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Ein sehr persönlicher Rückblick auf die kurze Saison 2019/2020 an der Wiener Staatsoper.

08.04.2020 | Themen Kultur

Ein sehr persönlicher Rückblick auf die kurze Saison 2019/2020 an der Wiener Staatsoper.

Ein Rückblick von Helena Ludwig

„Es beginnt sofort ein wenig dramatisch…“ Mit diesen rückblickend prophetischen Worten von Direktor Dominique Meyer begann die „Corona“ Saison 2019/2020 am 4. September des Vorjahres an der Wiener Staatsoper. Die 63. Aufführung der kümmerlichen Jean-Francois Sivadier Inszinierung von Verdi’s La Traviata stand kurz vor der Absage. Die Hauptdarstellerin der Kameliendame Irina Lungu musste sich beim Einsingen eingestehen, dass sie nicht auftreten kann und sagte 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn ab. Dass diese Unglückssaison trotzdem eröffnet werden konnte, war Ekaterina Siurina zu verdanken. Die Ehefrau von Charles Castronovo, der an diesem Abend den Alfredo sang, begleitete ihren Gatten und erklärte sich spontan bereit einzuspringen. Sie debütierte in Wien als Violetta am 29. Jänner desselben Jahres weshalb sie die Inszinierung praktischerweise kannte. Die Rolle des Giorgio Germont sang übrigens Thomas Hampson, es dirigierte Giampaolo Bisanti.

Niemand konnte sich, nicht einmal in seinen kühnsten, apokalyptischten Vorstellungen ausmalen, dass die letzte Saison Dominique Meyers bereits am 10. März mit der staatlich verordneten Schliessung des Hauses wegen der Corona Pandemie und somit der Absage aller weiterer Vorstellungen beendet werden musste. Ohne dass der seit 2010 tätige Direktor seine verdiente, offizielle Verabschiedung bekam, ohne die ausstehenden Neuinszenierungen von Così fan tutte unter Riccardo Muti oder Un Ballo in Maschera mit Ludovic Tèzier. Sehr schade….
Für mich war es eine sehr durchwachsenen und natürlich viel zu kurze Staatsopern Saison. Ich konnte 24 Aufführungen besuchen und war mit der musikalischen Qualität öfters nicht zufrieden. Aber ich möchte in diesem Jahresrückblick ausschließlich meine Highlights hervorheben.

Meine Nummer 1 ist unangefochten „A Midsummer Nights Dream“ von Benjamin Britten in der wunderbaren Neuinszenierung von Irina Brooks. Ich habe die vierte Aufführung am 13.10.2019 genießen dürfen. Es dirigierte Simone Young. Der Star des Abends war der grandios beeindruckende Akrobat und Schauspieler Théo Touvet, der den Puck spielte. Countertenor Lawrence Zazzo als Oberon, Erin Morley als Tyrania, Rafael Fingerlos als Demetrius, Peter Kellner als Theseus, Valentina Nafornita als Helena, Rachel Frenkel als Hermia, Josh Lovell als Lysander uvam. Danke allen für dieses Highlight!


 

Meine Nummer 2 ist Georg Friedrich Händels „Ariodante“ in einer sehr stimmigen Inszinierung von David McVicar. Am 15. November 2019 spielte in der 9. Aufführung das Orchester Les Talens Lyriques, es sang der Gustav Mahler Chor, unter der Leitung von Christophe Rousset. Grandios als Ariodante Stephanie Houtzeel und Peter Kellner als Schottenkönig besonders genial! Bravi tutti: Chen Reiss als Ginevra, Hila Fahima als Dalinda, Max Emanuel Cencic als Polinesso und Josh Lovell als Lurcanio. Es lebe die Barockoper, ganz besonders, wenn sie so aufgeführt wird!

Bei meiner Nummer 3 konnte ich mich nicht entscheiden, deswegen ein ex aequo für Lohengrin und Rusalka. Beides sind Lieblings Opern von mir und bei beiden Vorstellungen war es im Vorfeld auch ein wenig dramatisch….

Am 19.1.2020 die 25. Aufführung der unsäglichen Andreas Homiki Inszinierung. Eigentlich sollte diese Serie von Valery Gergiev dirigiert werden, der sich aber schon in den vorangegangenen Vorstellungen verspätete und auch immer erst kurz vor Beginn eintraf. Offenbar ahnte Direktor Dominique Meyer noch übleres und holte Michael Güttler rechtzeitig nach Wien. Dieser kam auch prompt zum Einsatz, da Gergiev wegen eines verspäteten Fluges diesmal gar nicht erst in Wien eingetroffen war. Dominique Meyer trat wieder vor den Vorhang um den deutschen Dirigenten für das Einspringen zu danken. Er bedankte sich auch beim pünktlich erschienenen Publikum und allen Mitwirkenden bevor die Vorstellung in Lederhosen und Dirndeln starten konnte. Wir durften nun auch endlich in Wien den Lohengrin vom, meiner bescheidenen Meinung nach, besten Tenor unserer Zeit geniessen: Piotr Beczala! Bravissimo!
Ain Anger als König Heinrich, Cornelia Beskow als Elsa, Egils Silins als Friedrich und Linda Watson als Ortrud.


Im Anschluss an diese bemerkenswerte Aufführung wurde Linda Watson auf offener Bühne der Titel der österreichischen Kammersängerin verliehen. Brava!

Rusalka von Antonin Dvorak am 2.2.2020 in der 21. Aufführung der Inszinierung von Sven Eric Bechtolf unter der Leitung von Tomasz Hanus.

Olga Bezsmertna erkrankte und konnte kurzfristig durch Sofia Soloviy ersetzt werden, die somit die Gelegenheit zu ihrem Staatsoperndebüt als Rusalka bekam. Brava, es war ein tolles und überzeugendes Debüt!
Piotr Beczala gab in dieser Serie als Prinz sein Wiener Rollendebüt und es war erwarteterweise fabelhaft! Als fremde Fürstin Elena Zhidkova, als Wassermann Jongmin Park und als Jezibaba Monika Bohinec.

Soweit zu meinen Favoriten in dieser unvergesslichen Staatsopern Saison. Ich werde mich aber auch sicher ewig daran erinnern, dass die letzte Staatsopern Vorstellung 2019/20 für mich bereits am 16. Februar stattfand. Es war eine besondere Vorstellung von L’elisir D’amore
in der wunderbaren Otto Schenk Inszenierung. Regula Mühlemann gab ihr Staatsopern- und Weltdebüt als Adina und Rafael Fingerlos sein Rollendebüt als Belcore.

Seither sind schon fast zwei Monate vergangen und gute fünf weitere spiellose Monate folgen mindestens noch. Noch nie, ich glaube nicht einmal während des zweiten Weltkriegs, war das Erste Haus am Ring so lange ohne Leben. (Anm.: nach der Bombardierung der Oper durch die USA am 12.3.1945 wurde 10 Jahre im Theater an der Wien gespielt).

Die „Wiederauferstehung“ im September werden sicher nicht nur meine Mutter und ich in „oh namenloser Freude“ und unter Tränen der Rührung zelebrieren. Ich habe es schon öfter gesagt und wiederhole es gerne: es kann bitte nur eine Aufführung zur Wiedereröffnung gegeben werden: Fidelio. Passend in vielerlei Hinsicht, zu Ehren des 250. Geburtstags Ludwig van Beethovens und in Anlehnung an die Neueröffnung unserer geliebten Halle im Jahr 1955. Ich hoffe die Zuständigen fassen das ins Auge und nützen die Zeit um das zu verwirklichen.

Das wäre doch ein wahrlich denkwürdiger Einstand für den neuen Staatsoperndirektor Bogdan Roščić und den neuen Musikdirektor Philippe Jordan. Deren Präsentation des Programms 2020/2021 in der Staatsoper vor Publikum kann übrigens auch nicht stattfinden. Stattdessen wird das aber am 26. April live im österreichischen TV zu erleben sein. Wir sind gespannt!

Ich wünsche allen Gesundheit, Gelassenheit und starke Nerven.
Helena Ludwig

 

 

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