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DÜSSELDORF/ Deutsche Oper am Rhein: DON PASQUALE

01.05.2017 | Oper

29.4.  2017 DON PASQUALE

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf

 Eine während der Probenzeit schon viel beachtete Neuinszenierung von Donizettis „Don Pasquale“ hatte  am 29.4. ihre Premiere an der Rheinoper in Düsseldorf. Die Aufmerksamkeit galt vorwiegend dem Regisseur Rolando Villazón, der in diesen Tagen auch seinen zweiten Roman „Lebenskünstler“ der Öffentlichkeit präsentierte und seine vielfältigen Talente exzessiv auslebt. Seine sechste Regiearbeit galt also dem „Don Pasquale“, einer im besten Sinn unterhaltsamen  Oper, die ihre Spannung  zum Teil aus abrupten Stimmungswechseln gewinnt, wenn die Komödie zur Tragödie wird oder das böse Spiel der Liebesromantik weicht.  Rolando Villazón hat diese Mixtur potenziert. In einem Wirbel aus intelligentem Witz und poetisch-verrückten Einfällen  wechselt seine Szene  von einer commedia dell´arte  zur opera buffa,  zeigt die menschliche Boshaftigkeit und  den echten Kummer eines jungen Mannes, der mit dem Erbe des Onkels auch die Geliebte verliert, erspürt die Tragödie eines alten Mannes, der noch einmal die Liebe erleben will und entsetzlich getäuscht wird.

In einem gelungenen Zusammenspiel von Dirigent (der junge Nicholas Carter überzeugt mit leichter, doch exakter Hand) und Regisseur werden auch die von Donizetti so charmant verflochtenen Stilelemente  zelebriert, die italienisches Melos mit sprühenden französischen Rhythmen der opéra comique  verbinden und einen Hauch von Wiener Walzer mit kunstvollen Koloraturen, welche nicht nur hörbar sind, sondern in dieser Vorstellung auch in Szene gesetzt wurden. Und wer lehnt sich nicht genussvoll zurück, wenn in der Ouverture  ein Solocello die unsterbliche Melodie der Serenade  com´è gentil, la notte in mezzo april anstimmt.

Ich dachte vor dieser Premiere, dass  die Inszenierung von Otto Schenk an der New Yorker Met mit einer hinreißenden Anna Netrebko nicht zu überbieten ist und wahrscheinlich kein Regisseur die Bilder des dicken, ungewaschenen Don Pasquale mit einem Anflug von Parkinson`schem Zittern aus dem Kopf kriegen wird, aber zu meiner Verblüffung ist es Rolando Villazón gelungen, diese Oper wirklich  n e u  zu inszenieren. Die Charaktere sind die von Donizetti, aber sie leben in einer anderen Zeit –  nicht in Rom, sondern in Paris. Durch ein Fenster schaut Sacre Coeur in das Haus von Don Pasquale (Bühnenbild vom wunderbaren Johannes Leiacker). Es sind die frühen 1970-er Jahre, in denen die Kunst nicht mehr vom Können kommt, wie R. Villazón in seinem Beitrag zum Programmheft schreibt, und „Künstler mit scheinbar oberflächlichen Themen und Bildern spielen“,  sich die Straße erobern und  eine PopArt-Bewegung entwickeln, die mit einem gesellschaftlichen Aufbruch, einer sexuellen Revolution einhergeht.
Lucio Gallo ist mit seinem eleganten Bass, den herrlichen Parlandi und  con bella figura  ein ältlicher, geiziger, stockkonservativer Kunstsammler, der mit riesigen goldgerahmten „Schinken“ vergangener Jahrhunderte an den Wänden lebt. In roter Cordhose mit gelber Weste, später in auffallend kariertem Anzug, zeigt er aber doch seine Lust, mit der Zeit zu gehen, obwohl Anfälle von Ischias das Alter schmerzhaft spüren lassen

Sein Neffe Ernesto ist ein junger Maler, schlampig und farbbespritzt gekleidet, offenbar erfolglos, aber ein Künstler voll Liebe. Der 27-jährige Rumäne Ioan Hotea ist sehr sympathisch, hat eine kräftige hohe Stimme, aber er muss noch viel an Legatokultur und Pianogesang lernen.
Norina ist die junge spanische Sopranistin Elena Sancho Pereg,  Nachwuchssängerin des Jahres 2015.   Ihre Stimme erreicht die höchsten Höhen und ihren Koloraturen hört man die Arbeit nicht an, die darin steckt. Sie  passt mit ihrer sehr schlanken Figur wunderbar in die Minikleider der 1970-er Jahre, ist eher keckes Mädchen als junge raffinierte Witwe. Jedenfalls verändert der Regisseur den Typus seiner Sänger nicht, kleine Anpassungen der Rolle an das, was vorhanden ist, geben dieser Oper immer wieder neue Momente. Vor allem hat sich Rolando Villazón der von Donizetti ein wenig schwach gestalteten Secco-Rezitative angenommen. Die dürfen bei diesem Regisseur und Sänger nicht „opernmäßig“ gebracht werden, hier ist Natürlichkeit Trumpf. Es werden kleine Ausrufe der Überraschung, des Ärgers eingebaut, die Tempi dem Inhalt angepasst und der schöne Fluss des Italienischen strömt weich vom Rezitativ in die Arie.

Der für mich überzeugendste Sänger des Abends war Mario Cassi als Doktor Malatesta. Obwohl er erst zwei Tage vor der Premiere für den erkrankten Dmitri Vargin eingesprungen ist, war er in dieser wirklich nicht einfachen Inszenierung ein überzeugender Spielleiter im bösen Teil der Komödie, aber doch ein warmherziger Freund des liebenden Paares. Ich bewunderte sein Spiel im Duettt mit Norina, seine schöne Stimme im Dialog mit Don Pasquale und seinen beweglichen Bariton im berühmten Rache-Schnatter-Duett cheti, cheti immantinente… Beide Sänger können im rasenden Tempo immer noch artikulieren und hinken dem Orchester in keinem Moment nach.

Verblüffend und sehr unterhaltsam an dieser Inszenierung war, dass Rolando Villazón aus einem Kammerspiel bewegte Oper gemacht hat. Es wurden viele Figuren mehr auf die Bühne gebracht, als das Libretto vorsieht. Ein Stubenmädchen ist ständig mit Staubwedel unterwegs, um die barocken Goldrahmen im Salon von Don Pasquale zu reinigen, in der kleinen Bar, nachgebildet Edward Hoppers „Nighthawk Bar“, in der Norina ihre Rolle als schüchterne Braut von Don Pasquale  probt, fahren Kellner auf Rollschuhen von Tisch zu Tisch. Hier sitzen Hippies, NewAge-Adepten, Esoteriker und PopArt Künstler, ein Junkie wankt durch den Raum. Auch  Krishna-Jünger sind da, falten die Hände oder heben die Finger zum Hare Rama – Hare Krishna-Zeichen. Der Guru wird später zum falschen Notar, der das ungleiche Paar scheinbar traut, sitzt mit gekreuzten Beinen am Boden und spielt auf der Schreibmaschine, als wäre sie ein Cembalo.
Daniel Djambazian ist der überzeugende Komödiant dieser Szene. Die Choristen im dritten Akt sind nicht  Diener der neuen Herrin, sondern „fein“ gekleidete Menschen einer „Seitenblicke“-Gesellschaft, welche die ungewohnte Großzügigkeit des Hauses genießen. Der Chor der Deutschen Oper am Rhein singt ein exaktes und mit Humor gewürztes che interminabile andirivieni.
Norina  als PopArt-Muse verbannt die alten Ölgemälde,  braucht keine Juwelen, die neue Kunst hält Einzug in Don Pasquales Salon. Bilder von Andy Warhol, Keith Haring & Co. erschüttern und erzürnen den konservativen Kunstsammler. Die Nachbildung einer der monströsen Frauenfiguren von Niki de St.Phalle wird lebendig und hüpft mit Seitschritt wie einer der Madagaskar-Lemuren über die Bühne. 
Entzückende Einfälle der Regie sind die Füller der Umbaupausen, kleine Sketches, die vor dem Vorhang gespielt werden:  Ein Polizist, der Wache stehen soll, verschwindet mit seiner Freundin,  die Gruppe von Krishna-Jüngern zieht betend vorbei, ein Mädchen flüchtet vor nackten (nur kein Unmut: Weißes Trikot)  Männern und Frauen, die sie in ein heiter- orgiastisches Spiel ziehen wollen.
Vor allem aber gibt es einen Fassadenkletterer, der in fast allen Szenen seinem diebischen Job nachgeht. Er hat es auf die Bilder von Don Pasquale abgesehen und auf eine kleine Nachbildung der Venus von Milo, an der das Herz von Don Pasquale hängt und die er immer wieder liebkost. Der Dieb im schwarzen Trikot mit zwei Kopfleuchten auf der Stirn wird an Schnüren von der Decke gelassen und pendelt zu Beginn wie ein Riesenglühwürmchen über der Szene. Man sieht sofort, dass hier ein großartiger Akrobat eingesetzt wurde. Seine Beine bewegen sich elegant wie die eines Tänzers, aber auch witzig wie die eines Kraken. Wenn er wieder einmal vergeblich nach einem der Bilder grapscht, gibt es laute Lacher im Publikum. In der letzten Szene, in der Ernesto seine Norina  und  eine Rente von Don Pasquale bekommt, fällt von oben ein weißer schmaler Vorhang, den der nachtschwarze Dieb hinaufklettert und in immer neuen akrobatischen Windungen einen Zuschauer des guten Endes mimt. Dann lässt er sich zu Boden gleiten, nimmt die Kappe ab – und  schüttelt langes blondes Haar aus. Der Akrobat ist eine Frau (Susanne Preissler) –  Don Pasquale, der eben seine unerträgliche Ehefrau losgeworden ist,  entflammt und stürzt sich in das nächste Liebesabenteuer. Die sittlichen Belehrungen, La morale in tutto questo, von Donizettis Librettisten sind vergeblich.  Norina, Ernesto und Malatesta singen ins Leere, denn die Moral von der Geschicht´ ist für Rolando Villazón eine andere. Dass ein alter Mann eine junge Frau liebt, ist für ihn nicht lächerlich. Er schreibt, „…genau wie in der Kunst  Schönheit im Auge des Betrachters liegt, so liegt Liebe in Geist und Körper derer, die sie teilen: Männer lieben Männer, Frauen lieben Frauen, Männer lieben Frauen, alte Menschen lieben junge Menschen – alles ist möglich. Analog dazu können auch in der Kunst Antike und Avantgarde, Klassik und Moderne koexistieren…..“
So stellt R.Villazón im Schlussbild an die dreißig Choristen auf die Bühne, die Frauen als Leonardo da Vincis Mona Lisa, die Männer als Andy Warhol, denn in dieser Inszenierung wird nicht bloß  Don Pasquale mit den Jungen versöhnt, sondern auch die klassische Kunst mit der modernen.

Diese Vorstellung war begeisternd, ein großer Erfolg, es gab standing ovations und den stärksten Applaus für Rolando Villazón.

Was wir in der Wiener Oper schmerzlich vermissen, sind Feiern für alle nach einer Premiere, wie es sie in sehr vielen deutschen Opernhäusern gibt. Es werden Sänger vorgestellt, die noch nicht sehr bekannt sind, man möchte sie ja auch gerne ohne Maske wieder erkennen können. Es gibt kurze oder lange Dankesreden, Freude über eine Vorstellung, schönes Nachklingen eines Erlebnisses.
So war es auch in Düsseldorf. Außergewöhnlich war aber, dass man Rolando Villazón  als Redner erleben durfte, der in seinem nicht ganz perfekten Deutsch den Inhalt der Rede mehr spielte als sprach, seine Bravissimi auf alle regnen ließ  und auch auf Perückenmacher und Statisten nicht vergaß. Das war der komödiantische Abschluss einer Komödie, die ein großer Künstler neu inszeniert hat.

Brigitta Weis

 

 

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