Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DÜSSELDORF/Deutsche Oper am Rhein: „b.41“ – ein sehr bewegender Abend

24.11.2019 | Ballett/Performance

Düsseldorf

Ballettpremiere b.41 mit dem Ballett am Rhein in der Deutschen Oper am Rhein

23.11.2019: b.41.ein sehr bewegender Abend.

Dieser schlichte Titel subsummiert die Nummerierung der Ballettpremieren für das Ballett am Rhein: dieser Premierenabend ist der 41. und somit der letzte in der Ära von Martin Schläpfer vor seinem Wechsel an die Donau um ab September die Leitung des Wiener Staatsballetts zu übernehmen. Dieser vierteilige Ballettabend in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf bringt mit „Cellokonzert“ nicht nur die letzte Uraufführung für Martin Schläpfer und seine Compagnie mit sich – auch zwei anderen bedeutenden Persönlichkeiten des Tanzes ist dieser Abend gewidmet: Jiři Kylián und Martha Graham.  


Jiří Kylián: Forgotten Land – Ensemble FOTO © Gert Weigelt

Begonnen wird mit „Forgotten Land“, das Kylián 1981 für das Stuttgarter Ballett kreiert hat zu Benjamin Brittens Sinfonia da Requiem op. 20. Auf kahler Bühne wird tänzerisch vom Verlassen, von Verlust und vom Vergessen erzählt. Inspiriert zu diesem Stück wurde der Choreograf von der rauen Ostküste Englands – der Heimat des Komponisten, der die Sinfonia da Requiem der Stadt Coventry widmete, die 1940 bei einem deutschen Angriff zerstört wurde. Es entstand eine berührende Auseinandersetzung um Abschied und Gedenken – an Menschen, die nicht mehr sind, an Heimat, die verloren. An diesem Abend gestalteten die 12 Tänzerinnen und Tänzer des Balletts am Rhein eine sensible und überzeugende Umsetzung (Einstudierung: Cora Bos-Kroese und Elke Schepers).


Martha Graham: Lamentation – Camille Andriot FOTO © Gert Weigelt

Nach der Pause dann zwei kurze, aber in eindringlichen Bildern prägnante Piecen von Martha Graham. Erstmals sind damit Kreationen der berühmten amerikanischen Tanzschöpferin in Düsseldorf zu sehen. „Lamentation“ entstand 1930; bei der damaligen Uraufführung war es Martha Graham selbst, die in einen violetten Stoffschlauch gehüllt – nur Kopf, Hände und Füße sind sichtbar – auf einer Bank sitzend, sich in alle Richtungen streckend und windend, unsägliches Leid um die Einsamkeit des Menschen verkörperte.  – diesmal ist es Camille Andriot, die in zu Herzen gehender Intensität ihren tiefen Kummer und ihren Gram spürbar und sichtbar macht – am Flügel einfühlsam von Eduardo Boechat begleitet (Klavierstück op.3 Nr.2 von Zoltán Kodály). Dieses Stück dauert nur fünf Minuten, aber es schwingt im Zuseher lange nach (Einstudierung: Elizabeth Auclair). Einfach und schlicht sind hier die eingesetzten Mittel – auf dunkler Bühne ist nur ein Lichtkegel (Licht: Beverly Emmons) auf die Person auf der Bank gerichtet – doch in dieser Schlichtheit umso ergreifender die Botschaft. Schon zur damaligen Zeit war die Reduktion der Bewegungsfreiheit durch den Stoffschlauch ein Bruch der Konventionen – aber in dieser Zurückgenommenheit des Bewegungsradius steckt im Ausdruck so viel an tiefer Emotion, dass es wohl auch heutzutage niemanden unbeeindruckt lassen kann.


Martha Graham: Steps in the Street – Vivian de Britto Schiller, Feline van Dijken, Gloria Todeschini, Masha Tolstunova, Eleanor Freeman, Alexandra Inculet FOTO © Gert Weigelt

Bekannt für ihre Technik, die vom Körperzentrum ausgehend mit „contraction“ und „release“ arbeitet, hat Martha Graham mit der von ihr entwickelten Tanzästhetik den Tanz maßgeblich beeinflusst. Ein weiteres Charakteristikum sind der strenge Haarknoten im Nacken und die einfachen langen Kleider. Diese Charakteristika finden sich auch in „Steps in the Street“, das 1936 in New York erstmals aufgeführt wurde – als Warnung vor Faschismus und Krieg entstanden, nachdem Martha Graham die Einladung an den Olympischen Spielen in Berlin mitzuwirken aus politischen Gründen abgelehnt hatte. „Steps in the Street“ gehört zu Teil 2 des abendfüllenden Stücks „Chronicle“, das „Dances before Catastrophe“, „Dances after Catastrophe“ sowie „Prelude to Action“  umfasst, aber die einzelnen Unterteilungen auch separat aufgeführt werden so wie hier jetzt. Die 10 Tänzerinnen zeigen in ihrer strengen Haltung geballte Dynamik und starke Ausdruckskraft durch die wechselnden Formationen, Diagonalen und unterschiedlichen Gruppierungen rund um eine zentrale Frauenfigur (sehr präsent: Wun Sze Chan). Auch heute noch hat dieses Werk zu New dance op. 18b von Wallingford Riegger nichts von seiner Eindringlichkeit eingebüßt und ist immer noch aktuell. Aus österreichischer Sicht erfreulich das Wiedersehen mit Masha Tolstunova, die  vom Wiener Staatsballett über das Hamburger Ballett jetzt seit dieser Saison Mitglied im Ballett am Rhein ist.  


Martin Schläpfer: Cellokonzert – Marcos Menha FOTO © Gert Weigelt

Den Abschluss des Abends bildete nach einer weiteren Pause das „Cellokonzert“ (Konzert für Violoncello und Orchester Nr 2 in g-moll von Dmitri Schostakowitsch). Schon vor einigen Jahren hat Violoncellist Nikolaus Trieb diese Komposition Martin Schläpfer für eine Choreografie und damit gemeinsame Aufführung vorgeschlagen, doch erst jetzt war die Zeit dafür gekommen. In dieser letzten Choreografie für sein Ballett am Rhein würdigt er seine Compagnie. Die Bühne liegt im Halbdunkel, interessantes Element am Bühnenhintergrund ist eine eckige Spirale. Martin Schläpfer lässt in seiner Kreation Musik und Tanz einander begegnen, und formiert eine harmonische Synthese. Musikalisch birgt das Cellokonzert viel emotionale Tiefe, es klingt gleichsam herzzerreißend. In diesen Klangfarben von Tragik aber auch Hoffnungsvollem vereint Martin Schläpfer seine gesamte Truppe – angeführt von der mehrfach mit Auszeichnungen gewürdigten Marlúcia do Amaral – in einer edlen, feinen Bewegungssprache, die klassische Elemente mit ungewöhnlichen Verschlingungen, folkloristisch anmutenden Schritten und neuartigen Bewegungsmustern verbindet. Im ästhetischen Tanz wirken die Körper der Tänzer gleichsam als Übersetzungsinstrumente der Musik, deren Anklänge an leichten Humor auch vom Choreografen mit Zitaten aus früheren Werken aufgegriffen werden. Das Finale ist wohl symbolträchtig zu den auch hier anstehenden Veränderungen zu deuten: zum Verklingen der Musik auch Entsprechung in der tänzerischen Umsetzung: zuerst verlassen einzelne Tänzer die Bühne nach rechts hinten, indem sie dabei noch einen Lichtkegel durchlaufen; dann löst sich ein Grüppchen und nimmt denselben Weg von der Bühne. Zurück bleibt der  Rest der Compagnie. 


Martin Schläpfer: Cellokonzert – Ensemble FOTO © Gert Weigelt

Großer Jubel, tosender Beifall und langanhaltende Ovationen für das gesamte Ensemble, Martin Schläpfer und sein Team bestehend aus Marcus Spyros Bertermann (Bühne), Hélène Vergnes (Kostüme) und Thomas Diek (Licht) sowie für den großartig spielenden Nikolaus Trieb am Violoncello und das Orchester der Düsseldorfer Symphoniker unter der umsichtigen und sorgsamen Leitung von Axel Kober.  Ein sehr beeindruckender, bewegender Ballettabend.

Ira Werbowsky

 

 

Diese Seite drucken