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Ein Interview mit dem Trio Brontë. Drei Stimmen, eine Sprache Ein Gespräch mit Chiara Sannicandro (Violine), Lili Bogdanova (Klavier) und Annie Jacobs-Perkins (Violoncello) über ihr CD-Debut mit Wolfgang Rihms „Fremden Szenen III“ und Franz Schuberts B-Dur-Trio

05.11.2025 | Instrumentalsolisten

Ein Interview mit dem Trio Brontë. Drei Stimmen, eine Sprache

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Drei Stimmen, eine Sprache

Ein Gespräch mit  Chiara Sannicandro (Violine), Lili Bogdanova (Klavier) und Annie Jacobs-Perkins (Violoncello) über ihr CD-Debut mit Wolfgang Rihms „Fremden Szenen III“ und Franz Schuberts B-Dur-Trio

Mit ihrem Debütalbum bei Solo Musica dokumentiert das Trio Brontë mehr als einen Wettbewerbserfolg. Die drei jungen Musikerinnen – Chiara Sannicandro (Violine), Lili Bogdanova (Klavier) und Annie Jacobs-Perkins (Violoncello) – haben mit Wolfgang Rihms „Fremde Szenen III“ und Franz Schuberts B-Dur-Trio ein Programm geschaffen, das bewusst provoziert: Rihm zuerst, dann erst Schubert. Eine dramaturgische Entscheidung, die das Hören neu justieren soll. Im Gespräch erzählen die drei, warum zeitgenössische Musik als Ohrenöffner fungiert, wie man lernt, den eigenen Instinkten zu vertrauen, und was es bedeutet, als Freundinnen einen künstlerischen Moment festzuhalten – bevor sich alles wieder weiterbewegt.

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Copyright: Trio Brontë.

Ihr Debütalbum verbindet Wolfgang Rihms „Fremde Szenen III“ mit Schuberts B-Dur-Trio – das sind Welten, die zwei Jahrhunderte auseinanderliegen. Wie kamen Sie auf diese Programmidee?

Lili Bogdanova: Die CD ist an den Grazer Wettbewerb „Franz Schubert und die Musik der Moderne“ gebunden. Für die Finalrunde sollten wir ein Programm gestalten, das dem Wettbewerbstitel gerecht wird. Wir entschieden uns für das Schubert-Trio und die „Fremden Szenen“ von Rihm – eine Kombination, die wir als sehr interessant empfanden. Wir lieben es, Schubert zu spielen, und Rihm war für uns eine tolle Neuentdeckung.

Was bedeutet diese erste Aufnahme als Meilenstein für Sie?

Annie Jacobs-Perkins: Wir hatten keine Planung dafür. Wir dachten nicht einmal daran, dass es einen speziellen Preis für eine CD-Aufnahme beim Wettbewerb gibt. Wir konzentrierten uns nur auf den Wettbewerb selbst. Der Zeitdruck hat uns dann produktiv werden lassen. Ohne diesen Preis hätten wir unsere erste CD wahrscheinlich viel später aufgenommen. Schubert ist so ein ikonisches Stück, aufgenommen von so vielen großartigen Trios. Als erste CD für ein junges Trio war das eine Herausforderung.

Chiara Sannicandro: Aber wir sind sehr gute Freunde, und diese CD ist eine Art Momentaufnahme – wer wir als Menschen sind und wie wir jetzt als Gruppe sind. Das mit den Leuten zu teilen, fühlt sich großartig an. Diese Stücke werden sich weiter verändern, solange wir zusammen spielen. Es geht um uns in diesem Moment und um das, was wir teilen können.

War es von Anfang an geplant, das Rihm-Stück an den Anfang zu stellen?

Annie Jacobs-Perkins: Ja, das war von Anfang an klar. Das war uns wichtig, denn es ist so atmosphärisch und anders. Das Publikum muss beim Rihm von der ersten Note an eine andere Weltansicht akzeptieren, eine Welt, in der man nicht weiß, was als Nächstes kommt. Und das sehen wir als die ideale Hör-Haltung für Schubert, obwohl es ein Stück ist, das jeder sehr gut kennt. Rihm zuerst zu setzen war uns in zweierlei Hinsicht wichtig: Es zeigt, dass wir zeitgenössische Musik genauso ernst nehmen wie Schubert. Und es bittet die Leute, sich von Anfang an offen zu halten.

Lili Bogdanova: Dieses Rihm-Stück beginnt so mysteriös – man weiß nicht, was passieren wird. Auch in Schubert muss man die Klänge entdecken, das ist ein ähnlicher Prozess, und es dauert eine Weile, bis sich alles offenbart.

Wolfgang Rihm hat einmal gesagt: „Das Schreiben von Musik ist unweigerlich immer das Beantworten bereits vorhandener Musik.“ Spüren Sie diese Verbindung in den „Fremden Szenen“?

Chiara Sannicandro: Absolut – auch wenn keine direkten Zitate von Schubert in Rihms Stück sind. Aber Schuberts Einfluss ist unüberhörbar. Rihm hat einen sehr komplexen Umgang mit der Vergangenheit. Man kann es beim Spielen fühlen. Es fühlt sich manchmal nach sehr viel älterer Musik an.

Sie spielen erfreulicherweise viel zeitgenössische Musik. Der Anteil scheint bei Ihnen höher als bei vielen anderen Kammermusik-Ensembles.

Lili Bogdanova: Ja, wir legen Wert darauf. Vor allem Annie spielt im Ensemble Modern in Frankfurt – das heißt, sie hat viel Erfahrung mit Neuer Musik. Und ja, es macht uns allen Spaß. Wir sind begeistert davon, neue und alte Musik nicht zu mischen, sondern zu verbinden. Wir glauben, dass man dabei viel lernen kann. Die verschiedenen Welten berühren sich.

Wie unterscheidet sich die interpretatorische Freiheit bei Rihm von der Arbeit an Schubert?

Annie Jacobs-Perkins: Der Unterschied ist, dass man bei einem zeitgenössischen Stück nicht weiß, was einen erwartet. Man muss zuerst alle Noten durchgehen und herausfinden, was man eigentlich spielen muss. Und dann kommt man hoffentlich zu dem Punkt, an dem man daraus Musik kreieren kann. Bei moderner Musik gibt es oft nicht genug Zeit, sie wirklich gut zu lernen – deshalb sind nicht alle Uraufführungen überzeugend, weil sie nicht zur Essenz des Stückes vordringen. Glücklicherweise hatten wir viel Zeit zum Proben. Wir fühlten, dass wir über Musik nachdenken konnten und nicht nur Noten spielen mussten.

Chiara Sannicandro: Und weil diese Tradition nicht so klar ist wie bei Schubert, fühlt man sich freier zu entdecken, was sich richtig anfühlt. Bei Schubert hat man von Anfang an ein sehr spezifisches Gefühl für Stil und Artikulation. In gewisser Weise ist es schwieriger, dort frei zu sein. Aber wenn man genügend Zeit investiert, kommt man auch dort zu dem Punkt, wo man weiß, wo man kreativer sein kann und wo strenger. Der Prozess ist letztlich sehr ähnlich – nur die Sprache der Komponisten ist so unterschiedlich, dass die erste Phase anders verläuft. Aber in den letzten Stadien der Interpretation, wenn man sich nur noch auf Nuancen konzentriert, werden die Prozesse einander ähnlicher.

Rihm zu spielen lehrt also, den eigenen Instinkten zu vertrauen?

Annie Jacobs-Perkins: Genau. Ein Stück wie Rihm lehrt uns, unseren Instinkten zu vertrauen, weil so viel von der musikalischen Diskussion darüber geht, was eine Farbe bedeutet oder was etwas ausdrücken soll. Musiker haben weniger Schulung in zeitgenössischer Musik als bei Schubert, Beethoven oder Brahms – das sind Standardstücke. Bei neuer Musik ist man mehr auf Instinkt angewiesen. Rihm zu spielen und dabei zu erkennen, was die eigenen Instinkte sind, und dann zurück zu Schubert zu kommen, der sehr fein und delikat geschrieben ist – das macht einen sicherer, seinen Instinkten auch bei Schubert zu vertrauen, sodass es sich am Ende genauso frei anfühlt.

Lili Bogdanova: Für den Hörer gilt dasselbe: Wenn man sich dieser freien Welt der Klänge öffnen muss, öffnet man seinen Geist – und mit diesem geöffneten Geist geht man dann in Schubert hinein. Die Sensibilität für all diese feinen Emotionen in Schubert wird tiefer durch die Erfahrung zuvor.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Trio? Gibt es viele Diskussionen?

Lili Bogdanova: Es braucht definitiv viel Kommunikation. Es gab viel Diskussion darüber, wie man etwas Organisches schafft, das trotzdem spontan bleibt. Das war sehr schwierig mit diesem Stück, weil es so lang ist. Es gibt viele harmonische Wendungen, aber auch viele Wiederholungen. Oft haben wir das gleiche Ziel gefunden, aber um dorthin zu kommen, gab es viele Versuche und Fehler.

Annie Jacobs-Perkins: Das ist nicht unsere endgültige Interpretation. Absolut nicht. Es ist vielleicht eine sehr junge Interpretation, aber auch eine, die das ganze Leben widerspiegelt.

Wie viel Spontaneität bleibt bei einer Studioaufnahme im Vergleich zur Live-Performance?

Chiara Sannicandro: Es war unsere erste Aufnahmesession als Trio, und es war ein großartiger Prozess. Aber eine CD-Aufnahme zu machen war gerade deshalb herausfordernd, weil man versucht, etwas frisch zu halten. Man hat genug Takes, um verschiedene Versionen zusammenzusetzen, und das fühlt sich anders an als eine Live-Performance. Wir waren glücklich, dass wir an einem Ort aufnehmen konnten, an dem wir uns zu Hause fühlten. Unser Aufnahmeingenieur war auch sehr freundlich. Wir hatten das bestmögliche Setup, aber ein Studio-Recording fühlt sich nicht an wie ein Konzert. Es ist eine starke Teamarbeit – mit dem Aufnahmeingenieur, der sehr aktiv und ein sehr guter Hörer sein muss. Wir haben am Tag vor unserer Albumaufnahme ein Konzert in England gespielt und arbeiteten mit Alexander Van Ingen zusammen, der für einige Labels in England arbeitet, aber auch freiberuflich tätig ist.

Annie, Sie spielen im Ensemble Modern. Was bedeutet diese Arbeit für Sie?

Annie Jacobs-Perkins: Ich liebe das Ensemble Modern. Es ist wirklich inspirierend, mit ihnen zu spielen. Ich fühle mich als mutigerer Musiker, weil ich mit ihnen spiele. Das macht auch unsere Arbeit an einem Werk von Wolfgang Rihm weniger erschreckend. Die nächsten Projekte, an denen ich beteiligt bin, sind Teil der 90. Geburtstagstour von Helmut Lachenmann. Wir spielen „Concertini“ und „Mouvement“ – zwei großartige Stücke.

Gibt es Konzerterlebnisse, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Annie Jacobs-Perkins: Das ist schwer zu sagen – sogar ein Moment aus unserer Aufnahmesession war besonders. Aber generell: Bei jedem Konzert gab es Momente, die sich beeindruckend anfühlten wegen dieses Vertrauens untereinander. Ich liebe es, wenn man fühlt, dass man spontan sein kann und die anderen auf das reagieren, was man tut. Dieses gemeinsame Gefühl, etwas zusammen zu kreieren, was nicht geplant ist, sondern einfach passiert – das fühlt sich magisch an.

Was möchten Sie Ihrem Publikum vermitteln?

Chiara Sannicandro: Ich denke, man sollte ehrlich sein und die Musik zum Leben bringen – nicht nur das eigene Gefühl ausdrücken, sondern auch sein Bestes tun, um die Musik zu porträtieren. Es ist ein bisschen wie Theater – man fühlt sich wirklich wie die Charaktere, alles kommt zum Leben.

Lili Bogdanova: Wir versuchen, jeden Charakter, jede Phrase, jede Sektion so klar wie möglich zu machen. Wenn wir das schaffen und das Publikum das wirklich empfindet, dann hält es die Musik interessant von Beginn bis Ende. Das ist auch das, was mich beeindruckt, wenn ich als Zuhörerin dabei bin: Wenn jede Note so klar ist in ihrer Bedeutung, dass man nicht aufhören kann zuzuhören, weil man aufgeregt ist, was folgt. Das versuchen wir zu erreichen, egal welchen Komponisten wir spielen.

Erzählen Sie von Ihrer Geschichte als Trio. Warum haben Sie sich nach den Brontë-Schwestern benannt?

Lili Bogdanova: Wir haben in unseren Konzerten eine Verbindung zu Emily Brontës „Sturmhöhe“ hergestellt – einem der berühmtesten Romane dieser Zeit. Die Geschichte hat uns sehr bewegt. Wir fühlten, dass die drei Brontë-Schwestern sich gegenseitig in ihrer Kunst unterstützten und eine besondere Kraft als Geschwister hatten. Diese Verbindung von kreativer Unabhängigkeit, gegenseitiger Unterstützung und dem Mut zu neuen Wegen – das passte zu uns.

Chiara Sannicandro: Wir wissen, was wir voneinander erwarten können. Die Dinge passen einfacher zusammen, wenn man sich mit der Sprache des anderen auskennt, wenn man eine gemeinsame Gruppensprache entwickelt hat.

Was haben Sie für die Zukunft geplant?

Annie Jacobs-Perkins: Wir arbeiten gerade an Brahms‘ C-Dur-Trio. Das ist so spannend, weil es jetzt so viel großartige Musik gibt, die man erforschen kann. Wir haben so detailliert gearbeitet, sowohl für den Wettbewerb als auch für die Aufnahme. Jetzt fühlt es sich an, als würde sich die Welt wieder öffnen – und man kann diesen Prozess für das ganze Leben nutzen, weil es so viel Musik gibt.

Interviewer: Stefan Pieper im Oktober 2025

 

 

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