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DVD: SIMON BOCCANEGRA (Scala 2010)

03.03.2013 | Allgemein, dvd

 

DVD:
SIMON BOCCANEGRA von Giuseppe Verdi
Live aus der Mailänder Scala 2010
ARTHAUS

Vielleicht ist die Besprechung einer „Simon Boccanegra“-DVD (in diesem Fall die Mailänder Produktion, es gibt ja bekanntlich auch jene von London und New York zu kaufen) ein guter Anlass, einen Mann wie Plácido Domingo zu würdigen. Er hat ja nicht nur Freunde – dass jemand, der so viel kann, will und macht wie Domingo, nicht nur Bewunderung, sondern AUCH Neid und damit Kritik hervorruft, versteht sich, das liegt in der Natur der Sache.

Er hat sich durch sein klassisches italienisches Tenor-Fach gesungen, noch Wagner dazu erobert. Er ist Dirigent geworden, womit er überhaupt keine „Sorgen“ haben muss, im Alter einmal nicht gefragt zu sein (denn die Herren am Pult schaffen es locker auch noch über 80, ihren Beruf auszuüben). Er ging in das für ihn neue Fach der alten Musik, vor allem mit Händel (Bajazet in Tamerlano), aber er sorgte auch dafür, dass es neue Opern gab, die er sich unter Umständen auf den Leib komponieren ließ („Il Postino“), wenn er nicht ohnedies bereit war, bei jemandem wie Tan Dun („The First Emperor“) einzusteigen.

Wäre es schon damit mehr als genug gewesen, so ist er schließlich in die neuen – und für ihn dann grenzenlosen – Stimmwelten des italienischen Baritons eingestiegen und hat dies gerade mit seiner Einstandsrolle, dem Simon Boccanegra, auf bewundernwürdige Weise getan. Sicher, sein „Rigoletto“, den er in einer aufwendigen Fernsehproduktion geboten hat, war ein Reinfall – er hat ihn nicht wiederholt. Es gibt ja genügend andere Rollen: Den Francesco Foscari und den Père Germont (demnächst wieder an der Met mit Damrau, Pirgu) hat er bereits erfolgreich bewältigt, die Salzburger Festspiele haben eine Andeutung bezüglich des Luna im „Troubadour“ gemacht (was vielleicht eine zu „junge“ Rolle wäre, aber es ist noch nicht so weit) – keine Frage, Domingo hat im neuen Fach noch einiges vor, Verdi hat bekanntlich prachtvolle Bariton-Rollen geschrieben…

Wie den Simon Boccanegra, den Dogen von Genua, den er mittlerweile schon „überall“ – sprich: an den großen Opernhäusern – gesungen hat, denn Domingo ist auch (und das macht ihn gleichfalls nicht beliebt) ein Mediengenie, ein Künstler der eigenen Vermarktung. Kein großes Opernhaus, das sich nicht darum „reißt“, ihn in seinen Rollen live zu präsentieren. Ebenso auf Tonträgern: So, wie er in „Carmen“ oder in „Tosca“ in zwei verschiedenen Produktionen auf DVD käuflich zu erwerben war, so gibt es nun nicht weniger als dreimal „Boccanegra“. Die Firmen, die dies vertreiben, wissen ja auch, was sie tun: Domingo sells…

Das ist aber einzig und allein auf die Qualität zurück zu führen, die er bietet. Blinde und taube Fans mag es in anderen Musik-Welten geben, kaum in der Oper. Zudem sorgt Domingo nicht nur für seine eigene Leistung, sondern auch dafür, sich innerhalb eines Qualitäts-Ambientes zu bewegen wie in dieser „Scala“-Aufführung von 2010. Der Käufer geht also gewissermaßen kein Risiko ein.

Die Inszenierung von Federico Tiezzi ist historisierend, aber nicht überladen, auf italienische Art nobel (sie haben ja nun auch die besten Designer). Anja Harteros mag für die Amelia Grimaldi nicht wirklich geboren sein, aber sie ist eine wunderbare Bühnenpersönlichkeit, kein junges Mädchen, eine schöne junge Frau mit voller weiblicher Stimme, die sie auch zur Zartheit dieser Partie reduzieren kann, wenngleich ihr gelegentlich die eine oder andere Höhenschärfe in den Hals kommt. Fabio Sartori zählt nicht zu den absoluten Spitzentenören, dazu gehört in unseren optischen Zeiten auch das „tenorale“ Liebhaber.Aussehen, das er als etwas behäbiger mittelalterlicher Herr nicht mitbringt, aber er ist akustisch überzeugend. Es scheint kaum einen anderen Jacopo Fiesco zu geben als Ferruccio Furlanetto, und wie auch nicht, er ist vorzüglich. Ebenso wie Daniel Barenboim am Orchesterpult, der Musik gefühlvoll nachgehend und sie formend.

Bleibt der Mann, um dessentwillen all dies aufgeboten ist: Plácido Domingo ist natürlich kein echter, genuiner Bariton, aber er hatte immer die breite Mittellage, so dass er sich in der Tessitura dieser Rollen wohl fühlen kann. Auch bei seinen Live-Auftritten als Boccanegra konnte man (so wie in dieser Aufzeichnung aus Mailand, die auch live erfolgte) bemerken, dass er besonders im Vorspiel versuchte, die Stimme technisch „nachzudunkeln“, er aber im Eifer des Abends darauf vergisst und dann eben vertraut wie „Domingo“ klingt. Und da er trotz seines Alters noch über die Kraft verfügt, ohne die man den Boccanegra nicht singen kann, schmilzt das alles mit dem Einsatz seiner Persönlichkeit zu einer überaus eindrucksvollen Figur zusammen.

Renate Wagner

 

 

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