DVD
Vincenzo Bellini:
NORMA
Metropolitan Opera 2017
2 DVDs / Erato, Warner Classics
Von den zehn Opern, die Vincenzo Bellini (1801-1835) in seinem allzu kurzen Leben schrieb, haben nur vier (I Capuleti e i Montecchi / La sonnambula / Norma / I puritani) einen einigermaßen festen Platz in den Opernhäusern der Welt. Und unter ihnen ist „Norma“ die berühmteste, und das zu Recht. Ein wirklich spannendes Star-Vehikel, das eine hoch dramatische, tragische Dreiecksgeschichte in eine Handlung um kulturelle und religiöse Feindschaft einbettet. Und drei Sängern gleicherweise alles bietet und abverlangt. Man muss das Werk nur besetzen können.
Die Metropolitan Opera in New York konnte es zu Saisonbeginn 2017/18, obwohl Anna Netrebko völlig unverständlich die Rolle der Norma zurückgelegt hatte, die ihr perfekt in die Kehle passen müsste. Aber die Met hat Sondra Radvanovsky als hauseigenen Star für alle dramatischen Rollen, sie hat in Joyce DiDonato ihren Welt-Mezzo, der mehr kann als nur Rossini komisch perlen zu lassen, und sie hat in Joseph Calleja einen Tenor mit einer der schönsten Stimmen weltweit. Der Erfolg war programmiert und stellte sich auch ein.
Wenn die Betrachtung der DVD, die auf der Live-Übertragung beruht, kleine Einwände evoziert, so schmälern sie doch nicht den großen Gesamteindruck. Freilich, Regisseur David McVicar ist der Gottseibeiuns aller Regietheaterfans, weil er lieber ein Werk in seiner Welt umsetzt, als sich mit „Ideen“ welcher Art auch immer ins Feuilleton einzuschreiben. Also spielt die Geschichte aus den gallischen Wäldern, mit den Druiden und ihren Priestern und den römischen Besatzern – in Wäldern. Und am Ende zündet der „Feuertod“ quasi die ganze Bühne an. Das ist vielleicht Theater von gestern, aber auch das Stück.
Nur die Kostüme sind nicht ganz so schmuck wie sonst in konventionellen Inszenierungen: Hier tritt Norma nicht im stolzen Priesterinnen-Habitus auf, sondern im schlichten Gewand und mit wildem Haar, fast verwirrte Hexe; und wie Joyce DiDonato es geschafft hat, ihren blonden Kurzhaarschnitt für die gallischen Wälder durchzusetzen… aber das sind Nebensachen. Am ehesten stört noch, dass die klare Inszenierung, die die Geschichte erzählt und nichts darüber hinaus oder dahinter, konsequent ein bisschen düster gehalten ist. Das ermüdet die Augen, auch wenn die Met-Übertragungen traditionell fabelhaft geschnitten sind und immer wieder die Hauptdarsteller so in den Fokus rücken, dass kein Platz im Theater bessere Sicht auf das Geschehen liefern könnte.
Aus den düsteren Wäldern des Beginns strahlt bald die Stimme des Tenors hervor: Es ist Joseph Calleja als der römische Feldherr Pollione. Calleja, der Mann mit dem besonders schönen Timbre, der strahlenden, „goldenen“ Höhe. Nur ein gelegentliches leichtes Tremolo hat sich im Lauf der Jahre eingeschlichen, mindert den Eindruck einer prächtigen Stimme aber nicht. Ein gestandener Römer bricht nicht ein, wenn er ein Problem mit zwei Frauen hat, mit Norma, die ihm immerhin zwei Kinder geschenkt hat, und Adalgisa, die ihm nun besser gefällt. Verantwortungslos, aber am Ende, in dem ergreifenden Duett mit Norma, wird er ganz wunderbar lyrisch, ganz der liebende Mann.
Sondra Radvanovsky hat nicht mehr die frischeste Stimme, sie schafft die „schreckliche“ Ruhe und Langsamkeit, die Bellini ihr in der „Casta Diva“-Arie abverlangt, nicht fleckenlos, aber sie setzt sich und ihre Stimme mit schonungsloser Dramatik ein und fängt so das Publikum mit ihrer Leistung. Joyce DiDonato steht ihr an Intensität um nichts nach, macht zerrissene Gefühle zwischen der Liebe zu Pollione und der Loyalität und Zuneigung zu Norma geradezu greifbar. Auch das Duett der beiden Frauen ist ein Höhepunkt.
Dazu hat die Met eine wirklich gute Besetzung der Nebenrollen zu bieten, den vorzüglichen Chor und in Carlo Rizzi einen Dirigenten, der in erster Linie ein guter Begleiter und ein sehr ordentlicher Gestalter ist. Langweilig ist diese durch ihre Interpreten vibrierende „Norma“ keine Sekunde lang.
Renate Wagner
Foto: Metropolitan Opera
Vincenzo Bellini:
NORMA
Metropolitan Opera New York, September 2017
Sondra Radvanovsky … Norma
Joyce DiDonato … Adalgisa
Joseph Calleja … Pollione
Matthew Rose … Oroveso
Michelle Bradley … Clotilde
Adam Diegel … Flavio
David McVicar … Regie
Robert Jones … Bühnenbild
Moritz Junge … Kostüme
Carlo Rizzi … Dirigent
Metropolitan Opera Orchestra
Metropolitan Opera Chorus