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DUISBURG: TURANDOT. Premiere

06.12.2015 | Oper

DUISBURG: TURANDOT        Premiere am 5. Dezember 2015

Die Deutsche Oper am Rhein stellt den Regisseur HUAN-HSIUNG LI wie folgt vor: „Eine der aktivsten und einflussreichsten Theatermacher in Taiwan. Er gehörte zu den Gründern zahlreicher Theatergruppen und war in der taiwanesischen Avantgarde für sein Talent und seine Vorstellungskraft bekannt. Seine expressive Bildsprache machte ihn zu einem der bedeutendsten Vertreter der Theaterbewegung in Taiwan. In der Oper hat er bereits Bellinis „Norma“ und Wagners „Ring“ inszeniert. Diese Produktionen wurde beim Taiwan International Festival of Arts aufgeführt.“ Der noch recht jung wirkende Huan-Hsiung Li gab jetzt mit „Turandot“ sein Europadebüt. Die Produktion entstand (DOR-Pressemitteilung) “als Koproduktion mit dem Wei-Wu-Ying Center for the Arts in Kaohsiung, Taiwan, das in der Hafenmetropole im Süden Taiwans als hochmodernes Kulturzentrum für mehr als 6.000 Opern-, Theater- und Konzertbesucher entsteht und 2017 mit der ‚Turandot‘ der Deutschen Oper am Rhein eröffnet werden soll.“ Da sich das Duisburger Publikum rundum erfreut zeigte, ist wohl die die Empfehlung hinfällig, man möge die Produktion noch einmal gründlich überarbeiten.

Im Programmheft äußert Huan-Hsiung Li über das Werk und seine Arbeit daran Kluges und Halbkluges, aber auch Nichtiges. Grundsätzlich darf man in ihm einen politischen Kopf vermuten. Er lässt die „Turandot“-Geschehnisse durch eine junge Frau von heute nacherleben. Großstadtprojektionen werden noch vor Musikbeginn auf den Rundhorizont geworfen. Der Regisseur spielt offenkundig auf einen Regenschirm-Protest in Honkong 2014 an. Also trägt der statische postierte (und bestens singende) Chor solche, spannt sie mal auf, dreht sie oder macht Geräusche mit ihnen. Das wirkt ganz niedlich, aber als politische Anspielung erschließt sich das Ganze nicht. Und wer liest schon vor eine Aufführung konsequent alle infrage kommenden Textbeiträge zu interpretatorischen Entscheidungen?

Dass die Videos von JUN-JIEH WANG „Tintezeichnungen und chinesische Kalligraphie“ (so Huan-Hsiung Li) vermischen wollen, hat man aber vielleicht mitbekommen. Doch was soll’s? Ständig werden Hänger vom Schnürboden herunter gelassen, auf denen sich der Designer mit seinem Stilmix austoben darf. Reizvoll vielleicht beim ersten Sehen, dann aber nur noch nervend. Die Bühne von Jo-Shan Liang bleibt sich gleich: Laubsägeartige Stadtsilhouette als Hintergrund, Gehschräge in der Bühnenmitte. Zweimal wird ein stufiges Podest herein- und wieder herausgefahren. Welch banaler Einfall. Ein starker Blickfang hingegen ist die Kostümkollektion von HSUAN-WU LAI, stilistisch eine Reise durch Zeitläufte.

Puccinis Oper heißt nicht „China im Aufbruch“, sondern „Turandot“. Da geht es – zusätzliche Assoziationen in Ehren – um ein durch historische Familienschicksale traumatisierte Frau, die zur Liebe nicht (mehr) fähig ist und sich und ihre von der Männerwelt delierisch begehrte Schönheit wie hinter Panzerglas verbarrikadiert. Auf diese emotional gespaltene Figur sollte sich (wenigstens ansatzweise) das Augenmerk einer Inszenierung richten. Nichts davon auf der Duisburger Bühne der Deutschen Oper am Rhein. Was Huan-Hsiung Li der Titelrollensängerin LINDA WATSON abverlangt, ließe sich mit einem „Lohengrin“-Zitat umschreiben: „Gesegnet soll sie schreiten“. Turandot schreitet gesegnet und gemessen, wogt hier und da ihre rote Robe hin und her, präsentiert eine eingefrorene Mimik. Dass sich diese frustrierte Frau von Kalaf zuguterletzt (gleich zwei Mal) küssen lässt, möchte man nicht glauben, sähe man es nicht (relativ unbeholfen) angedeutet. Über inszenatorische Defizite könnte man via Leporellos Register-Arie noch ins Unendliche gehen. Ein summarisches Wort mag genügen: szenischer Totalausfall. Das Premierenpublikum jedoch fand alles, wie bereits erwähnt, wonniglich.

Punkte sammeln vermag die Aufführung immerhin im Musikalischen, auch wenn AXEL KOBER in punkto Präzision zumindest im 2. Akt Wünsche offen lässt. Aber das ist vielleicht der Abendform zuzuschreiben. Grundsätzlich hält der Dirigent eine gute Balance zwischen hymnische Exaltation und lyrischen Piano-Gespinsten.

Der Liù-Sopran von BRIGITTA KELE klingt nicht direkt seraphisch, aber doch fein getönt. Ihr kurzer Einwurf in der Rätselszene war übrigens gestrichen oder nicht zu hören. Gut der Timur SAMI LUTTINENs und der Altoum BRUCE RANKINs, ganz erstklassig das Minister-Trio (BOGDAN BACIIU, FLORIAN SIMPSON, CORNEL FREY).

Ja – und dann die Protagonisten. ZORAN TODOROVICH zeigt als Kalaf tenorale Power und nochmals Power, dehnt diese bis in den eitel lang gehaltenen Schlusston von „Nessun dorma“ hinein. Das Turandot-Debüt von  LINDA WATSON ist ein quasi herbstliches : die Töne stimmen, besitzen auch Durchschlagskraft, klingen aber oft über Gebühr geschärft, ohne wirkliche dramatische Rundung. Und darstellerische Passivität (vermutlich aufoktroyiert) drückt zusätzlich auf das nicht ganz problemlos bewältigte Rollenporträt.

Christoph Zimmermann

 

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