Richard Strauss:
DER ROSENKAVALIER
Metropolitan Opera, New York, 2017
2 DVDs (auch BlueRay): DECCA / Universal Music
Die Metropolitan Opera bietet immer wieder Aufführungen, die sich nicht zuletzt durch ihre außerordentlichen Besetzungen auszeichnen. Aber manche Produktionen sind dann noch „besonderer“ als andere – etwa jener „Rosenkavalier“, in dem zwei große Sängerinnen unserer Zeit von Rollen Abschied nahmen, die für sie so wichtig waren wie für das Publikum: Renée Fleming von der Marschallin, Elina Garanca vom Octavian. Und sicher wird beide auch das Gefühl glücklich gemacht haben, dass sie es mit Hilfe von Regisseur Robert Carsen in Rolleninterpretationen tun durften, die nicht so schnell Vergleichbares finden. Schöner geht es nicht. Und man soll ja bekanntlich aufhören, wenn es am schönsten (und nicht, wenn es zu spät) ist…
Carsens Inszenierung rückt den „Roscnkavalier“ aus dem Wien Maria Theresias in jenes der sterbenden Monarchie – wenn er am Ende im Hintergrund Soldaten zeigt, die wohl in den Krieg (den man später Erster Weltkrieg nennen wird) gehen, ist das sein aufdringlichstes Inszenierungselement. Alles andere fügt sich wunderbar zur Geschichte, allein in den Räumen – die Marschallin ist nicht in ihr Schlafzimmer-Boudoir gesperrt, sondern wohnt in dem weitläufigen Palais ihres Feldmarschall-Gatten, auch um zu zeigen, in welcher Welt sie sich bewegen, wie riskant das Abenteuer eigentlich ist (trotz des getreuen Personals). Und Carsen lässt, nebenbei gesagt, das Liebespaar nicht züchtig sein, sondern jugendlich wild und sinnlich…
Details werden hier klug anders gezeigt als sonst, wenn sich die „drei adeligen Waisen“ nicht als schwarz gekleidete Fräuleins, sondern als Kadetten herausstellen, oder wenn „Hunderln ganz klein“ von einem Herrn im Tirolerhut angeboten werden, der zwei Riesenhunde mitgebracht hat… das sind wirklich amüsante Details. Der „Sänger“ bekommt einen Soloauftritt, wie einer der Stars, die man auch heute um großes Geld mieten kann… nicht irgendein armer herbei geschleppter Künstler.
Wenn im zweiten Akt kurz eine Kanone herumsteht, um zu zeigen, womit der Herr von Faninal (wie viele andere damals auch) reich geworden ist, und wenn eine Frühform der Hochzeitgesellschaft in weißen Gewändern Walzer tanzt (als seien sie das Jung-Komitee am Opernball), dann passt das ebenso in das Konzept dieser Regie wie das lustvoll mit Personal und Accessoirs ausgeschmückte Puff am Ende – zumal, wenn man weiß, wie sich Bordelle in Wien hinter Restaurants oder gar Beiseln („ein ordinäres Beisl“!) tarnten…
Kurz, dieser von Paul Steinberg & Brigitte Reiffenstuel ausgestattete „Rosenkavalier“ des Robert Carsen kreiert eine völlig überzeugende Welt in sich, in der zwar die bekannte Geschichte erzählt wird, aber mancher Akzent doch anders gesetzt ist als sonst, was für den Kenner des Werks besonderes Vergnügen bedeutet.
Man muss mit dem Ochs von Lerchenau beginnen, denn er ist der Motor des Abends. Allein, wie er auftritt, die Hände selbstbewusst in die Hüften gestützt, „Mariandl“ umweglos belästigend, sich zur Marschallin aufs Bett legend, sprühend vor Überheblichkeit, durchaus zu gewalttätigen Aktionen neigend – da spielt Günther Groissböck die Art von Mann, die wir zu verabscheuen gelernt haben – was nicht bedeutet, dass man nicht ein negatives Beispiel, so klug ausgefeilt wie dieses, auf die Bühne bringen kann. Ein harmlos-liebenswürdiger Ochs, der sich halt aus Dummheit schlecht benimmt, wie ihn frühere Generationen auch gesehen haben mögen, ist für uns nicht mehr denkbar. Groissböck, der die Rolle bis ins Detail „richtig“ singt, hat tausend stimmige, witzige, abgründige Nuancen, die diese Figur ununterbrochen interessant machen – bis zu seiner Demütigung mit Glatze und Pferdeschwanz im letzten Akt, wo er am Ende noch mit Mühe versucht, Haltung zu bewahren… Zweifellos, Groissböck wird auf Jahre „der“ Ochs unserer Zeit sein.
Renée Fleming verabschiedet sich in dem Bewusstsein, eine der denkbar wunderbarsten Marschallinnen gewesen zu sein – nicht auf die Trauerweide gepolt, die viele Kolleginnen spielen mussten. Ihr Schicksal ist nicht wirklich tragisch, und man erlebt diese kluge, souveräne Frau eigentlich ärgerlich darüber, wie es im Leben so läuft, dass nichts Gutes bestehen bleibt, dass die schlechten Leut’ Oberhand haben, dass man nichts gegen das Älterwerden tun kann… sie ist zu gescheit, um zu leiden, es ist eben so… Makellos gesungen, wunderbar gespielt, und, warum soll man es leugnen, sicher auch einen legitimen Teil der Wirkung aus ihrer blonden Schönheit holend.
Auch der Octavian der Elina Garanca ist anders als üblich, erwachsener als nur der „Bub“, auch ein Früchtchen, ein junger Mann, der nicht nur Spaß an der Situation hat, dass Ochs da plötzlich im Schlafzimmer auftaucht, sondern von Anfang an frech und aktiv mitagiert – auch eine nicht zu oft so modelliertes Charakterbild. Vor allem ist sie dann im dritten Akt, im Bordell, entfesselt in der Frauenrolle, schamlos, voll böser Lust, dem Ochs ein auszuwischen: Mariandl nicht auf schüchtern, sondern eine herausfordernde Teufelin. Das prickelt.
Dieses Dreieck bestimmt das Geschehen, in dem sich Erin Morley als Sophie, Markus Brück als Faninal und Matthew Polenzani, ein Liebling des Met-Publikums, als Sänger hochkarätig einfügen und das Orchester (jahrzehntelang geschult von James Levine) unter Sebastian Weigle einen prächtigen Strauss spielt.
Selbst, wenn man die Übertragung aus der Met schon gesehen hat – diese Aufführung ist es wert, sie immer wieder anzusehen und neben die ganz großen „Rosenkavaliere“ der Geschichte (wie man sie glücklicherweise in den „Konserven“ hat) zu stellen. Was nun per DVD / BlueRay glücklicherweise leicht möglich ist.
Renate Wagner