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Düsseldorf/Deutsche Oper am Rhein: „Schade, daß sie eine Hure war“/Anno Schreier 8.3.2019 UA
„Schade, daß sie eine Hure war“ (‚Tis pity she’s a whore“) ist der vielleicht etwas reißerische Titel des Dramas von John Ford, eines Zeitgenossen Shakespeares, der jetzt wieder langsam der Vergessenheit entrissen wird. Er war im Gegensatz zu dem Unsterblichen sicher kein Vielschreiber, sondern widmete sich als Jurist der Schriftstellerei als Nebenbeschäftigung und man geht davon aus, daß er ‚Romeo & Julia‘ kannte. Seine bizarre Story der ‚Hure‘, die aber nicht seine einzige blieb, spielt sich im Parma der Renaissance ab. Im Drama Fords lieben sich die Geschwister Annabella und Giovanni leidenschaftlich, im Libretto von Kerstin Marie Pöhler sind es sogar Zwillingsgeschwister (das nicht zu unterschreitende Opernlevel). Der Komponist Anno Schreier (geb.1979) wollte mit Pöhler ein englisches Drama aus dem frühen 17.Jahrhundert bearbeiten, und ihn reizte der Tabubruch nicht nur der Hauptprotagonisten. Dazu kommen die in der Renaissance üblichen Giftmorde. Insofern konnte man ein spektakuläres von Todesgrauen durchsetztes Musikdrama erwarten. Dies war aber weitgehend nicht der Fall. Schreiers in dieser Oper überwiegend tonale Schreibweise verweilt gern auch in volkstümlichen Genreszenen, die er bildreich und farbig plakatiert. Nur selten kommen dissonante musikalische Gänsehaut-Eruptionen vor. Insofern könnte man vielleicht eher von einer modernen ‚Spieloper‘ mit ein paar Mordszenen als von einem krudelen Renaissance-Drama reden.
Zu Annabellas weiteren Verehrern zählen der Edelmann Soranzo, der römische Soldat Grimaldi und der angebliche Arzt Richardetto, dessen Nichte Philotis den Bürger Bergetto heiraten will. Ihn trifft der vergiftete Degen Grimaldis, da er ihn für seinen Nebenbuhler Soranzo hält, der mit Annabella gezwungenermaßen die Ehe eingeht, da diese von Giovanni geschwängert wurde. Bergetto stirbt larmoyant, und der Mönch segnet nun, anstatt seinen Ehebund mit Philotis, die Ehe Annabella – Soranzo. Hippolita, die Exgeliebte Soranzos und vormalige Gemahlin Richardettos soll sich an Soranzo rächen, indem sie ihm vergifteten Wein zum Tank reicht. Der Diener Soranzos Vasquez credenzt ihn aber der Hippolita selber, die stirbt. Dann entlockt er noch Putana , der Amme Annabellas, den Namen des Kindvaters, und so erfährt Soranzo von Annabellas besonders gearteter Schwangerschaft. Die Zwillingsgeschwister sehen sich ein letztes Mal in einem tödlichen Rausch. Giovanni bringt Soranzo um und findet selbst mit dem herausgeschnittenen Herzen Annabellas den Tod.
Die Inszenierung David Hermanns findet in verschiedenen teils konträren Bühnenelementen auf der Drehbühne statt (Jo Schramm). Szene um Szene sind schnell verbunden, und es kommt zu keinem Stillstand. Szenen mit parmensischen Stadthäusern (Ankunft des angeblichen Arztes mit seiner Nichte in einer selbstfahrenden stilisierten Kutsche) oder eine Seitenkapelle mit Rundbogenfenstern (Trauung, Gespräch Giovannis mit dem Mönch) kontrastieren mit Szenen, die an klassizistische Gebäude oder Tempel mit Vorhängen erinnern, vor denen sich z.B. der Disput Soranzos mit seiner „abgelegten“ Geliebten abspielen oder der „Todesrausch“ am Ende, wo sich Giovanni & Annabella in erhöhter Position die Haut an Armen und Hals aufschneiden. Der Clou sind aber Szenen, in denen ein baumgroßer Fliegenpilz auftaucht, der nachher umgefallen ist, auf dem Annabella einmal wie auf einem Karussell erscheint und von Giovanni angeschmachtet wird.
Die Düsseldorfer Symphoniker bringen die vielgestaltige und tolle Musik Schreiers zu schönstem bis zu berstendem Klingen und werden von Lukas Beikircher dabei bestens angeleitet, der auch die alten Idioms zu neuem brillantem Klingen bringt. Der Chor hat besonders beim Hochzeitsfest prächtige und auch intrikate Aufgaben, die er klanglich souverän lösen kann (E.: Patrick Francis Chestnut).
Putana singt Susan Maclean, vielleicht unterbesetzt, mit angenehmem Mezzo. Der voluminöse Baß Sami Luttinen, mit Mafiosi-Sonnenbrille, gibt den oberintriganten Diener Soranzos. Die Philotis wird von Paula Iancic mit ansprechendem, auch neckischem Koloraturen gezeichnet. Die Hippolita der Sarah Ferede ist ein eher trauriger Mezzo, der ja auch als Frau ganz schlecht wegkommt. Insofern setzt sie die Stimme meist räsonierend ein. Der Richardetto des David Jersusalem stellt bassal einen soignierten Herrn im grauen Gehrock vor. (Die abwechslungsreichen bunten Kostüme stammen von Michaela Barth.) Den Bürger Parmas Bergetto stellt Florian Simson in weißem Rokoko-Outfit mit hochgetönter Frisur wie Lessing dar. Er besingt mit schönstimmigen Schmelztenor sein von Liebe gekröntes plötzliches Ende. Den Soldat Grimaldi in grünem Waffenrock und langer Mähne gibt tenoral Sergej Khomov. Im heutigen Straßenanzug erscheint dagegen satt gesungen der slowakische Bariton Richard Sveda als Soranzo. Bogdan Talos gibt mit bassalem Applomb den Mönch, während der kaum handelnde Baßbariton Günes Gürle für den Vater Florio zuständig ist. Der Tenor Jussi Myllys singt den verliebten und eifersüchtigen Giovanni mit feinem Flair jugendlich schlank und gewaltbereit. Seine Schwester spielt Lavinia Dames adrett und zielbewußt, in dieser Aufführung aber von dem Koloratursopran Elena Fink mit großem vokalem Farbenspektrum eindringlich gesungen.
Friedeon Rosén