DVD
Richard Wagner
PARSIFAL
Teatro Massimo di Palermo, 2020
Unitel / C najor, 2 DVDs
Die Opernwelt Italiens besteht nicht nur aus der Mailänder Scala, auch Häuser wie das Fenice in Venedig, das San Carlo in Neapel, das Carlo Felice in Genua, das Teatro dell’Opera di Roma, das Teatro Regio Torino, das Teatro Comunale di Bologna und, nicht zuletzt, eines der räumlich größten Theater des Landes, das Teatro Massimo in Palermo, bieten immer wieder beeindruckende Produktionen. Viele werden auch auf DVD ( Bluray für die Nachwelt überliefert, darunter die aufregend schräge sizilianische „Parsifal“-Version von 2020. Für den Regisseur Graham Vick war es eine seiner letzten Arbeiten, bevor er 2021 an Covid verstarb. Für den Dirigenten Omer Meir Wellber bedeutete der Abend einen hoch gelungenen Einstand als musikalischer Direktor in Palermo. Daneben ist der umtriebige Dirigent ab Herbst 2022 auch Musikdirektor an der Wiener Volksoper in der kommenden Direktion von Lotte de Beer. Ein viel beschäftigter Mann.
Angesichts der überbordenden Wagner-Interpretationen heutiger Regisseure, ist man inzwischen gewöhnt, zuerst auf die Inszenierungen zu blicken. Was zeigt Graham Vick zu „Parsifal? Sicher nichts Katholisches, sicher nichts Mittelalterliches, und der Gral per se muss auch nicht vorkommen. Der Vorhang hebt sich in schlichtester Ausstattung über einer Kriegsszenerie – Soldaten, unter denen Gurnemanz so etwas wie der Ausbildner und Anführer dieser Schar zu sein scheint. Dass man sich im Nahen Osten befindet, macht Kundry in einem schwarzen Tschador klar, auch sonst gibt es Kostümhinweise in diese Region. Warum nicht? Erstens ist es bis heute eine aus Fernsehbildern leider vertraute Welt des permanenten Krieges (auch jener der Religionen) – und schließlich war es Jesus-Land, und der Parsifal, der da in der Kapuzenjacke auftaucht, wandelt sich zu einer Art menschlichem Erlöser, der am Ende inmitten einer Schar von Kindern sitzt und mit ihnen plaudert. Der Krieg, der über allem geschwebt hat, scheint zu Ende – eine heutige Wunschversion der Geschichte.
Die Inszenierung stammt vom Jänner 2020, als die Welt noch in jeder Hinsicht in Ordnung schien, weil man von der Pandemie noch nichts wusste. Und der „böse“ Einzelne, wie ihn uns die Geschichte, die Gegenwart seit dem Februar 2022 beschert hat, trug damals noch keine konkreten Züge. Aber bei Klingsor gerät man überzeugend in ein Reich des Bösen, das Zaubergarten und Blumenmädchen ohne einen Hauch von Romantik umsetzt – die Verführung kommt da ausschließlich aus fabelhaft gesponnenen Orchesterklängen.
Die Inszenierung von Graham Vick, die diffus und im Gesamteindruck dennoch einheitlich ist, arbeitet mit herausfordernden, provokanten Bildern – ein Amfortas mit Dornenkrone, fast nackt, eindeutig ein Christus am Kreuz; „Zum Raum wird hier die Zeit“ wird durch ein faszinierendes Schattenspiel von Figuren im Hintergrund imaginiert; unheimlich wie in einem Horrorfilm erscheint Kundry Parsifal zuerst als Kopf, der sich aus dem Sand erhebt… und doch hat man nie den Eindruck wie etwa bei der Wiener Inszenierung von Kirill Serebrennikov, es gehe nur um inszenatorische Willkürakte, wo im damals konkreten Fall ein Regisseur seine privaten Gefängniserfahrungen ohne Zusammenhang zum Werk ausgelebt hat. Vielleicht, weil Graham Vick eine erkennbare, spürbar leidende, zerstörte Welt von heute kreiert, die er wieder zusammen setzt – im Sinne Wagners.
Es ist, wie erwähnt, der Abend von Omer Meir Wellber, der alles andere als einen dicken, pastosen Wagner bietet, es aber schafft, den schlanken Klang, den er erzeugt, an den notwendigen Stellen so expressiv aufzuheizen wie nötig. Er führt ungemein differenziert durch das Riesenwerk, immer den Nuancen auf der Spur.
Julian Hubbard, zwar viel gelobt in der Titelrolle, überzeugt als (wenn auch nicht mehr jugendlicher) Darsteller, weniger gesanglich mit einer doch sehr unebenen Stimme. Die Französin Catherine Hunold, gesanglich solide (aber nicht mehr), ist im Tschador überzeugender als im Abendkleid. Im Vergleich zu den Hauptdarstellern beeindrucken die dunklen Stimmen mehr, allen voran John Relyea als vergleichsweise junger, im ersten Akt spannungsgeladener Gurnemanz, im letzten Akt denn spürbar auf gealtert geschminkt und gespielt. Ausdrucksvoll auch Tómas Tómasson als Amfortas und, auf andere Weise, Thomas Gazheli als fraglos dämonischer Klingsor.
Alles in allem steht diese Produktion vor allem in der Inszenierung und der musikalischen Leitung würdig in der Reihe der vorhandenen „Parsifal“-Aufnahmen. Für Opernfreunde, die sich nicht nur für Sänger, sondern auch Inszenierungen interessieren, ist es einer der diskussionswürdigsten Beiträge zu dem Versuch, sich „Parsifal“ mit heutigen Augen zu nähern. Wagnerianer, die – aus ihrer Sicht zu Recht – an jedem originalen Detail des Werks hängen, werden allerdings nicht ganz glücklich sein.
Renate Wagner