„Dünkt Dich das? Ich weiß es anders…“ – Zum Geschäftsbericht der Wiener Staatsoper 2022/ 23
Zahlreiche Superlative wurden während der Präsentation der Bilanzpressekonferenz der Bundestheater am 16.02.2024 geäußert, man sei über die „Folgen des Ausnahmezustands weitgehend hinweg“, die Ticketerlöse lägen „knapp unter dem Alltime-High“ und insbesondere an der Wiener Staatsoper sei eine Auslastung von 99,2% zu verzeichnen, was den Kurier dazu bewegte in einem Bezahlartikel „Bogdan Roščić auf Rekordkurs“ zu titeln.
Kommuniziert wurden also Entspannung, Jubel und Festtagsstimmung. Doch ein Blick in den Geschäftsbericht der Wiener Staatsoper lässt uns hier eher an Tristan und Isolde denken: „Dünkt Dich das? Ich weiß es anders“.
Zugegeben Bilanzen sind nun wirklich das Gegenteil eines genussvollen Opernabends und der Geschäftsbericht der Wiener Staatsoper im speziellen ist nur von begrenzter Aussagekraft, da er nur geringe Einblicke in Details zulässt. Doch was wir da sehen, zeigt grundlegend auf, in welche Richtung das Haus nun unter Bogdan Roščić gefahren wird.
Insbesondere deutlich wird das, wenn wir die Zahlen im Vergleich mit jenen der Jahre unter Dominique Meyer betrachten. Die uns vorliegenden Geschäftsberichte der Wiener Staatsoper reichen bis zur Saison 2013/ 14 zurück. Bei diesen Vergleichen zeigen wir die Werte aus den Spielzeiten 19/ 20 und 20/ 21 zwar jeweils auf, beziehen sie aber nicht als Vergleich mit ein, da sie aufgrund der durchgeführten Zwangsschließung und sonstigen Restriktionen, die mit COVID begründet wurden, wirklich nicht aussagekräftig sind. Die Saison 2021/ 22 hingegen kann wieder als mehr oder weniger regulär betrachtet werden, die aktuell zurückliegende Saison 22/ 23 wurde ohne Einschränkungen voll bespielt.
In Folge werden wir bei unserer Analyse den Blick auf folgende Themenkomplexe werfen:
I. Finanzielles Ergebnis
- Basisabgeltung
III. Einnahmen und Ausgaben
- Besucherzahlen und Rabattierungen
- Werkstatistik
- Fazit
Wir wollen somit versuchen ein möglichst realistisches Bild in Bezug auf die wirtschaftliche Lage der Staatsoper zu werfen. Die Frage ist, ob sich die Staatsoper tendenziell auf dem richtigen Kurs befindet, oder ob der Kurs der Direktion in eine falsche Richtung weist. Was nicht getan werden kann, ist Fragen zu subjektiven Geschmackspräferenzen zu beantworten. Hier haben wir lediglich die Werkstatistik, welche die Abstimmung des Publikums mit den Füßen widerspiegelt.
- Finanzielles Ergebnis
Beginnen wir also mit einem Blick auf das Bilanzergebnis, welches das Haus erwirtschaften konnte, dieser ist für 22/ 23 mit 0,- € ausgewiesen. Doch halt, ein Blick in das Ergebnis vor Steuern weist einen positiven Wert von 7,5[1]* Mio. € aus, die dann in Gänze als Rücklage dotiert sind. Das ist gut und richtig, denn wie eben just die Lockdowns der Jahre 20 und 21 gezeigt haben, sind Rücklagen elementar. Insgesamt lägen die existierenden Rücklagen der Wiener Staatsoper nun 16,6 Mio €, eine Erhöhung derselben ist also grundsätzlich sinnvoll und in der derzeitigen gesamtwirtschaftlichen Situation in Österreich nicht falsch. Ein Blick in die Vorjahresbilanz von 2021/ 22 unterstreicht das, denn dort betrug das Ergebnis vor Steuern ein Soll von -2,4 Mio €, welche dann durch die Auflösung von Rücklagen auf eine glatte Null ausgeglichen wurden.
Ordnen wir nun dieses Ergebnis in den Kontext der vergangenen Spielzeiten ein, so sehen wir, daß es mit 7,5 Mio € das dritthöchste aller Spielzeiten seit 2013/ 14 ist (siehe Graphik I.1 – Ergebnis vor Steuern).
Herzlichen Glückwunsch, alle Kritiker müssten nun verstummen und Bogdan Roščić als Management-Star in die Geschichte der Wiener Staatsoper eingehen, dem es gelang das Haus nach den schweren Belastungen durch die Lockdowns in eine glänzende Zukunft zu führen.
Doch leider sind diese Daten gewissermaßen „verzerrt“, denn im Geschäftsbericht erscheint eine Position mit dem schönen Titel „Basisabgeltung“. Diese Basisabgeltung ist eine jährliche Zahlung an die Wiener Staatsoper (die in niedrigerer Höhe auch an die anderen Bundestheater gezahlt wird) und durch das Bundestheaterorganisationsgesetz geregelt. Dort heißt es in §7 (2): „Der Bund hat für die Aufwendungen, die den Bühnengesellschaften im Zusammenhang mit der Erfüllung des kulturpolitischen Auftrages und der Bundestheater-Holding GmbH im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben entstehen […] eine jährliche Basisabgeltung […] zu leisten […]“. Diese Basisabgeltung wird dann gem. §7 (4) an die einzelnen Bundestheater aufgeteilt, und zwar durch den Bundeskanzler persönlich, nach Vorschlag durch die Bundestheater-Holding. Auf gut Deutsch: Über die Basisabgabe werden auf gesetzliche Anordnung hin Steuergelder an die Bundestheater verteilt. Wichtig ist zu wissen, daß diese Basisabgabe für Kalenderjahre ausgezahlt und ihre Höhe im Vorfeld definiert wird. Sie steht also nicht in direkter Relation zum tatsächlich erwirtschafteten Ergebnis, was schwierig ist, da sie auch auf mehrere Jahre im Voraus festgelegt werden kann – unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis einer Spielzeit der Häuser.
Die Basisabgeltung ist also vom Ergebnis abzuziehen, wenn wir über die erwirtschafteten Ergebnisse des Hauses reden wollen. Sie ist nichts weiter als eine ergebnisunabhängige Subvention aus Steuergeldern, die vollkommen unabhängig von der tatsächlichen Leistung des Managements gezahlt wird. Wir werden sie in Punkt II. noch einmal näher betrachten.
Für die Saison 22/ 23 ist im Geschäftsbericht eine Basisabgeltung von 78,5 Mio € verbucht, ziehen wir diese also ab, landen wir bei einem Ergebnis von -70.992.334,46 €. Im Vergleich mit den anderen Spielzeiten bietet dieser Wert nicht nur ein Defizit, sondern die zweitschlechteste Saison überhaupt seit 2013/ 14. Nur die Spielzeit 21/ 22 war mit einem Defizit von -79 Mio € noch schlechter, selbst die Lockdown Spielzeit 19/ 20 und 20/ 21 boten bessere Zahlen (siehe Grafik I.2 – Ergebnis n. Abzug Basisabgeltung).
Dies ist jedoch noch nicht alles: Bei den Einnahmen tauchen neben den regulären Umsatzerlösen aus Kartenvertrieb, dem Verkauf von Programmheften, Einnahmen aus dem Opernball, Führungen etc. noch weitere Posten auf, die die eigentlichen Einnahmen ebenfalls „verzerren“. Diese sind „andere aktivierte Eigenleistungen für Produktionen“ (selbst hergestellte Gegenstände zur Eigennutzung), „Auflösungen von Rückstellungen“ (Verwendung von Gespartem), sowie „Diverse“ sonstige betriebliche Erträge.
Die Position „Diverses“ ist bei näherem Hinsehen interessant: Pendelte diese in den Spielzeiten von 13/ 14 bis 19/ 20 um ~500.000 € Einnahmen, schießt diese Position mit der Saison 19/ 20 auf einmal in die Höhe und weist 10,3 Mio €, in der Saison 20/ 21 sogar 23,4 Mio € und in der Spielzeit 21/ 22 noch 5,8 Mio € auf. In der Saison 22/ 23 ist dieser Betrag auf 1,1 Mio € zurückgegangen. Seltsam ist hier die Praxis, solche hohen Werte unter „Diverses“ aufzuzeigen. Wenn wir jedoch die Zeiträume betrachtet merken wir schnell: Hier kann es sich nur um Corona-Hilfen handeln, die bis Anfang 2022 ja tatsächlich durch die verschiedenen Institutionen ausgezahlt wurden. Wenn diese Annahme richtig ist, so muss dieser Wert genauso aus der Betrachtung des tatsächlich erwirtschafteten Ergebnisses herausgehalten werden, wie alle anderen staatlichen Zuschüsse.
Gleiches gilt für die Auflösungen von Rücklagen, denn wir haben bereits gesehen, daß die Rücklagen des Hauses aus einem fiktiven Gewinn kommen, welcher zuvor durch die Zahlung der Basisabgabe, mittels einer Subvention aus Steuergeldern erzeugt worden sind. Da das Haus seit 2013/ 14 keinen tatsächlichen Gewinn erzeugt hat, sondern stets defizitär war und Rücklagen nur durch Subventionen erzeugen konnte, sind also auch diese Rücklagen nichts anderes als geparkte, zuvor erhaltene Steuergelder.
Nicht abzuziehen sind „Erträge aus dem Abgang von Anlagevermögen“, Einnahmen durch Lizenzen, Schulgelder etc., denn hier handelt es sich um tatsächlich generierte Einnahmen.
Ziehen wir also jenes zusätzliche Schmankerl, die aus Steuergeldern bedient werden ab, erhalten wir ein bereinigtes, tatsächliches Ergebnis, welches die Wiener Staatsoper durch ihre Tätigkeit selbst erwirtschaftet hat. Dieses bereinigte Ergebnis zeigt für die Saison 22/ 23 dann ein Defizit von 73.680.425,05 € und damit den zweitschlechtesten Wert seit 2013/ 14, wenn wir die COVID-Spielzeiten außer Acht lassen. (siehe Grafik I.3 – Bereinigtes Ergebnis). Nur die Spielzeit 19/ 20 war knapp schlechter, wobei auch diese durch COVID beeinflusst wurde (wir erinnern uns, der erste Lockdown begann am Freitag, den 13. April 2020. Ein Gruß an alle Paraskavedekatriaphoben, Rossini und Schönberg miteingeschlossen).
„Wir knüpfen an die erfolgreichen Zeiten von vor Corona an, erreichen das Niveau wahrscheinlich noch nicht ganz – aber weit davon entfernt sind wir nicht“ sagte Christian Kirchner auf der Präsentation der Bilanz. Bei solchen Zahlen kann davon nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Ob die leichte Verminderung des Defizits, welche in der Saison 22/ 23 zu verzeichnen ist in der laufenden Saison 23/ 24 besser wird, bleibt dann abzuwarten. Faktum ist, daß eine Verbesserung hier dringendst nötig ist.
Nun sei aber richtiggestellt, daß der defizitäre Zustand der Staatsoper nichts neues ist, höchstens die Höhe des Defizits muss Anlass zur Sorge bieten. Es sei auch richtiggestellt, daß die Förderung von Kunst und Kultur zu den vornehmsten Aufgaben des Staates gehört. Wenn schon Steuergelder ausgegeben werden, so sind diese an der Staatsoper sicher hervorragend investiert, nicht zuletzt auch, da sich Österreich als Kulturnation versteht und sich ebenfalls – zu Recht – über seine reiche, kulturelle Geschichte definiert. Die beschönigenden Aussagen hingegen, die im Stile einer Verschleierungs- und Salamitaktik getätigt werden, sind als Frechheit dem Steuerzahler und damit oberstem Dienstherren gegenüber zu sehen. Denn diesem gehört das Haus am Ende des Tages und dieser ist es, der über die Basisabgeltung weit über der Hälfte dessen, was die Wiener Staatsoper an Budget zur Verfügung hat (wohlgemerkt ungefragt) zahlen muss. Ein guter Grund also, die Basisabgeltung näher zu betrachten.
- Basisabgeltung
Im Vergleich bewegt sich die an die Wiener Staatsoper gezahlte Basisabgeltung in einem Korridor zwischen 60 und 66 Mio. € bewegt, mit der Ausnahme von 71 Mio in der Saison 2017/ 18. Erst im Rahmen der Lockdowns schiesst diese auf 76 Mio. € in der Saison 21/ 22 obschon in diese bereits umfangreichen Öffnungen der Staatsoper und ein fast durchgehender Spielbetrieb stattfanden (siehe Grafik II.1 – Höhe Basisabgeltung).
Die Grafik zeigt auf, daß nach einem kurzen Anstieg 17/18, bis einschließlich der Saison 20/ 21 zunächst ein fester Betrag iHv 66.088.000 € definiert wurde. Während der Einschränkungen durch die COVID-Maßnahmen wurde dann für die Spielzeit 21/ 22 dieser Betrag massiv auf einen neuen Rekordwert von 76.638.000 € erhöht – obschon in dieser bereits ein fast durchgehender Spielbetrieb stattfand. Auch fand für die Saison 22/ 23 keinerlei Senkung statt, im Gegenteil wurde die Basisabgabe noch weiter auf 78.460.000 € erhöht. Eine Ausnahme als verspäteter Ausgleich für die Defizite in den Lockdowns, welcher dann ab 23/ 24 wieder normalisiert wird? Mitnichten: Im Bundestheaterorganisationsgesetz ist bereits festgehalten, daß die Basisabgabe für das Jahr 2024 auf insgesamt (also alle Thetaer betreffend) 194,2 Mio € und im Jahr 2025 auf insgesamt 203,8 Mio. € steigt.
Diese Erhöhung wurde im Rahmen der Pressekonferenz der Bundestheater Holding erwähnt. Als Begründung wurde die Erhöhung der Energiekosten um 40% genannt, weshalb die fortlaufende Erhöhung der Basisabgabe notwendig für den „Fortbestand des Theaters“ sei.
Nun ist diese Aussage so nicht korrekt: Die Energiepreise sind bereits seit Anfang 2023 massiv rückläufig und die Tendenz ist weiter sinkend, wie hier am Beispiel des österreichischen Strompreisindex‘ zu sehen ist (Grafik II.2 – Österreichischer Strompreisindex).
Wie sich hieraus eine zunehmende Erhöhung der Basisabgeltung rechtfertigt, erklärt sich also nicht. Werfen wir einen Blick auf die Basisabgeltung in Relation zum Ergebnis der entsprechenden Spielzeit, erschließt sich auch hier eine Erhöhung eigentlich nicht. Denn obschon der Jahresfehlbetrag der Saison 22/ 23 der zweitschlechteste reguläre Ergebnis seit 13/ 14 darstellt, zeigt sich doch zumindest die Tendenz einer Verbesserung, der Jahresfehlbetrag wird kleiner. Wie in der Grafik (II.3 – Relation Jahresfehlbetrag zu Basisabgeltung) zu sehen, steigt die Basisabgabe jedoch weiter und wie ebenfalls bereits erwähnt wird sie weiter ansteigen. Richtig wäre hier, sie zumindest bei gleicher Höhe zu belassen und die Entwicklung des Jahresfehlbetrages abzuwarten. Pikanterweise findet sich auf der Internetpräsenz der Bundestheater Holding das folgende Zitat: „Die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit sind das Grundprinzip des Handelns der Bundestheater-Holding. Das gilt in erster Linie für die Verwendung der Subventionen, die der Bundestheater-Holding und den Bühnengesellschaften von der Republik Österreich bereitgestellt werden“[2].
Dass die Subventionen in Form der Basisabgabe hier nach dem Prinzip der Sparsamkeit verteilt werden, erschließt sich so nicht: Weder ist aus den vorliegenden Zahlen ein Anstieg des Jahresfehlbetrages zu erwarten, noch steigen die Energiepreise wieder, im Gegenteil, beide Faktoren befinden sich auf dem Weg der Besserung. Geschäftsführer Christian Kirchner spricht selbst davon, „sehr stolz und sehr glücklich“ darüber zu sein, daß die Bundestheater „über die Folgen dieses Ausnahmezustands weitgehend hinweg“ seien. Weshalb also die weitere Erhöhung der Basisabgabe? Gibt es andere Gründe als die Energiepreise, welche eine Erhöhung der Basisabgabe rechtfertigen?
III. Einnahmen und Ausgaben
Werfen wir dazu einen Blick auf die Einnahmen und Ausgaben der vergangenen Jahre, in welcher Art und Weise sind hier Tendenzen zu erkennen? Interessanterweise ist hier eine Steigerung bei den Einnahmen durch Kartenvertrieb festzustellen: Mit 37,5 Mio € erreicht die Staatsoper den zweithöchsten Wert bei Einnahmen durch Kartenvertrieb seit 2013/ 14, lediglich die Saison 2018/ 19 steht mit 38,1 Mio € besser dar (Grafik III.1 – Einnahmen durch Kartenvertrieb).
Blenden wir die COVID Spielzeiten 19 – 21 wie gewohnt aus, lässt sich hier eindeutig ein Trend ansteigender Einnahmen erkennen, der nun in der Spielzeit 22/ 23 fortgesetzt wird. Auch in Gänze zeigen die Umsatzerlöse denselben Trend und befinden sich mit 53.060.943,40 € auf einem sehr guten, nämlich ebenso dem zweitbesten Wert seit 13/ 14. Auch hier ist nur die Saison 18/ 19 mit 53.473.925,47 € bessergestellt (Grafik III.2 – Einnahmen gesamt). Dabei haben wir uns bewusst nur auf die eigentliche Umsatzerlöse konzentriert und auch hier wieder aktivierte Eigenleistungen, Auflösung von Rückstellungen und „diverse“ aus der Betrachtung genommen.
Es gilt also festzuhalten, dass wir auf der einen Seite die zweithöchsten Umsatzerlöse zu verzeichnen haben, auf der anderen Seite aber auch den zweithöchsten Jahresfehlbetrag seit 2023/ 14 verzeichnen müssen. Wie geht das zusammen? Werfen wir einen Blick auf die Ausgaben: Mit 127.198.569,33 € befinden sich diese in der Saison 22/ 23 tatsächlich auf einem Allzeithoch. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß insbesondere die Personalkosten signifikant angestiegen sind. Bereits in der Saison 21/ 22 fanden sich diese mit 87 Mio € auf einem Rekordhoch, welches nun noch mit 88,7 Mio € übertroffen wurde (Grafik III.3 – Ausgabenstruktur).
Ob die darin enthaltenen Gehälter wegen allgemeiner Inflationsangleichungen angestiegen sind, oder aus anderen Gründen entzieht sich unserer Kenntnis, da auch hier keine detaillierteren Informationen vorliegen. Allerdings ist davon auszugehen, daß die erhöhte Frequenz der Auftritte internationaler Opernstars finanziell entsprechend zu Buche schlägt. Tatsache ist, daß hier eine Erhöhung um 6 Mio € zur Saison 21/ 22 vorliegt.
IV. Besucherzahlen und Rabattierungen
Interessant ist weiter in diesem Zusammenhang auch die Frage wie hoch die Anzahl der Besucher in der Saison gewesen ist. Allerdings wollen wir weniger einen Blick auf den berüchtigten Auslastungsgrad werfen, sondern auf die Art der verkauften Tickets einen Blick werfen. Denn klar ist: Eine Kategorie 1 Ticket ist leichter verkauft, wenn es nur 49,- € oder gar 20,- €, statt beispielsweise 240,- € kostet.
Zunächst ist festzustellen, daß sich die Anzahl der Besucher in der Saison 2022/ 23 mit 569.215 Personen auf dem zweitniedrigsten Stand seit 2013/ 14 befindet – COVID Spielzeit logischerweise wieder ausgeblendet, da nicht vergleichbar. Lediglich die vorherige Saison 21/ 22 lag mit 437.455 Besuchern unter diesem Wert, was durchaus mit der anhaltenden Vorsicht der Besucher in Bezug auf Covid zu erklären ist (Grafik IV.1 – Anzahl Besucher je Saison). Weshalb hier von einem Rekordkurs die Rede ist, wenn der Abstand zu den anderen Saisons mindestens 16.858 Besucher beträgt (Saison 16/ 17) bleibt unverständlich.
Zweithöchste Umsatzerlöse, trotz zweitniedrigster Besucherzahl und doch bleiben wir wegen der gestiegenen Personalkosten beim zweitschlechtesten Ergebnis. Ist der Betrieb der Wiener Staatsoper also so teuer, daß die Preise weiter erhöht werden müssen? Ist somit die Erhöhung der Basisabgabe berechtigt? Schauen wir uns zuvor die verkauften Tickets etwas genauer an, nämlich dahingehend, welche Art von Ticket wie häufig verkauft wurde. Hier gilt es festzustellen, daß mit 30,65% der Anteil rabattierter Karten noch immer deutlich über dem Niveau vor Durchführung der COVID Beschränkungen liegt (siehe Grafik IV.2).
Lediglich 349.719 Tickets wurden also zum Normalpreis verkauft, das ist eine außerordentlich niedrige Anzahl. Tatsächlich hat diese auch nichts mit U27 Aktionen oder anderen Initiativen der Jugendarbeit zu tun, denn hier liegt die Quote in der Spielzeit 22/ 23 lediglich bei 14.811 verkauften Karten, was einer traurigen Quote von 2,6% entspricht – selbst der Anteil von verteilten Regierkarten war mit 2,7% höher.
So schliesst sich allmählich der Kreis: Die Zuschauer sind nach den Lockdowns nur bedingt in die Staatsoper zurückgekehrt, mit verschiedenen Rabattaktionen wurde versucht das Haus weiter zu füllen, was jedoch nur begrenzt zu Erfolg geführt hat. Final gilt es also nun einen Blick in die Werkstatistik zu werfen, um zu verstehen, welche Produktionen am besten und welche am schlechtesten verkauft wurden.
- Werkstatistik
Wir haben hier zum Zwecke der Vergleichbarkeit die Anzahl der Besucher eines Werks durch die Anzahl der gespielten Abende dividiert, um einen durchschnittlichen Besucherwert je Abend zu errechnen. Zusammenfassend kann hier gesagt werden, daß Neuproduktionen im Regietheaterstil Publikum häufig negativ quittiert wurden und solche in der Saison 22/ 23 meist die schlechtesten Besucherzahlen verzeichnen.Die Flop 10 (Grafik V.1 – Flop 10) werden hier – wenig überraschend – von „Mahlers nie geschriebener Oper“ angeführt: Bei 10 Vorstellungen konnten je Vorstellung nur 1.564,4 Zuschauer für Calixto Bieitos Inszenierung „Von der Liebe Tod“ begeistert werden. Es folgen Simon Stones in Wien Simmering spielender Wozzeck, Sven-Eric Bechtolfs an expressionistischen Film erinnernder Cardillac, Andrei Serbans um eine große Eiche spielender Werther, David Pountneys von der Staatsoper als „exemplarische Inszenierung“ bezeichnete Jenufa, Herbert Fritschs Plastikfolien Barbiere di Siviglia und Magdalena Fuchsbergers Dialogue des Carmelites vor im Holzskelettbau. Auf Platz 8 allerdings Otto Schenks Elisir d’amore (offensichtlich hat man sich hieran statt gesehen), auf 9 dann die von der Staatsoper mit „Kultstatus“ beworbene Inszenierung des Parsifal von Kirill Serebrennikov und Platz 10 Barrie Koskys Don Giovanni in der Lavalandschaft.
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Die Top 10 zeigen hier noch deutlichere Präferenzen des Staatsopernpublikums: Angeführt wird diese durch Nicolas Joels Aida aus dem Jahr 1984 mit Elina Garanca, Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Luca Salsi (2099 Besucher je Aufführung bei nur 4 Abenden), dicht gefolgt von der aus London eingekauften Madama Butterfly von Anthony Minghella und Margarethe Wallmanns legendärer Tosca aus dem Jahr 1958. Eine Überraschung ist Calixto Bietos Carmen auf dem 4. Platz, die jedoch zumindest in der ersten Serie der Spielzeit durch die Besetzung mit Elina Garanca und Piotr Beczala einen massiven Zulauf erfuhr. Es folgen Jean-Pierre Ponnelles Cavalleria Rusticana und Pagliacci, dann Barry Koskys Nozze di Figaro (es bleibt abzuwarten, ob der Zulauf in der Saison 23/ 24 gleich hoch bleibt oder dem Faktum der Neuinszenierung geschuldet ist), Sven-Eric Bechtholfs Götterdämmerung und Otto Schenks Fidelio.
Ganz eindeutig sind die Werte „gegen“ Regietheaterproduktionen nicht, die Toleranz des Wiener Publikums scheint hier größer zu sein, als anzunehmen. Allerdings sind Premieren natürlich nicht mit dem regulären Repertoirebetrieb zu vergleichen. Auch helfen hier entsprechende Besetzungen, bei welchen das Publikum wohl bereit ist, über Regiethetaer wortwörtlich hinwegzuschauen. Bei den Flops hingegen fällt das Urteil dann doch recht deutlich aus, insbesondere der Versuch eine Mahler-Oper herbeizuerfinden fiel eindeutig beim Publikum durch. Ob Regisseurinnen wie Lydia Steier, Barbora Horáková und Evgeny Titov das sind, was dann hilft das Haus zu füllen, darf zumindest bezweifelt werden (diese werden auf Matinée zur Spielzeit 24/ 25 kommende Produktionen vorstellen).
Was leider nicht einzeln aufgezeigt werden kann sind Details zu den rabattierten Karten je Werk, denn hier liegen keine Werte in der Bilanz vor. Beispielhaft sei hier aber Herrn Serebrennikovs Parsifal am Ostermontag 2024 zu nennen. Hier war bis zum 27.03.2024 war das Parkett der Vorstellung trotz Starbesetzung mit Elina Garanca als Kundry und Günther Groissböck als Gurnemanz nicht einmal zur Hälfte verkauft. Nach Ausgabe eines Rabattcodes für Mitarbeiter waren innerhalb von 3 Stunden fast alle Plätze der Kategorie I ausgebucht – allerdings zum Preis von 20,- anstatt 240,- €. Wie oft so etwas vorkommt, können wir leider mangels entsprechender Angaben in der Werkstatistik nicht sagen.
- Fazit
Wenngleich natürlich die Vorlage weiterer Details wünschenswert ist, lässt sich dennoch aus dem vorliegenden Geschäftsbericht 2022/ 23 folgendes Fazit ziehen:
- Bereinigt hat die Spielzeit 2022/ 23 das zweitschlechteste Ergebnis der Wiener Staatsoper seit 2013/ 14 vorzuweisen. Wir sprechen von einem Defizit in Höhe von fast 74 Millionen €.
- Dieses Defizit wird durch die Basisabgeltung aufgefangen, welche aus Steuergeldern finanziert wird.
- Diese Basisabgeltung ist bis einschließlich 2025 bereits weiter erhöht wurden – unabhängig von den dann tatsächlich erzielten Ergebnissen des Hauses.
- Die Erhöhung der Basisabgabe wird mit steigenden Energiepreisen argumentiert.
- Die Energiepreise sinken bereits seit 2023 kontinuierlich.
- Die Einnahmen des Hauses befinden sich auf dem zweithöchsten Wert seit 13/ 14: 53 Mio €.
- Die Ausgaben des Hauses befinden sich auf dem höchsten Wert seit 2013/ 14, nämlich 127 Mio €.
- Die Zuschauerzahlen sind mitnichten auf früherem Niveau angekommen. Das Haus verzeichnete die zweitniedrigsten Besucherzahlen seit 2013/ 14: 569.215 Besucher (COVID Spielzeiten wie immer ausgenommen).
- Der Anteil von rabattierten Karten befindet sich mit 30,66% noch immer deutlich über Vorkrisenniveau.
- Ein Großteil der Neuproduktionen findet nur geringen Anklang, unter den am schlechtesten besuchten Vorstellungen finden sich überwiegend Neuproduktionen, die dem Regietheater zuzuordnen sind.
- Vice versa erfreuen sich werktreue Produktionen weiter größter Beliebtheit beim Publikum und führen die Top 10 der Spielzeit an.
Bis auf die eher ablehnende Haltung zu Regietheaterproduktionen ist die Bilanz für die Spielzeit 2022/ 23 besser als befürchtet. Um eine umfassende Bewertung der aufgezeigten Tendenzen durchführen zu können, gilt es im kommenden Jahr die hier dargestellten Werte weiter zu beobachten und die Entwicklung des Hauses in der Spielzeit 2023/ 24 wieder zu betrachten. Von Jubel kann derzeit jedenfalls nicht die Rede sein.
Künstlerisch ist die Neuausrichtung auf zeitgenössische Produktionen im Regietheaterstil zu hinterfragen und mindestens anteilig zurückzufahren. Sie findet beim Publikum nicht ausreichend Anklang.
In Anbetracht des Sparsamkeitsprinzips und der großzügigen Ausstattung des Hauses mit Steuergeldern ist jedoch ein deutlicher Sparkurs die einzig zulässige Option in Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Hauses. Nicht nur aus Pflicht dem Steuerzahler gegenüber, sondern auch um das Haus mittel- bis langfristig auf solide Beine zu stellen, es resilient gegenüber zukünftigen Krisen zu machen und insbesondere die Wiener Staatsoper als kulturelles Erbe Österreichs zu erhalten und dem damit einhergehendem Auftrag gegenüber zukünftigen Generationen gerecht zu werden. Alles andere ist schlicht inakzeptabel.
[1] Alle angegebenen Werte sind der Einfachheit halber kaufmännisch gerundet
[2] Webseite der Bundestheater Holding https://www.bundestheater.at/de/holding/uber-die-holding/ , abgerufen am 23.02.2024 um 19:06 Uhr.
E.A.L