TURANDOT von Giacomo Puccini
Bregenzer Festspiele 2015
Cmajor / Unitel Classica DVD
Mehr noch als die Arena von Verona, die mancher von uns schon mit halbleeren Stufen gesehen hat, haben sich die Bregenzer Festspiele mit ihrem „Spiel auf dem See“ zum großen Freilicht-Spektakel entwickelt, ein „Must“ für Event-Jäger, die sich von Fernsehaufzeichnungen nicht abhalten lassen, das oft leicht feucht-kühle Ereignis live erleben zu wollen.
Die Aufzeichnung der „Turandot“ vom Sommer 2015, mit der Intendantin Elisabeth Sobotka auf den Spuren ihres erfolgreichen Vorgängers David Pountney wandelt, wird wohl niemanden abhalten, auch 1916 dorthin zu pilgern – und wer es nicht kann, wird hier exzellente Information über das Gebotene erhalten, gut gefilmt und gut geschnitten.
Regisseur Marco Arturo Marelli, immer ein Mann von sicherem Geschmack, arbeitet zwar nicht so extrem, wie Poutney es gerne tat, bietet aber eine überwältigende Vielfalt von Ideen und Motiven zu „Turandot“, die jedes Spektakel, das allein in der chinesischen Kaiserzeit angesiedelt ist, übertrifft. Wobei natürlich sein Bühnenbild einen gewaltigen Beitrag leistet – so, wie die legendäre „Chinesische Mauer“ sich hier zu Beginn aufbaut, bietet das bereits einen spektakulären Show-Effekt, der nicht so leicht zu toppen ist. Davor liegt im Zentrum eine große Drehbühne, auf der dem Regisseur quasi immer etwas einfällt.
Denn Marelli bietet gewissermaßen einfach „alles“, das sich ganz seltsam zu einer theater-logischen Gesamtkonstruktion fügt: Dass man (nicht zum ersten Mal) zu Beginn einen sinnenden Puccini selbst sieht, der dann ins Geschehen eintritt und als Kalaf mitspielt (um zwischen 2. und 3. Akt wieder kurz zum sinnenden Komponisten zurück zu mutieren); zu Tänzern, Feuerschluckern, den chinesischen Drachen der Neujahrsumzüge kommt auch die „tönerne Armee“ in Grau – aber höchst lebendig in Mao-Anzügen; dann wieder die drei Minister in heutigen Anzügen vor Aktenwänden; aber plötzlich tauchen auch surreale Elemente (mit skelettartigen Figuren) auf – interessant, dass so ein Stil- und Zeitsprünge-Mix möglich ist und ohne weiteres funktioniert.
Der Betrachter der DVD hat dem Live-Besucher sicher etwas voraus: Niemand wird, selbst mit Feldstecher, auf der riesigen Bregenzer Tribüne den Darstellern so nahe kommen wie die Kamera: Man sieht also auch die Protagonisten sehr genau. Besetzt wird in Bregenz nie mit allerersten Namen, weil diese sich das Risiko der Seebühne schließlich nicht antun – auch wenn man bei Turandot nicht unbedingt nasse Füße bekommt (wie in den Pountney-Inszenierungen so oft), stellt dieses Freilicht-Welt trotz aller technischer Kunststücke eine harte Anforderung dar.
Die drei Hauptdarsteller (und alle anderen) tun, was in diesem Fall zu tun ist, schmettern ihre Rollen mit voller Kehle und spielen gewissermaßen überdeutlich – der Italiener Riccardo Massi (der es tatsächlich schafft, etwas von dem Ausstehen des Komponisten zu beschwören), die Russin Mlada Khudoley als Turandot, die Chinesin Guanqun Yu, drei ausreichend starke Persönlichkeiten, um in dem Spektakel nicht unterzugehen, sondern immer noch ihre Geschichten zu spielen und zu singen, unterstützt von Fachmann Paolo Carignani, den Wiener Symphonikern und einem Riesenaufgebot von Chören und Statisten.
Kurz, die DVD ist die beste Werbung, weil sie den Betrachter mit der Frage hinterlässt: Wie toll muss das Ganze erst live wirken!
Renate Wagner