Siegfried Wagner:
AN ALLEM IST HÜTCHEN SCHULD!
Aufgenommen im Oktober 2015 in Bochum
1 DVD
MARCO POLO / Naxos
Zu einer DVD wie dieser greift man aus blanker Neugierde. Siegfried Wagner (1869-1930), das ist der „Sohn“, der es nicht geschafft hat. Der in die Fußstapfen des Vaters treten wollte und, ja, auch Opern geschrieben hat – vergeblich. Ist er anders denn als „Sohn“ bekannt? Hat man von ihm einen Titel im Ohr? Ja, „Der Bärenhäuter“, davon hat man gehört (obwohl man auch dazu nichts Genaues zu sagen wüsste). Und was soll „An allem ist Hütchen schuld“ heißen – was, ehrlich gestanden, ein wenig alberner Titel ist? Eine Erich-Kästner-Kinderoper vielleicht (weil es doch dort in „Emil und die Detektive“ ein Ponyhütchen gibt? Aber das ginge sich zeitmäßig nicht aus, schließlich ist Wagners Oper schon 1917 Stuttgart uraufgeführt worden…) Kurz, man ist neugierig.
Man hat auf DVD eine Aufführung vor sich, die 2015 live in Bochum stattgefunden hat, und das nicht in einem Theater, sondern im AudiMax der dortigen Ruhr-Universität. Vorne eine Art „Bühnenraum“, dahinter auf gleicher Ebene das reich besetzte Orchester, ganz im Hintergrund eine Riesenleinwand, die fast permanent für Projektionen genützt wird. „Armes Theater“ nennt es der Regisseur, und es ist sicher billiger, ein Computerprogramm erstellen zu lassen, als die Dinge „in echt“ auf die Bühne zu bringen.
Es handelt sich ja bei den ganzen Unternehmen eindeutig um ein Stück Privatinitiative – Peter P. Pachl, Jahrgang 1953 (es muss etwas für ihn bedeuten, dass er in Bayreuth geboren wurde), ist heutzutage fast der Einzige, der sich unerschütterlich als Regisseur und Produzent für diesen Siegfried Wagner einsetzt, über den er auch eine Biographie (mit dem Untertitel „Genie im Schatten“) geschrieben hat. Das von ihm initiierte „piano-pianissimo Musiktheater“ steht hinter dieser Produktion, zu der er die Bochumer Symphoniker und den Sonderchor der Ruhr-Universität heranziehen konnte. Immerhin hat er für sein Unternehmen, das offenbar nur eine Aufführung erlebte (Spieldauer des Werks: knapp zweidreiviertel Stunden), einige Beachtung in der Presse gefunden, offenbar ein Publikum – und nun die Möglichkeit, Siegfried Wagner per DVD weiter zu verbreiten.
Ein Mann vor dem Orchester blättert in Büchern, „Märchen“ steht auf einem (später erfahren wir, dass er Siegfried Wagner sein soll). Ein kleines rotmütziges Geschöpf läuft herum. Im Hintergrund wechseln die Projektionen. Eine der ersten gilt dem bekannten Doppel-Denkmal der Brüder Grimm. Ja, das hat man nachgelesen – an die 40 Märchen der beiden hat Siegfried Wagner benützt („zusammengebraut“, nennt es Peter P.Pachl), um Elemente daraus in sein Werk zu kompilieren. Emsige Forscher haben weitere Märchen und Motive nachgewiesen. Keine Chance, etwas genau zu erkennen, zumal es sich keinesfalls um die bekanntesten Grimm-Schöpfungen handelt – Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, Die sieben Raben, Tischchen deck dich, Rapunzel sind noch die bekanntesten.
„Der Frieder und das Katherlieschen“ aus einem Grimm-Märchen stehen als Paar im Zentrum der bunten, wurligen Geschichte, bei der es nicht darauf ankommt, dass man wirklich immer weiß, was passiert… Wahrscheinlich ist der Kobold namens „Hütchen“ an allem schuld, indem er alles durcheinander bringt. Und weil alles wirklich durch und durch ironisch gemeint ist, sind Siegfried Wagner und Jacob Grimm (letzterer bewegt als Statue den Mund, die Sprache steuert der Regisseur bei) noch ganz kurz als Mitspieler Figuren vorgesehen und diskutieren gegen Ende, ob man so etwas überhaupt darf…
Man darf. Die Aufführung – optisch ein wenig Fetzenkarneval, logistisch frech und unbekümmert und im Ganzen recht lustig – mag nun nicht als Meisterstück gelten (wenn jemand mit reichlich Mitteln an Geld und Phantasie sich damit befasste, könnte das eine herrliche Sache werden), aber jedenfalls macht die Musik nachdrücklich auf sich aufmerksam. Sie klingt feingliedrig, geradeaus romantisch und – ein wenig nach Wagner. Wie auch nicht. Einerseits läuft da einer vor dem Papa und seiner Bombastik davon, indem er etwas anderes machen will. Andererseits parodiert er ihn lächelnd. Die Bochumer Symphoniker realisieren das unter der Leitung von Lionel Friend wirklich schön. Vielleicht ist das, was man akustisch geboten bekommt, für die drei Stunden durchgehend zu lieblich, aber dass dieser Siegfried Wagner ein Könner war, steht außer Zweifel. Er stünde heute vermutlich höher im Kurs, wenn er nicht „der Sohn von…“ wäre, was Vergleiche evoziert, denen niemand stand hielte.
Nur die beiden Hauptrollendarsteller müssen nur „sie selbst“ sein, alle anderen sind in vielen Rollen eingesetzt. Der Frieder wird von Hans-Georg Priese gesungen, der anderswo (meist im deutschen Osten, den es noch immer gibt, wenn es auch glücklicherweise kein anderes Land mehr ist) auch als Tannhäuser und Parsifal, Max und Florestan unterwegs ist, die Rolle fällt ihm also nicht zu schwer. Sein, Katherlies’chen, Rebecca Broberg, ist eine hübsche Amerikanerin mit Wagner-Repertoire und klaren Höhen. Als Hütchen springt fröhlich ein 11jähriger Junge (Alexander Lueg) herum, die Singstimme leiht ihm Laura Lietzmann.
Eine DVD, die Lust macht auf ein bisschen Siegfried Wagner. Er könnte das „Repertoire unbekannter Werke“ sicherlich hübsch aufputzen.
Renate Wagner