß beides gemeinsam?

 

Zunächst einigen wir uns auf die gesangliche Besetzung, wobei ich mir für dieses Werk vor allem Kinder als Solisten wünschte. Dann widme ich mich der Themenfindung, entwerfe ein konkretes Szenario mit einem groben Handlungsgerüst. Hier beginnt die umfangreiche Rücksprachephase mit Elisabeth Naske, in der wir gemeinsam ermitteln, was sich gut in Klang, in Musik verwandeln und ausdrücken lässt. Wir legen fest, welche Szenen nur durch den Text getragen werden – was ich in der Oper zu vermeiden versuche, die für mich im Idealfall eine Synthese aus Musik und Text darstellt! Diese Synthese ist in der nächsten Phase besonders entscheidend, in der es darum geht, die richtigen Worte – vor allem auch klanglich! – zu finden. Wenn das Libretto so weit steht, kommt die Musik. In dieser Phase kommuniziere ich täglich mit Elisabeth, um mich mit ihr über Details wie die Länge von Szenen auszutauschen.


Kinder der Opernschule der Wiener Staatsoper (Enakos) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

Wie sieht diese Zusammenarbeit technisch aus, per E-Mail und Skype etc., oder arbeiten Sie phasenweise Seite an Seite?

 

Während des gesamten Prozesses nutzen wir alle Kommunikationsformen, die die heutigen Technologien bieten, das erleichtert die Zusammenarbeit enorm! In manchen Phasen kommunizieren wir vorwiegend über Skype, doch in den Abschlussmomenten jeder großen Arbeitsphase sitzen wir tatsächlich gemeinsam an einem Tisch, Seite an Seite.

 

Bei diesem Werk sind Sie sowohl Librettistin als auch Regisseurin – kommen Ihnen beim Schreiben bereits Ideen, wie das Werk dargestellt werden soll?

 

In diesem Fall stand nicht von Anfang an fest, dass ich das Werk auch inszeniere. Mit dem Wissen einer Regisseurin stelle ich mir während des Schreibprozesses Fragen, z. B. was spannend sein kann, und was sich in welcher Form visualisieren lässt. Oder, wo ich Text brauche, um etwas verständlich zu machen, und was ich in einem stummen Spiel erzählen kann. Aber solange ich nicht mit dem Ausstatterteam arbeite, habe ich keine konkreten Figuren, Farben oder Räume im Sinn. Ich habe lediglich „Körperhüllen“ in ihrer Positionierung im leeren Raum vor Augen. Das gibt den Ausstattern eine große Freiheit in ihrem kreativen Schaffen.

 

Nun konkret zu dieser Produktion, derzeit laufen die Probenarbeiten auf Hochtouren?

 

Wir sind in der „heißen Phase“, im Moment befinden wir uns in den Kostümproben. Wie gesagt, spielt dieses Stück in einer fantastischen Welt, das drückt sich auch in der Gestaltung der Kostüme aus – mit Formen, mit denen die Darsteller normalerweise nicht umgehen können müssen. Das verlangt nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten!

 

In der Geschichte geht es darum, dass im Königreich der Enakos das „Gleichheitsprinzip“ – jeder Mensch hat gleiche Rechte – falsch ausgelegt wird, Konformität kontra Individualität. Nun weiß man aus Psychologie-Experimenten, dass Menschen dazu neigen, sich relativ leicht in Richtung konformistisches Verhalten beeinflussen lassen – und zum Gehorsam ist es nur noch ein kleiner Schritt. Auch dazu sind Experimente mit beängstigenden Ergebnissen wie das Milgram- oder das Stanford Prison Experiment nicht unbekannt.

Andererseits … wenn jeder „macht was er will“, ist ein friedliches Zusammenleben in einer Gesellschaft auch nicht möglich …

 

Wir sind als Individuum konfliktscheu, dazu kommt noch, dass uns die Regeln von „Political Correctness“ auferlegt werden. Besonders in meinem Beruf muss ich jedoch – gute wie schlechte! – Dinge benennen dürfen, denn um den heißen Brei zu reden, führt oft zu einer Verflachung.

Wir Menschen merken, wenn wir mit unserer Verschiedenheit anecken. Aber auch wenn der Individualismus derzeit großgeschrieben wird, versuchen wir immer wieder, in einer Gruppe mitzuschwimmen. Oft streben wir ein Mittelmaß an, keiner darf zu stark nach oben oder nach unten herausstechen – was sehr schade ist, denn dadurch geht die Vielfalt verloren.

In diesem Stück verdeutlichen wir auch optisch, was passiert, wenn man von diesem Durchschnitt abweicht: So gibt es nur eine Kleidergröße – wer zu groß ist, dem ist die Kleidung zu eng, wer zu klein ist, dem ist sie zu lang. Und es gibt nur klare Formen, sogar die Natur wird in Form gebracht, Bäume bekommen Hüllen, alles ist in einem Einheits-Grau.

 

Die Gleichheit aufrecht zu erhalten gelingt dem Oberenako mit Hilfe eines fiktiven Monsters, dem Anderling. Dieser holt alles ‚Andere‘. Erstes angebliches Opfer wurde ein Kind des Königs.

 

Um die Masse besser kontrollieren zu können, wird durch die Kreation des „Monsters“, des „Anderlings“ die Angst vor allem, was anders ist, noch zusätzlich geschürt. Das ist das zweite große, brandaktuelle Thema: Wenn wir unsere Ängste nicht hinterfragen, werden wir diese immer auf die falsche Art loswerden.

 

Das ganze Gefüge der Enakos wird durch ein Kind – eben jenes verschwundene Kind des Königs – ins Wanken gebracht, mit einer scheinbaren Nichtigkeit wie einem kleinen gelben Ball. Ist es das, was Sie dem jungen Publikum mitgeben möchten? Nicht nur, dass „Anderssein“ gut ist, sondern dass Alter und Gegenstand nicht so große Rollen spielen, wenn man etwas verändern möchte?

 

Absolut. Es gibt übrigens keine Geschlechter, und alle tragen den gleichen Namen, alle heißen „Enako“. Im Grunde verordnete der König die Gleichheit, damit sein Kind in Freiheit aufwachsen kann. Doch er erlaubt auch seinem Kind nicht, anders zu sein, und somit ‚verschwindet‘ das Kind. Es wird angeblich vom Anderling geholt. Gereift kehrt es zurück und fängt im Untergrund zu rumoren an, weil es versteht, wie stark diese Gehirnwäsche war. Es versucht nun mit kleinen Dingen, die anderen zu konfrontieren, zum Nachdenken zu bewegen.

 

Wie gehen Kinder mit diesem philosophischen Thema um?

 

Viel direkter, als wir denken! Das Werk ist für Kinder ab sechs Jahren angesetzt, ein Alter, von dem man sagt „Kinder und Narren sprechen die Wahrheit!“ Kinder nehmen all das wahr, was wir Großen falsch machen, und hinterfragen oft sehr direkt. Und wir erklären ihnen dann, wie wir die Wirklichkeit gebogen haben, damit sie so funktioniert, wie wir gerne hätten. Eine Botschaft, die die Kinder sehr klar verstehen – und es sind nicht die Eltern, die „angegriffen“ werden, da geht es um größere oder „höhere“ Ebenen …

 

Ein Werk, das sich also auch Erwachsene anschauen sollten …?

 

Erwachsene sind gerne willkommen! Das Werk ist für Kinder ab sechs Jahren geeignet, aber nach oben hin gibt es natürlich keine Grenze! (lacht)


Ela Baumann bei den Proben mit den Kinder der Opernschule der Wiener Staatsoper © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

In dieser Serie spielen viele Kinder mit, die wahrscheinlich zu dem Werk Fragen stellen. Was wollen die Kinder wissen?

 

Im Kinderchor herrscht eine Riesenbegeisterung, ein Eifer, den man sich von manchem Erwachsenen wünschen würde … (lacht) Kinder stellen oft Fragen zur visuellen Umsetzung, etwa warum ein Gegenstand eine bestimmten Form oder Farbe hat. Wenn eine Szene neu erarbeitet wird, erfragen sie den Grund, warum ein bestimmtes Ereignis gerade passiert. Haben sie den Sinn verstanden, läuft alles relativ diskussionsfrei.

Doch obwohl alle Figuren Enako heißen, haben die einzelnen Kinder konkrete Rollen und Charakterzüge. Zum Beispiel hat ein Kind das Attribut „das Heldenhafte“, es deckt die Ungerechtigkeit auf. Ein anderes Kind spielt „das Gesetzestreue“ – dieses Kind meinte zunächst: „Oje, ich bin der Streber …“ Doch die Kinder sind mit Begeisterung darauf fokussiert, in ihrer Rolle alles richtig zu machen und emtwickeln dabei eine unglaubliche Genauigkeit! Die fünf Kinder-Enakos sind zwar Solisten, doch sie singen meistens gemeinsam. Und da fällt den Kindern schon mal auf: „Eigentlich ist meine Rolle gerade einer anderen Meinung, kann ich hier überhaupt mitsingen?“

 

Oper wird gerne als elitäre Kunstform abgestempelt, manchmal sogar als eine vom Aussterben bedrohte Gattung. Was nicht ganz zutrifft, betrachtet man die Publikumszahlen bei den MET-Übertragungen. Oder die Verwendung von Opernmusik als Emotionsträger in Actionfilmen wie James Bond oder Mission Impossible.

 

Nein, Oper ist nicht tot, manchmal aber die Form, in der sie geboten wird. Je größer die „Tradition“, umso stärker muss man sich einfügen in Abläufe, die „schon lange funktionieren“. Doch es ist extrem wichtig, neue Wege auszuprobieren. Nicht ins andere Extrem zu fallen – das intellektuelle Regietheater hat sich übrigens nur im deutschsprachigen Raum breit gemacht! In Holland oder Belgien hat man einen offeneren Zugang zu Neu-Interpretation. Ein schwieriger Balanceakt – ich will mein Publikum erreichen und nicht vor den Kopf stoßen.

Der „Unterhaltungsbegriff“ ist für mich breiter gefasst, nicht nur als „Amüsement“ gemeint. Es beinhaltet jede Form von Emotion! Mich stimmt hoffnungsvoll, dass die vielen jungen KünstlerInnen, mit denen ich zusammenerarbeite, wieder die Emotion in den Mittelpunkt stellen. Sie wollen die Geschichte so erzählen, dass sie das Publikum emotional berührt, dass man sich nicht entziehen kann. Was die Emotion verstärkt, ist, dass der einzelne im Publikum diese Augenblicke zusammen mit vielen anderen Menschen erlebt. Dann nehme ich diese starken Momente wahr, in denen ich merke: Der Vorhang fällt, und das Publikum kann zunächst gar nicht atmen!

 

Wie reagieren die Kinder, die hier in die Oper kommen?

 

Sehr unterschiedlich! Kinder, die zum ersten Mal eine Oper besuchen, sind zunächst von der gesungenen Sprache irritiert, weil sie sich anders konzentrieren müssen. Ich machte dann absurde Erfahrungen, z.B., dass während Sopranarien immer gesprochen wird. Aber nicht, weil den Kindern langweilig ist, ganz im Gegenteil! Oft ist auf der Bühne gerade viel passiert, dann folgt die Sopranarie als lyrisches Element – die Kinder wollen über das Geschehen davor natürlich diskutieren! Im Sprechtheater setzt man dieses Phänomen mittlerweile bewusst ein und gibt den Kindern Gelegenheit zum Austausch. – Aber, aus diesem Grund gibt es in diesem Stück keinen Sopran!
Kinder haben einen unheimlichen Respekt, wenn sie Gleichaltrige auf der Bühne sehen. Und besonders berührend finde ich zu sehen, wenn die Musik plötzlich im Körper ist und Kinder sich automatisch zu bewegen beginnen. Dann hoffe ich immer, dass Eltern und Lehrer dies auch zulassen! Deshalb schätze ich Räume, in denen man diese Situation, das Sitzen-Müssen, auflösen kann.

 

In Ihrer Werkliste finden sich einige Werke für Kinder. Was ist für Sie das besondere an dieser Zielgruppe? Kinder sind einerseits gut zu begeistern, andererseits sehr direkt und ehrlich in ihren Reaktionen, ob ihnen etwas gefällt, oder ob sie’s langweilig finden …?

 

Eben genau das fasziniert mich. Ich selbst bin ein Theaterkind und hatte zu meinem Berufsanfang 15 Bühnenjahre „auf dem Buckel“. Daher wollte ich genau in diesem Bereich arbeiten, mich jedoch nicht in dieser Maschinerie einspannen lassen. Es nervte mich, wenn das Publikum höflich klatscht und mit diesem bestimmten Unterton sagt, dass es „interessant“ war. Also ging ich zunächst nach Holland und Belgien.

Mein Schlüsselerlebnis: Wir sollten in einem Gemeindesaal mit drei Scheinwerfern eine Produktion für Kinder auf die Beine stellen. Ich hatte zunächst große Zweifel, dass sich in dieser Form Oper realisieren ließe. Den Kindern war die spärliche Ausstattung jedoch völlig egal, die erlebten wunderbare Musik mit fantastischen Darstellern – und hörten nicht auf, zu applaudieren. Da wusste ich: SO möchte ich mein Publikum erreichen.

Kindern muss man wertvolle Erlebnisse bieten, das kann man einfach machen, mit billigen Effekten – das liegt mir gar nicht. Bis zu einem gewissen Grad übe ich eine edukative Arbeit aus: Ich möchte, dass mein Publikum bis ins hohe Alter ins Theater geht. Und damit, die Begeisterung für diese Welt zu schüren, kann man nicht früh genug beginnen!

 

Frau Baumann, vielen Dank für das Gespräch und toi, toi, toi für die Premiere!

Renate Publig führte das Gespräch im Jänner 2019 in den Räumen der Wiener Staatsoper

 

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